Daniel Stelter bleibt sich in seinem neuesten Buch treu. Aus Corona und Economics formt er mit „Coronomics“ eine Antwort auf die vom Corona Virus ausgelöste weltweite Gesundheits- und Wirtschaftskrise. Sein profundes Wissen nutzt er für eine umfassende Bestandsaufnahme mit schlüssigem Handlungsprogramm. Sein unschätzbarer Vorteil: dass er von (Welt)Wirtschaft viel versteht, dies auch vermitteln kann. Und sogar ein Weihnachtsgeschenk für uns alle hält er parat – oder doch nicht?
Handhabung, Haptik und Handlungsmotiv
Auf 195 Seiten Text (mit Anmerkungen/Fußnoten insgesamt 217) und 12 sauber gegliederten Kapiteln (wir entlehnen die Überschriften), das Ganze in ein freundliches Hellgrün gekleidet (also doch ein grüner Schwan). So kommt das neue, von uns hier angekündigte Buch von Daniel Stelter daher. Und es liegt angenehm in der Hand, die Haptik passt, wie auch der Preis von 18,95 € (wir reden von der Print-Ausgabe Coronomics, am 15. Mai 2020 erschienen).
Im Untertitel zu Coronomics – „Nach dem Corona-Schock: Neustart aus der Krise“ – signalisiert Stelter seine intellektuelle Wachheit und Bereitschaft zum Handeln. Es scheint fast so, als hätte er auf das Virus gewartet. Keine Schockstarre, sondern gedankliche Arbeiten am Fundament für eine resistentere – man kann auch sagen resilientere – Wirtschaft in der Zeit danach. Ein klares Handlungsmotiv. Und vor allem auch kein Schnellschuss, absolut nicht. Schauen wir uns das Ganze mal etwas genauer an.
Coronomics als Programm
Das Virus, das auf eine geschwächte Wirtschaft traf
Die Zustandsbeschreibung: säkulare Stagnation oder auch, man höre und Staune, Eiszeit (S. 13). Wichtiger Grund, ein immer geringeres Produktivitätswachstum (S. 14). In Deutschland seit 2011 bis 2018 nur noch 0,9 Prozent im Jahr, dann Nullkommanichts. Bedeutung der Produktivität: „Jeder Wohlstandszuwachs setzt eine steigende Produktivität voraus. Fehlt diese, so kommt es zu Verteilungskonflikten, Frustration und politischen Spannungen.“ (S. 15).
Statt dessen in der Weltwirtschaft eine Überlast an Schulden (S. 16), wobei die aufgenommenen Gelder nicht produktiv genutzt, sondern zum Kauf von Aktien und Immobilien eingesetzt wurden (S. 19). Durch steigende Immobilienpreise und sinkende Zinsen nahm in der westlichen Welt die Ungleichheit in der Vermögensverteilung weiter zu. Und dann platzt auch noch mittenhinein das Virus (S. 22).
Anfälliges Finanzsystem
„Die Party an den Finanzmärkten dauerte bis in den Januar 2020.“ (S. 23). Stelter referiert verschiedene mögliche Verläufe in Volkswirtschaften nach dem Ausbruch einer Wirtschaftskrise – V, U, L -, so wie wir hier in unserem Beitrag.
Viel Zeit und Raum verwendet er darauf, die Wirkung des dreifachen Leverage-Effektes, das heißt die Strategie des Hebelns mit Krediten auf der Investoren- und Unternehmensebene zu erklären. Dabei hängt alles von der Ertragskraft der Unternehmen ab (S. 29). Wie dieses Leverage-Spiel funktioniert und was der Corona-Schock dabei mit Aktien und Anleihen anrichtet ist (auf den S. 33 – 37) beschrieben. Der Kaufwelle entspricht die pfeilschnelle Verkaufswelle – das De-Leveraging, für das als Bonmot bemüht wird: „If you want to panic, panic first!“ (S. 34).
Das Virus als ultimativer Schock
Man unterscheidet exogene, das heißt von außen kommende Schocks, die die Angebots- und die die Nachfrageseite betreffen. Im Falle des Virus trifft es, etwas zeitversetzt beide Seiten (S. 40). Im Extremfall geht der Umsatz Richtung Null, wobei schon Umsatzrückgänge ab 10 Prozent existenzgefährdend sind (S. 42).
Künstliches Koma für die Wirtschaft
Daniel Stelter propagiert, für eine bestimmte Zeit alles einzustellen: „Lohnzahlungen, Mieten, Zinszahlungen. Wir täten einfach so, als würde ein Quartal ökonomisch nicht stattfinden. Es gäbe keine Umsätze, aber es gäbe auch keine Verpflichtungen.“ (S. 56). Die Gesellschaft solle den Umsatzausfall ersetzen, indem Steuerzahler in der Größenordnung der Umsätze vergangener Jahre von den Finanzämtern Gutschriften erhalten. Er nennt es ein „gedankliches Koma“, das effektiv und effizient sei (S. 61). Damit will er die Probleme staatlicher Finanzhilfen vermeiden, vor allem den damit automatisch einhergehenden Systemwechsel zu mehr Staat und weniger Markt. Auch den drohenden Erhalt sogenannter Zombie-Unternehmen, die er für den beschriebenen Rückgang der Produktivität mitverantwortlich macht (S. 54 – 55).
Wer zumacht, muss auch wieder aufmachen
In diesem Kapitel geht es unter anderem um den Zeitpunkt, wann nach Abwägung auch des entstehenden Kollateralschadens – kollateral, weil durch die (Rettungs)Maßnahme erst verursacht, dennoch unabdingbar – die zuvor verordnete Schließung/der Lockdown wieder rückgängig gemacht wird. Dabei wird in Bezug auf die Wirkung der Einschränkung des öffentlichen Lebens ein optimistisches, realistisches und pessimistisches Szenario unterschieden, aber ohne dass sich Stelter festlegt.
Um aus dem Stillstand mit Schwung wieder herauszukommen, schlägt er die Ausgabe von Konsumgutscheinen und ein umfassendes Schuldenmoratorium vor (S. 71 -72).
Wer soll das bezahlen?
In diesem und im nächsten Kapitel knüpft Stelter an seine frühere Arbeit über das Märchen vom reichen Land an. So hat sich der deutsche Staat in der Zeit von 2009 bis 2018 Zinsaufwendungen von 436 Milliarden € erspart – zu Lasten seiner Sparer. Zugleich hat er aber das Geld für Konsum statt für Investitionen ausgeben und dadurch einen erheblichen Investitionsstau verursacht (S. 76). Hier kommen nun die erwartbaren Verluste durch das Corona Virus in der Größenordnung von 1500 Milliarden € mit ins Spiel.
Trotzdem warnt er davor, die offiziell ausgewiesene Staatsverschuldung unbedingt nach unten bringen zu wollen. Im Gegenteil, er ermuntert die Politik jetzt sogar dazu dem japanischen Vorbild mit Staatsschulden jenseits von 200 Prozent des Bruttoinlandprodukts (BIP) zu folgen, bei gegenwärtig etwa 90 Prozent in Deutschland (S. 86).
Risikopatient Eurozone
Dem Patienten Euro gibt er mit auf den Weg, dass nun endlich die Grundprobleme angegangen werden müssen. „Wir haben es mit einer immer größeren Divergenz der wirtschaftlichen Kräfte zu tun. … Wir sollten deshalb die Einführung von Parallelwährungen in den Mitgliedsländern prüfen, eventuell sogar in allen.“ (S. 104). Alternativ schlägt er eine verkleinerte Währungsunion jener Länder vor, die gut zusammenpassen. Folgte man dem Vorschlag Stelters, schrumpfte die Eurozone von 19 Mitgliedern auf Deutschland, die Niederlande und Österreich sowie eventuell noch Frankreich zusammen.
Neustart der Finanzordnung
Den Notenbanken schreibt Stelter eine unglückliche Rolle zu, da sie sich in eine auswegslose Situation manövriert hätten (S. 114). Deshalb seien schon vor Corona radikale Ideen zur Eindämmung der nächsten Rezession ventiliert worden. Wie der Kampf gegen das Bargeld und das Gold, Kapitalverkehrsbeschränkungen, die Monetarisierung der Schulden – zins- und tilgungsfrei für 100 Jahre, Helikoptergeld oder gemäß der „Modern Monetary Theory“ eine dauerhafte Finanzierung des Staates direkt über die Notenbank sind die Stichworte dazu (S. 115 – 118).
Drei Alternativen hierzu gibt es laut Stelter: 1. man kann die Depression zulassen, 2. die Staaten leihen sich das Geld und bauen anschließend die Schulden wieder ab oder 3. sie erheben Vermögensabgaben (S. 122f). Laut Stelter wird sich aber die Monetarisierung nicht aufhalten lassen.
Trotz der Widerstände in Deutschland, die befeuert werden in Gestalt der judikativen Gewalt: durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020 zu den Staatsanleihen-Ankäufen der Europäischen Zentralbank (EZB). Schon gibt es Spekulationen, dass sich die EZB darauf vorbereite, notfalls ihre Anleihekäufe ohne die Deutsche Bundesbank durchzuführen. Dabei sei das aktuelle Krisenprogramm PEPP – „Pandemic Emergency Purchase Programme“ – aber nicht von dem Urteil betroffen, so aktuell faz-net vom 27.5.2020. Eine weitere warnende Stimme kommt aus der Schweiz: Die direkte Finanzierung von Staatsausgaben durch die Notenbank führe zu Intransparenz und werde „sehr, sehr teuer in langer Frist“. So in der NZZ vom gleichen Tag.
Zurück zu Daniel Stelter. Er prophezeit zudem eine Zeitenwende: von langfristig sinkenden Zinsen und steigenden Schulden auch wieder zu steigenden Zinsen mit zeitversetzt einhergehender Inflation.
Deutschland vor der Corona-Krise
Unzufriedene Bürger/innen treffen auf überforderte Politiker/innen, so Stelters Zustandsbeschreibung unseres Landes vor Corona in Kurzform (S. 127 – 134). Die lange Liste unangenehmer und ungelöster Themen erklärt sich auch dadurch, dass reine Symbolpolitik betrieben und kaum die eigentlichen Ursachen bekämpft wurden (S. 137f).
Deutschland hat die guten Jahre nicht genutzt
2009 bis 2018 zehn gute/tolle Jahre – oder doch nicht? Wir haben uns von der Wohlstandsillusion einlullen lassen, an das Märchen vom reichen Land geglaubt. Fakt ist, die Produktivität in der Wirtschaft nimmt jetzt nicht mehr zu, sondern eher ab, genauso wie die Fitness (S. 146 – 149). Warum investieren die Unternehmen bei uns nicht mehr – auf S. 150 die Antwort: „Heute haben wir es mit einer Strukturkrise zu tun, die sich nicht durch Lohnzurückhaltung korrigieren lässt. Die Ursachen sind viel weitgehender: relativ hohe Steuern, zunehmende Bürokratie, die höchsten Energiepreise Europas, angesichts der unausgegorenen Energiewende zunehmende Zweifel an der Stromversorgungssicherheit, deutlich verschlechterte Infrastruktur, ein sichtbarer Rückstand bei der Digitalisierung und zunehmende Probleme bei der Umsetzung von Investitionen und Innovationen“.
Coronomics für Deutschland
Das Herzstück – sein schlüssiges Handlungsprogramm Coronomics – hat Daniel Stelter in diesem Kapitel auf den S. 153 – 185 niedergelegt.
Den Staatsschulden – vor der Krise 2019 – stellt er in einer Länderübersicht das entsprechende Monetarisierungsvolumen – nach der Krise pauschal +30 %, nach der Monetarisierung pauschal 75 % – gegenüber. Deutschland solle beim organisierten Schuldenschnitt solidarisch mitmachen, einschließlich der Target2-Salden/Forderungen. Er empfiehlt eine Konjunkturförderung durch Konsumgutscheine mit beschränkter Laufzeit, den Unternehmen legt er nahe zu investieren, investieren und investieren. Mit guten Argumenten fordert er zudem eine Wende in der Energiepolitik. Wachstumskräfte stärken, Effizienz steigern und Vermögen bilden sind seine weiteren Programmpunkte.
Die existenzielle Weichenstellung einer Coronomics für Deutschland, zusammengefaßt auf S. 184 in fünf Sätzen: „Senken der eigenen Staatsverschuldung durch Teilnahme an dem Schuldentilgungsfonds. Hilfe für andere Länder über Mobilisierung der TARGET2-Guthaben. Im Inland ein Programm zur Sicherung künftigen Wohlstands beginnen: Investitionen, geringere Steuern und Abgaben, bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen. Förderung privater Vermögensbildung. Professionelles Managment des Auslandsvermögens.“
Corona als Katalysator für Wandel
Nach all den Dingen, die in den letzten Jahren unterblieben sind, Weichenstellungen und Maßnahmen die von der Politik vielleicht nicht einmal diskutiert wurden, setzt Daniel Stelter darauf, dass die Folgen dieser falschen Politik jetzt bereinigt werden. Die aktuelle Krise katalysiere den Wandel hin zum Besseren.
„Konkret bedeutet das eine Welt aktiver staatlicher Politik, großzügiger Notenbankunterstützung und damit einer breiten Belebung der Wirtschaft. Damit ist aber nicht gemeint, dass der Staat nun Wirtschaft ‚machen‘ soll. Das wäre ein Fehler. Der Staat kann aber die Rahmenbedingungen setzen. Neue Technologien stehen in den Startlöchern, um eine breite industrielle Revolution in Gang zu setzen.“ (S. 190).
Versuch einer Bewertung
Auch wenn ich versucht habe, die wichtigsten Gedankengänge herauszufiltern, die Lektüre des Buches* Coronomics zur Gänze und auf eigene Faust lohnt. Daniel Stelter versteht es, sein profundes Wissen über die Weltwirtschaft (didaktisch) gekonnt zu vermitteln. Und er scheut sich nicht, auch ungewöhnliche Ideen – wie die mit dem gedanklichen Koma – aufs Papier zu bringen. Zudem besitzt er den Mut, für eine Politik der Schuldenmonetarisierung einzutreten, was eine totale Abkehr von der bisherigen Linie ökonomischen Denkens in unserem Land bedeutet.
Aber musste der Begriff Coronomics sein? Besser wäre „Stelternomics“, doch dazu ist er dann wieder zu bescheiden. Bescheiden wie die verbliebenen Schreibfehler auf den Seiten 91, 109, 111 – für die sich Campus, zumindest ab der nächsten Auflage, schämen darf.
Zum Abschluß wirft Daniel Stelter die Frage auf, ob an Weihnachten alles vorbei sein könnte? Aber in diesem Fall ist es nur Rhetorik. Er geht ganz klar davon aus, dass uns das Virus noch länger beschäftigen wird.
Und das macht die Bundesregierung (daraus)
#PreppoKompakt
Lesen, sich Gedanken machen, zu gegebener Zeit mitdiskutieren, sich einmischen. Das Thema geht uns – fast schon eine Binsenweisheit – alle an.
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