Raus aus der Krise durch Selbstheilungskräfte der Wirtschaft – gesund durch Zuversicht oder was?

Für den Beobachter in Krisenzeiten stets überraschend, wie schnell und leichtfüßig finanzielle Mittel in ungeahntem Ausmaß mobilisiert werden können. Zugleich werden in Krisenzeiten ebenso stereotyp, auf nahezu inbrünstige Art und Weise, die „Selbstheilungskräfte des Marktes“ beschworen.

„Wenn Du ein Problem nicht lösen kannst, dann vergrößere es.“ An diesen Spruch des früheren Bundesumweltministers Klaus Töpfer erinnerte ich mich, als im Zuge der Maßnahmen zur Überwindung der Corona Pandemie am 3. Juni die Bundesregierung aus einem Konjunkturpaket in Höhe von 80 Milliarden, buchstäblich über Nacht, zwei – Konjunktur- plus Zukunftspaket – mit insgesamt 130 Milliarden Euro machte!

500-Euro-Scheine als Teil der Pakete zur Krisenbewältigung

Der unerschütterliche Glaube an die Selbstheilungskräfte

Auch unser Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier glaubt gerne daran. In Geisterheilermanier erklärte er schon am 14.5.2020 auf finanzen.ch. „Mein Ziel ist es, mit diesem Fitnessprogramm die Selbstheilungskräfte unserer Wirtschaft zu aktivieren und die wirtschaftliche Erholung durch Modernisierung und Transformation der Wirtschaft, insbesondere mit Blick auf die Digitalisierung und künftige Krisenresilienz zu unterstützen.“

In (partei)politischen Konzept- und Positionspapieren finden sich ebenfalls entsprechende Passagen, zum Beispiel. „Brüssel, Berlin und Bayern müssen für einen ordnungspolitischen Rahmen sorgen, der die ganze Kreativität und alle Selbstheilungskräfte in Wirtschaft und Gesellschaft mobilisieren kann.“ So zu lesen in dem ansonsten recht weitsichtigen Positionspapier des Wirtschaftsbeirats Bayern vom Mai 2020 (hier als Download verfügbar).

Der aktuelle PLATOW-Brief vom 1. Juni spricht der US-amerikanischen Wirtschaft sogar wesentlich bessere „Selbstheilungskräfte“ zu als der deutschen: „Die US-Wirtschaft stürzt schneller ab, aber die Erholung setzt früher ein. Derzeit befindet sie sich in einer brutalen Anpassungsphase mit schockierenden Zahlen, während in Deutschland und Europa mit Kurzarbeitergeld und Hilfen für Unternehmen in allen Lebenslagen massiv gegengesteuert wird. Das nimmt den Druck, täuscht über den tatsächlichen Ernst der Lage hinweg … , bremst den Reformeifer und zementiert überkommene Strukturen. Die USA sind schon heute weitaus besser dran.“

Und die EU setzt noch eins drauf

„Luftige Worte und grosse Zahlen sind bisher ein Markenzeichen der EU-Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen gewesen. Und sie bleibt diesem auch beim Wiederaufbau der Wirtschaft treu.“ So in der NZZ vom 27.5.2020 zu lesen. Nachdem bereits Mitgliedstaaten Hunderte von Milliarden an Hilfen bereitgestellt hatten, will die Kommission der gebeutelten europäischen Wirtschaft mit insgesamt 1850 Milliarden € wieder Schwung verleihen. Zum leicht angepassten Sieben-Jahre-Budget der Europäischen Union mit 1100 Mrd. € kommt ein sogenanntes Wiederherstellungsinstrument mit 750 Mrd. € hinzu.

Konjunktur- und Zukunftspaket: Zweifel angebracht

Angesichts der in Europa auf den Weg gebrachten Konjunktur- und Zukunftspakete in bisher unvorstellbaren finanziellen Größenordnungen, scheint es allerdings mit den Selbstheilungskräften der Wirtschaft nicht allzuweit her zu sein. Zumal es innerhalb von gut 10 Jahren schon wieder dieser Form finanzieller Hilfe bedarf, um die beschworenen Kräfte zu aktivieren. Damit bestätigt sich in gewisser Weise die Befürchtung, wie sie von skeptischen Beobachtern ausgesprochen wurde. Es bestehe die Gefahr, dass wir die alte Wirtschaft einfach wieder hochfahren.

Kritik kommt auch von Heike Göbel, die am 4.6.2020 in faz-net neben dem Konjunktur- und Zukunfts- sogar noch ein drittes Paket identifiziert, das Wahlpaket. Schließlich ist – das wissen Bundeskanzlerin und Vizekanzler genau – in 2021 Bundestagswahl. „Herausgekommen ist … ein überdimensioniertes Paket, das Taugliches und weniger Taugliches für Konjunktur und Wachstum enthält. Diese Wucht soll Zuversicht wecken, für den Aufschwung ist auch das wichtig. Der Wucht des staatlichen Eingreifens ohne Rücksicht auf Schulden haftet aber langsam auch etwas Verzweifeltes an.“ So kommentiert Heike Göbel.

Ohne ins Detail zu gehen. Daniel Stelter – hier ausführlich mit seinen Handlungsempfehlungen vorgestellt – hat in allen drei Paketen kaum Spuren hinterlassen.

Burning the future/furniture

Die, nach gängiger Theorie der ökonomischen Wissenschaften durch eine „unsichtbare Hand“ gesteuerte Wirtschaft kann sich offenbar immer weniger aus eigenen Kräften auf dem „richtigen“ Weg halten. Um die gewünschte Stabilität und das angestrebte Wachstum zu erreichen, bedarf es zunehmend häufiger und längerfristiger staatlicher finanzieller Maßnahmen. Die daraus resultierenden Verpflichtungen zur Tilgung werden somit auf eine immer fernere Zukunft verschoben. Sie belasten inzwischen auch die zweite und dritte der nachkommenden Generationen.

Man ist dabei an die Worte des (großen) österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises erinnert, der höflich und formvollendet warnte. „Manchesmal mag es bequem sein, den Ofen mit dem Holz des Mobilars zu feuern. Aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dadurch eine neue Methode gefunden zu haben, seine Wohnung zu heizen.“

Natürliche Systeme ticken anders als die Wirtschaft

Natürlich sind die unmittelbaren Ursachen der beiden Situationen 2007/2008 und 2020 sehr unterschiedlich. Dennoch stellt sich die Frage: Weshalb gelingt es der vereinigten Wirtschafts-, Geld- und Finanzpolitk nicht, trotz gigantischer Anstrengungen, die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft nachhaltig zu entfalten?

Möglicherweise ist das Bild von den gewünschten Selbstheilungskräften in seiner einfachen Übertragung auf die Wirtschaft schlichtweg falsch. Die natürlichen Systeme, die als Analogie für diese Metapher dienen, unterscheiden sich erheblich von einer Wirtschaft. IT-technisch gesprochen, beruhen sie auf gänzlich anderen „Betriebssystemen“, als die von Menschen entwickelten und praktizierten Wirtschaftssysteme. Das einfache mechanische Modell des Güter-Geld-Kreislaufes, wie es der global praktizierten Wirtschaft immer noch zugrundeliegt, stellt die physikalische Unmöglichkeit eines perpetuum mobile dar.

Der Kabarettist, Moderator, Autor – und Diplom-Physiker – Vince Ebert beschreibt es in einem Interview so. “Dank Quantenmechanik und Chaostheorie wissen Naturwissenschaftler, dass komplexe Systeme nicht berechenbar sind, selbst wenn sie alle Einflussgrössen kennen. In der Physik ist das seit hundert Jahren bekannt. Nur in die Ökonomie ist das noch nicht durchgedrungen.“

Ein Denkfehler

Alan Greenspan, der frühere Chef der US-Zentralbank (FED), gestand bei einer Anhörung vor einem Ausschuss des Repräsentantenhauses am 23. Oktober 2008 reumütig einen Fehler in seinem Denken ein, als er über die Gründe für die Finanzkrise 2007/2008 aussagte. Er räumte ein, dass in den ökonomischen Modellen, die zur Steuerung der Geldpolitk benutzt wurden, ein Defekt vorlag. Darüber hinaus stellte er fest, „… what we do have to understand is that our view of the way an economy functions is not properly modeled by what we now have.“ (Wer möchte, kann hier im ellenlangen Sitzungsprotokoll blättern und nachlesen. Achtung: wenn von „$ billion“ die Rede ist, sind Milliarden Dollar gemeint).

Mit anderen Worten, die existierenden Modelle, mit denen immer noch die Funktionsweise und die Verläufe der Wirtschaft berechnet werden, sind völlig unzureichend.

Fortsetzung hier

#PreppoKompakt

Der Glaube an die Selbstheilungskräfte der Wirtschaft soll auch beruhigen. Werden riesige Konjunktur- und Zukunftspakete immer wieder notwendig, sind Zweifel geradezu angebracht.

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