Spitz-findig-keit #24

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstösse zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeit #24

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Letzten Sonntag, an dem sich die Spitzfindigkeiten der Musik widmeten, hatte ich „The Petersens“ vorgestellt. Ein Stück, das ich ganz besonders mag, heißt „You can’t make old friends“ (hier zu hören und zu sehen). Aber, das ist daraus zu folgern, sofern man welche hat: an sie denken, die Freundschaft pflegen, die alten Freunde, natürlich auch Freundinnen, besuchen – das kann man schon! Davon berichten/erzählen die Spitzfindigkeiten, die sich am 1. und 2. September so zugetragen haben.

1. Spitz-findig-keit

Bevor die Reise losgeht noch einem sehr guten Schul- und Studienfreund gratulieren, der heute Geburtstag feiert. Er lebt am Ammersee, hat sich aber auch eine Bleibe in den Marken aufgebaut, wo ich ihn irgendwann (?) besuchen werde. Die Geburtstagswünsche routiniert per E-Mail, das wie folgt endet: „Und wir sehen uns in 15 Tagen im Donautal. Herzliche Grüße Dein alter Freund Jürgen“. Denn im Donautal findet unser Klassentreffen vom Wirtschaftsgymnasium statt.

Dieses faszinierende Tal – eng, schmal und wieder weit, steil, aussichts- und abwechselungsreich mit einem mäandernden grünlichen Gewässer – hat auch unser kleiner Literaturzirkel, seit die Pandemie ein Thema ist, zum Ausgleich regelmäßig sonntags er/bewandert. Dabei läßt sich in freier Natur mit Barbara, Reinhard, Uschi oder auch Lidia über alles Mögliche reden und diskutieren, nicht nur über Thomas Mann oder Mascha Kaléko – und eben auch ein bescheidenes Gegengewicht zum Corona Virus schaffen.

Hängebrücke über die Donau im Fürstenpark

2. Spitz-findig-keit

Dann ins Auto, das mein Sohn aufgetankt und durchgecheckt hat, saubere Scheiben inklusive – sogar die Sonnenbrille hat er geputzt. Nach Wiesbaden um dort einen Freund und ehemaligen Arbeitskollegen abzuholen und mit ihm nach Frankfurt am Main zu fahren, wo wir eine Vernissage besuchen wollen. Die Fahrt sehr beschwerlich, mit einer Umleitungsempfehlung, auf der es selbst wieder stockt, in langen Schlangen mit LKWs und PKWs nur gemächlich vorangeht. In der hessischen Landeshauptstadt angekommen, sozusagen als Krönung, über weite Strecken im Schritttempo. Volle Straßen und kurze Ampelschaltungen kosten Zeit, der eingeplante Pfuffer schrumpft.

Helmut an Bord

Mit meinem Freund Helmut im Auto zurück auf die Autobahn zur Salzbachtalbrücke. Der wohl nur durch die Wachsamkeit von Menschen, die sie unterquerten und eine Absenkung um gut 30 Zentimeter erkannten, Risse und heruntergefallene Betonteile sofort meldeten, das Schicksal der Brücke in Genua vor drei Jahren – wo der Zusammensturz 35 Menschenleben forderte – erspart blieb. Helmut, der selbst bis Mitte 2013 als Stadtoberhaupt Verantwortung trug, spricht von chaotischen Verkehrsverhältnissen, die durch die notwendige Sperrung der Brücke vor 10 Wochen nun Spitzenwerte erreichen.

Wir erreichen „Die Galerie“ im Grüneburgweg 123 geringfügig verspätet. Nicht weit von hier hat übrigens Joschka Fischer in den 1970er Jahren recht unkonventionell die Grundlagen für seine so erfolgreiche politische Laufbahn gelegt. Den Grüneburgpark, der an den Campus der Goethe-Universität Frankfurt angrenzt, gab es allerdings schon vor ihm. Das Quartier/Viertel mit seinen stattlichen Bürgerhäusern pulsiert, Passanten, darunter Kinder, und viele Autos, E-Scooter, Fahrräder selbst mit Lasten – noch unsubventioniert – sind zu bestaunen.

Um Rissa zu überraschen

Ausstellungstitel „Rissa – ich male wieder“. Ihr Mann war Karl Otto Götz, Erfinder und Meister des Informel, dem parallel eine Kabinettausstellung gewidmet ist. Nach Frankfurt gebracht hat uns eine moderne Art von Brieffreundschaft, die sich aus einer Maskenbestellung von Frau Prof. Karin Götz im April letzten Jahres bei Preppo entwickelte. Nachdem ich von Rissa, so ihr Künstlername, von der Vernissage per Mail erfahren hatte, wollte ich sie überraschen. Helmut, von 2013 bis Oktober 2019 Geschäftsführer des Kulturfonds Frankfurt RheinMain, war sofort dabei.

Der Galerist Peter Femfert, den zum Ehepaar Götz eine langjährige Freundschaft verbindet, und seine beiden Mitarbeiterinnen Elke Mohr und Laura Colombini, erwiesen sich in jeder Hinsicht als sehr kompetent. Kunst – nicht nur die Natur – fasziniert mich, umso mehr wenn sie mir nähergebracht und anständig vermittelt wird. Die Kunst des Ehepaares Götz – so eigenständig, ja gegensätzlich sie erscheint, hat sich gegenseitig befruchtet. Wie auch der Kunsthistoriker Nikolas Jacobs feststellte, der die einführenden Worte zur Ausstellung sprach (hier der Link zur Galerie, von dort direkt zur Homepage von Rissa – und hier der virtuelle Rundgang durch die Ausstellung, samt Interview). Gott sei Dank, sage ich, malt Rissa wieder.

Rissa, Wüstentochter, Version II, 2009, Öl auf Leinwand, verkauft

3. Spitz-findig-keit

Meinen Rückweg von Wiesbaden aus nehme ich über die Pfalz, wo in Neustadt an der Weinstraße ein seit den Kindertagen vertrauter Freund lebt. Mit ihm geht es kurz vor 21 Uhr zum Essen, im Lokal wird er gleich von drei Tischen aus namentlich gerufen. Der gewiefte Kellner ist ein richtiger Spaßvogel, mit flotten Sprüchen. Und der Flammkuchen mit viel Speck, Sauerrahm und wunschgemäß weniger Zwiebeln schmeckt ausgezeichnet. Als ich beim Bezahlen sage: alles zusammen – fragt er, ob ich fürs ganze Lokal bezahlen möchte, und lacht herzerfrischend.

Dann ein tiefer, mit einer kürzeren Unterbrechung auch langer Schlaf. Und nach dem Frühstück ein sonniger, „luftgekühlter“ Spaziergang durch Spaliere von Portugieser Weintrauben mit Claus-Peter und einer Amerikanischen Dogge. Angenehm beruhigender Blick auf die Silhouette des Pfälzer Waldes mit Kalmit, Hambacher Schloss und Weinbiet. Mir vertraut, weil ich mit meinen Großeltern vor Jahrzehnten viele Wanderungen dort unternommen habe.

Lektüre im Innenhof des alten Winzeranwesens angesagt. Claus-Peter liest „Moneymakers“ von Harry Bingham und ich „Mädchen, Frau etc.„* von Bernardine Evaristo, die für diesen Roman 2019 den Booker Prize erhielt. Während Petra, der der Hund – an den man sich schnell gewöhnt – gehört, sich im Garten nützlich macht, wo sich zwei Ziegen tummeln. Später am Nachmittag schaut eine Nachbarin im rund 1000 Einwohner zählenden Ortsteil auf ein kühles Bier bei Claus-Peter herein. Verena ist eine gestandene Frau und praktizierend lesbisch, geradeso wie – welch Zufall – sozusagen im Dutzend im Roman von Evaristo beschrieben. Nur schwarz ist Verena nicht, auch nicht britisch sozialisiert – unser Gespräch unvoreingenommen, erfrischend und zudem aufschlußreich.

Amerikanische Dogge und Lektüre von Claus-Peter

Nach 19 Uhr der „Rücksturz zur Erde“, was erfreulich ganz entspannt abläuft. Ein kleinerer Stau vor Pforzheim sowie die Sperrung des Tunnels in Albstadt-Laufen entpuppen sich nicht als größere Zeitdiebe. Meine Familie hat mich wieder.

Und hier führt uns der Weg wieder ins Kryptoland.

#PreppoKompakt

Freundschaften erhalten und pfleglich damit umgehen. Dabei Dinge, die einem wichtig sind, nicht auf die lange Bank schieben. Das heißt kein „irgendwann“. Der Vorteil gewachsener Freundschaften ist sicherlich, dass räum- und zeitliche Trennungen oder Zäsuren in der Regel das gute Verhältnis nicht nachhaltig beeinträchtigen. Und wenn man zufällig jemanden trifft, der ähnliche Vorlieben hat, ehrlich, offen und Neuem gegenüber aufgeschlossen ist, dann kann sich auch aus dem Stand heraus eine Freundschaft entwickeln. Dafür ist es im Grunde genommen nie zu spät – und es beugt Einsamkeit vor!

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