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Nein, hier geht es nicht um die vielumworbene und besprochene Science fiction-Serie von Disney+. Deren erste neun Folgen sind von August bis Oktober letzten Jahres herausgekommen. Was geschieht, wenn …? ist eine stets interessierende, spannende Frage, mit durchaus überraschenden und erhellenden Antworten. So auch bei der Frage: Was geschieht, wenn die deutsche Industrie auf sämtliche bisherigen russischen Energielieferungen verzichten muss? What if? – die Frage, die aufgrund Putins Angriff auf die Ukraine seit dem 24. Februar 2022 ganz konkret und verstärkt im Raume steht. Die „Nachhaltigkeit und Resilienz“ sind davon existenziell tangiert.

Rissa - Gas 2022, Leinwandbild, zu What if?
Rissa – „Gas“ 2022, Acryl auf Leinwand, 80 x 100 cm, Privatbesitz

Was geschieht, wenn … ?

Diese Frage stellten sich auch die Wirtschaftsforscher des Münchener ifo Instituts und der Ludwig-Maximilians-Universität im März diesen Jahres – What if? The Economic Effects for Germany of a Stop of Energy Imports from Russia | Publication | CESifo (hier als Download herunterladbar).

Zusammengefasst kamen sie zu folgender Einschätzung. Auf kurze Sicht könnte es zu einer Reduktion des Bruttosozialprodukts (BSP) im Umfang von 0,5 bis 3 % führen. Bezogen auf den Energieträger Gas schätzen sie die Kosten von Umverteilung und Substitution von Gas in den unterschiedlichen Verwendungszwecken auf ungefähr 3 % des BSP. Allerdings vorausgesetzt, dass fiskalische und monetäre Maßnahmen bei der Lösung auftretender Probleme helfen. Konkret empfiehlt die Studie den schnellstmöglichen Ersatz fossiler Energieträger. Insgesamt wird geschlußfolgert, die wirtschaftlichen Effekte könnten erheblich sein, jedoch „manageable“ – das heißt letztlich beherrschbar.

Würzburg & Köln argumentieren gegen München

Zu einer anderen Einschätzung gelangt die brandneue Studie einer Gruppe von Naturwissenschaftlern und Ökonomen der Universitäten Würzburg und Köln, angeführt von Prof. emeritus Dr. Reiner Kümmel (vom 4. Juni 2022, hier mit der Möglichkeit zum Download – auf 19 Seiten und mit sehr vielen Formeln). Sie untersuchten die mathematischen Grundlagen des Modells der ifo-Studie mit deren strikt neoklassisch geprägter Gleichgewichtsökonomik.

Beitrag der Produktionsfaktoren Arbeit und Energie zum BSP

Abweichend von den neoklassischen Annahmen werden stark divergierende Beiträge für die beiden Produktionsfaktoren Energie und Arbeit und damit deren Bedeutung für das Wachstum des BSP verwandt. Darin ist die Rolle des Faktors Energie im Vergleich zum Beitrag des Faktors Arbeit wesentlich höher zu veranschlagen. Außerdem wird berücksichtigt, dass der fundamentale volkswirtschaftliche Beitrag des Faktors Energie darin liegt, wesentlich zur „Aktivierung des Kapitals“ beizutragen. Langfristig führt der immer weiter zunehmende, in die Produktionstiefe eindringende Einsatz von Energie zur grundlegenden Veränderung der gesamtwirtschaftlichen Produktions-Strukturen.

„In the longer run it is the combination of energy and increasingly automated capital that gradually replace human routine labor, thus driving what is called ‚productivity‘.“

Warum diese Vorgehensweise mehr Sinn macht

Entgegen der mitunter vertretenen Auffassung, dass die genaue Berechnung von diesbezüglichen Effekten mithilfe mathematischer Modelle nicht möglich sei, macht es Sinn, der Frage What if, .. ? auf diese Weise nachzugehen.

Siehe da: die genauere Untersuchung der Modellannahmen der ifo-Studie und deren Korrektur bezüglich des wesentlich höher zu veranschlagenden Produktionsbeitrages von Energie führen zu einer gravierenden Veränderung des Bildes. Die korrigierte Annahme, den Einsatz von Energie seiner tatsächlichen Bedeutung entsprechend in der industriellen Produktion in die Modellrechnungen aufzunehmen, führt zu wesentlich höher einzuschätzenden Rückgängen im BSP!

Was geschieht, wenn … – ein einfaches Gedankenexperiment

Da es in der Vergangenheit bisher keine vergleichbare Situation gab, stellen die Verfasser ein Gedankenexperiment an. Sie ermitteln die zu erwartenden Einbußen bei der industriellen Produktion durch vergleichende Berechnungen aufgrund der Finanz-Krise 2008/2009. Das führt letztlich zu der Erkenntnis, dass unter den Annahmen neoklassischer Gleichgewichtsökonomik, die Verluste in der industriellen Produktion damals in Höhe von 0,7 % errechnet worden wären. Tatsächlich lagen sie jedoch bei 13 %!

Die Gegenüberstellung der Ergebnisse zweier unterschiedlicher wissenschaftlicher Methoden bei der Beurteilung eines konkreten praktischen Sachverhaltes schärft das Urteilsvermögen. Dieses konkrete Beispiel verdeutlicht, dass die überwiegend angewandte Methode der herkömmlichen Wirtschaftswissenschaften zu erheblichen Fehleinschätzungen im wirtschaftspolitischen Entscheiden und Handeln führen kann. Und damit zu erheblichen Nachteilen für die Zukunft unserer Gesellschaft.

Und hier werden wir wieder extrem spitzfindig – Stichwort a.D.

#PreppoKompakt

Was kann, ja muss daraus konkret gefolgert werden: Uns begegnen in „Informationslawinen“ täglich ungeheure Mengen unüberprüfbaren Inhalts. Die Komplexität und Abstraktheit der zu verarbeitenden Nachrichten lässt uns meist ratlos zurück. Dennoch sind wir immer wieder in Wahlen aufgefordert „unsere Stimme“ abzugeben. Die hier erwähnte zweite Gruppe aus Ökonomen und Naturwissenschaftlern hat „ihre Stimme“ abgegeben und ist ihrer Verantwortung der Gesellschaft gegenüber nachgekommen. Indem sie ihre der orthodoxen Ökonomik überlegene Methode angewandt und damit ein präziseres Bild über die derzeitige Situation vermittelt hat. Dieses Beispiel sollte alle dazu animieren, unsere eigene Meinungsbildung hin und wieder selbstkritisch zu überprüfen!

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