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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute geht es zum Schluss um „uns Uwe“, nein nicht Seeler, vielmehr Bruder. Zuvor schauen wir uns zusammen etwas das zerrüttete, weil (?) zerredete und kaputt geschriebene Ost-West-Verhältnis in Deutschland an.
1. Spitz-findig-keit
Wenn wir einen klaren Standpunkt zu einem teutonischen Thema brauchen, lohnt der Blick in die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) aus der benachbarten Eidgenossenschaft. Am 17.6.2023 – ohne auf den Aufstand vor 70 Jahren Bezug zu nehmen – ist dort zu lesen: „Ostdeutschland wird im bundesrepublikanischen Diskurs seit der Wende als das Störende, Andere, Demokratieunfähige betrachtet.“ Als die Mauer 1989 fiel sagte Willy Brandt „Jetzt wächst zusammen, was zusammengehört“. Heute ist das kaum noch noch zu vernehmen.
Und weiter: „Es gibt nicht nur ein allgemeines Desinteresse an den ostdeutschen Anliegen. Bezeichnender noch ist die Abschätzigkeit, mit der führende Medien oder deutsche Fernsehfilme die Öffentlichkeit munter mit Stereotypen vom zurückgebliebenen Ostdeutschen unterhalten. Es bleibt dabei: Der Westen versteht den Osten bis heute nicht, aber er will ihn auch nicht verstehen.“
Und dann: „Jetzt ist einem Ostdeutschen, o Wunder, der Kragen geplatzt: Dirk Oschmann beschreibt in seiner Streitschrift ‚Der Osten: eine westdeutsche Erfindung‘ (Ullstein-Verlag, Berlin 2023), wie Deutschland eigentlich immer noch aus zwei äusserlich zusammengefügten Teilen besteht. Wobei der westliche Part selbstgerecht, angewidert oder einfach nur dumm, aber immer despektierlich auf seine Mitmenschen im Osten schaut, die ‚aufholen und sich normalisieren‘ müssten.“
Oschmanns „Pamphlet“ – die Probe aufs Exempel
„Wehe, einer aus dem Osten prangert den Westen im gleichen Ton an, dann reagieren sie im dortigen Justemilieu von ungehalten bis beleidigt.“ Claudia Schwartz balanciert das gekonnt aus, auch durch Hinweise wie: „Was Oschmann auch noch hätte erwähnen können: Es waren Intellektuelle wie die aus dem Osten stammende Schriftstellerin Monika Maron, die als Erste auf den durch Tabuisierung der Flüchtlingskrise, Gendersprache oder Pandemiemassnahmen verengten Meinungskorridor hinwiesen und dafür mit dem Stigma ‚rechts‘ bedacht wurden. Was heute breit diskutiert wird, erntete erst einmal Buhrufe, weil es eben von der falschen Seite kam.“
Und insoweit ist der gesamte NZZ-Artikel lesenswert, wie es auch viele der insgesamt 271 Kommentare sind. Der „beliebtesten“ Anmerkung – von Hans-Jürgen Merten, einem Westdeutschen – entnehmen wir: „In Ostdeutschland haben die Menschen ganz feine Antennen, was Einheitsmeinungen angeht, wie sie heute von der linken Journalistenblase im Sinne der Regierung(en) im Stil von Parteiorganen verbreitet werden. Die Ostdeutschen sind insofern bodenständiger, pragmatischer und wacher als das Westdeutsche Juste Milieu. Die Ostdeutschen fallen nicht auf die Verteufelungsversuche der linken Presse gegen das rechte Spektrum herein.“
2. Spitz-findig-keit
Die deutsch-deutsche Geschichte spiegelt sich auch in den beiden Währungen D-Mark und DDR-Mark/Tapetenmark wider, die im Juni 1948 begann und Mitte 1990 bzw. Anfang 2002 endete. Manfred Schäfers beschreibt gekonnt in faz-net vom 20.6.2023 dieses monetäre Paralleluniversum.
„Auf den Massenprotesten, die das Ende der DDR einläuten sollten, finden sich Plakate mit der Devise: ‚Kommt die D-Mark, bleiben wir, kommt sie nicht, geh’n wir zu ihr!‘ Sie kommt tatsächlich Mitte 1990, also noch vor der staatlichen Einheit. Es wird ein harter Schnitt. Nicht nur die DDR-Bürger bekommen das harte Geld, das sie sich gewünscht haben, sondern auch die Staatsbetriebe im Umbruch, die es damit noch schwerer haben, im globalen Wettbewerb zu bestehen. Aber das ist eine eigene Geschichte. Genauso wie der wenige Jahre später vollzogene Wechsel zur europäischen Währung. Anfang 2002 kommt mit dem Euro das Aus für die begehrten D-Mark-Scheine.“
3. Spitz-findig-keit
Der Maler Neo Rauch – wie der Literaturprofessor Dirk Oschmann aus Leipzig – besticht im Interview mit der NZZ vom 17.6.2023 (hinter Schranke) nicht nur mit seinen auch international hochgehandelten Bildern, sondern vor allem auch mit Gedanken über den gegenwärtigen Zustand unseres Landes, die ihm Benedict Neff einfühlsam entlockt.
Drei klare Bekenntnisse statt nur Schall und Rauch
1.“Es ist so, dass das Zeitgeschehen an mich anbrandet. Ich erlebe schlaflose Nächte, wenn ich an Deutschland denke und die Welt; dann bin ich um den Schlaf gebracht. Es geht mir alles sehr nahe, ich bin sehr dünnhäutig geworden. Und dieser Ort hier, das Atelier, in dem wir uns jetzt befinden, ist mein sicherer Hafen. Hier entwickle ich einen Gegenentwurf zu all dem, was mich nächtens bedrängt. Mein Atelier ist die Anti-‚Tagesschau‘. Und deswegen bin ich immer voller Unverständnis für Kollegen, die meinen, sie müssten die ‚Tagesschau‘ einfach noch einmal mit künstlerischen Mitteln nachbereiten. Wo finden die dann ihren Frieden?“
2. „Ja. Wir schaffen uns gerade als Industrienation ab. Wir nehmen uns vom Netz, verabschieden uns aus der Riege der ernstzunehmenden Völker. Und tun das mit Verve, Lust und Hingabe, mit religiöser Glückseligkeit. Ich kann da nur fassungslos neben diesen Vorgängen stehen und mir sagen: Solange ich hier im Atelier noch das Licht anschalten kann, ist alles gut.“
3. „Ich liebe dieses Land, seine Geschichte, seine Kultur. Ich fühle mich eng verwoben auch mit seinen Schicksalslinien, die auch in Dunkles, Ungutes sich zurückverfolgen lassen. Ich leide auch an diesem Schicksal und spüre eine gewisse Verantwortung. Keine Schuld natürlich: Es wäre lächerlich, wenn ich als 1960 Geborener irgendwelche Schuldkomplexe hätte. Aber ich spüre Verantwortung, und ich sehe Deutschland nicht in guten Händen.“
NZZ-Kunstausgabe mit Bildern von Neo Rauch
Die NZZ hat eine Kunstausgabe geschaffen, die maßgeblich mit Bildern von Rauch gestaltet ist. Auf die Frage, was ihn daran interessiert hat, die Antwort: „Ich habe etwas Ähnliches einmal mit der ‚Welt‘ gemacht, und das war eine schöne Erfahrung. Ich habe damals nur das Bildmaterial geliefert, den Gestaltungsprozess haben die Redaktoren gemacht. Das Faszinierende war, dass meine Bilder zu den Artikeln immer perfekt gepasst haben. So, als hätte ich in vorauseilendem Gehorsam schon eine Illustration des Textinhalts geliefert.“
Widmung
Meinem „kleinen“ Bruder gewidmet, der im großen Freundeskreis heute am Elbdeich in Unbesandten/Brandenburg seinen 60. Geburtstag feiert. Die Elbe bildet dort die Grenze zu Niedersachsen. Der waschechte Schwabe arbeitet in Wolfsburg und lebt in Hamburg.
Und hier geht es weiter zur #120.
#PreppoKompakt
Nach meinem begrenzten Erfahrungsschatz – Besuche in Dresden, Freunde und Bekannte aus den „neuen“ Bundesländern, Zusammenarbeit mit DDR-Delegation im Umweltschutz – gehören Ost und West zusammen. Die von Parteien gegenwärtig gezogenen Grenzlinien sind – auch angesichts des Rückgangs von Mitgliederzahlen – künstlich und damit leichter überschreitbar. Sich von der Gewalt an den beiden Rändern des politischen Spektrums klar distanzieren, den gesunden Menschenverstand walten und sich nicht in die Enge treiben lassen, nur weil die AfD eine ähnliche Position vertritt. Ja, sich vom Mut derjenigen Deutschen anstecken lassen, die es nach Kriegsende 1945 viel schwerer hatten, weil sie erst eine kommunistische Planwirtschaft abschütteln mussten. Was gut für die breite Mitte ist, ist gut für die gesamte deutsche Gesellschaft. Eigentlich die Stunde einer Volkspartei. Was dem im Wege steht, was es zu überwinden gilt, Werner Patzelt hat es hier beschrieben. Und auf seiner Seite – PP Patzelts Politik – allein in diesem Monat in drei Beiträgen daran elaboriert.