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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute beschäftigen wir uns lieber mit besonderen Figuren – männlichen wie weiblichen, künstlichen und lebenden.
1. Spitz-findig-keit
Am letzten Mittwoch konnte Mick Jagger von den Rolling Stones gesund und munter seinen 80. Geburtstag feiern. Seit 61 Jahren turnt der am 26. Juli 1943 in Dartford/Kent geborene „Frontmann“ weltweit auf den Konzertbühnen herum. Der „Tausendsassa“ ist nicht nur Vorbild für unzählige Gesangskünstler, er textet auch, organisiert die Auftritte, entwirft Bühnenbilder und kontrolliert nichtzuletzt die Finanzen der Stones. Den bislang veröffentlichten 25 Alben soll in Kürze ein weiteres Rolling-Stones-Album folgen. „Auch privat soll es Jagger in den vergangenen Jahrzehnten bunt getrieben haben. Aus seinen Beziehungen, Affären und Ehen hat Jagger insgesamt acht Kinder. Sein jüngster Sohn Deveraux ist sechs Jahre alt – und damit zwei Jahre jünger als sein Urenkel Ezra.“ So im Faz-net „Frühdenker“-Newsletter vom 26.7.2023 beschrieben.
2. Spitz-findig-keit
Gleichen Tags berichtet die NZZ (hinter Schranke) über eine „entsorgte Frauenfigur“ (siehe nachfolgendes Bild) an der Europa-Universität in Flensburg. Sogar bis in die Tagesschau vom 24.7.2023 hat es die 1,20 Meter große Bronzefigur „Primavera“ des Bildhauers Fritz During geschafft. Diese „… zeigt eine nackte Frau mit breitem Becken, das eine Bein hat sie etwas vorgeschoben, die Arme über dem Kopf verschränkt.“ Weil einigen Studentinnen und Wissenschaftlerinnen der Anblick mißfiel, sie sich beim Anblick der Nackten mit dem gebärfreudigen Becken unwohl fühlten, wurde sie vom Sockel „gestossen“, das heißt entfernt. „Ein anderer Name für Universität ist die lateinische Bezeichnung Alma Mater, was übersetzt ‚gütige, nährende Mutter‘ heisst. Fragt sich, wie lange noch.“ So formuliert es ganz spitz Birgit Schmid, die Feuilleton-Redakteurin der NZZ.
Nun fordert eine Petition die Rückführung der Statue an ihren ursprünglichen Ort. Zum einen habe die Universitätsleitung den Senat übergangen und eigenmächtig entschieden, zum andern wird eine Diskussion über die Kunstfreiheit gewünscht. Ein studentischer Vertreter im Senat, Janko Koch, bemängelt, es könne „… nicht sein, dass eine Minderheit darüber entscheidet, was für Kunst an der Uni ausgestellt werden darf.“ Bisher hätten 1300 Leute die Petition unterzeichnet, darunter auch viele Studentinnen.
3. Spitz-findig-keit
Im Buch der Tagebücher (von uns immer wieder bemüht, zuletzt in der #123) ist am 30. August 1948 aus Berlin der folgende Eintrag des Dichters und Mediziners Gottfried Benn (1886-1956) festgehalten (S. 409 und S. 618 zur Person): „Wer Strophen liebt, der liebt auch Kata-strophen. Ich bin für Statuen, aber ich bin auch für Zerstörung von Statuen, über weißen Trümmern, auf denen ein Pfau wandelt, hängt gern mein Blick.“ Nulla dies sine linea – kein Tag, ohne eine Linie -, diese lateinische Phrase war, auf das Tagebuchschreiben übertragen, wohl sein Motto. Demzufolge ist die Zerstörungsfantasie so kurz nach Ende des 2. Weltkriegs sicherlich kein für andere Personen ernstgemeinter und ernstzunehmender Ratschlag.
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#PreppoKompakt
Die Figuren-Verbannung wirft eine Menge weiterer Fragen auf. Beispielsweise, was machen wir mit all den menschlichen Wesen, die eben eine solche Figur haben? Steckt nicht etwa der Neid der Betrachter oder schlicht ein etwas schlichteres Gemüt hinter einer solchen Entsorgungsaktion? Vor allem ist das Ganze nicht schon rassistisch, wenn Mann/Frau an den Körperbau afrikanischer Frauen denkt. Und haben sich nicht die Menschen, die die Figur 1956 aufgestellt haben, etwas dabei gedacht? Warum hat es denn 65 Jahre gedauert, bis Primavera im Foyer der Europa-Universität zum Problem wurde? Birgit Schmid erkennt darin richtigerweise ein weiteres Beispiel „… für die illiberalen Irrungen und Wirrungen an den Universitäten.“