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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute geben wir wieder einmal der Musik breiten Raum. Und entdecken die dahinter stehenden Persönlichkeiten – im Falle Dalida, nach gut drei Jahrzehnten, wieder. In den beiden anderen Fällen gänzlich neu.
1. Spitz-findig-keit
Auf ARTE erinnert eine Dokumentation mit dem Titel „Dalida, meine Schwester“ an die am 17. Januar 1933 in Kairo in eine Musikerfamilie hinein geborene italienisch-ägyptische Sängerin, die bürgerlich Iolanda Cristina Gigliotti hieß. Ihr berufliches Leben in Paris, ihr Sterben – auch das ihrer drei Lebensgefährten zuvor – wird in rund einer Stunde beleuchtet. Dazu gibt es, in gleicher Länge, ihre erfolgreichsten Lieder aus vier Jahrzehnten zu hören. Und samt ihrem grazilen Tanz zu bewundern („Dalida Forever!“ hier, wie die Dokumentation allerdings nur bis zum 1.11.2023 verfügbar).
Tragik
„Es ging ihr der Ruf nach, eine Jettatrice gewesen zu sein.“ Dieser Schlusssatz in der detaillierten Biographie von Dalida auf Last.fm lädt Schuld auf, wo eher von Tragik zu sprechen ist. Nach Wikipedia ist Jettatore u.a. im neapolitanischen „… Volksglauben ein Mensch, meist ein Mann, der Unglück bringt, ohne selbst zwangsläufig böse zu sein.“ Drei Männer starben durch Suizid, bevor sie am 3. Mai 1987 diesen Weg ging. Ihr drei Jahre jüngerer Bruder Bruno Gigliotti, alias Orlando, war eine eminent wichtige Bezugsperson, in der gemeinsamen Lebenszeit sowie künstlerisch, sogar über ihren Tod hinaus. Tragisch war auch, dass Dalida nach einer unsachgemäßen Abtreibung keine Kinder mehr bekommen konnte.
Eigene Erinnerungen
Meine Erinnerungen erwachen bei vielen ihrer Lieder. Dabei dominieren eher die Melodien. So bei „Paroles, paroles“ zusammen mit Alain Delon, weniger die optischen Eindrücke, erst recht nicht das Sprachverständnis. Bei zwölf Sprachen in denen Dalida sang, auch kein Wunder. Beeindruckend heute, wie tänzerisch ausdrucksstark, stimmlich edel und ohne erkennbare Anstrengung sie auftrat. Damals purzelten alle Rekorde bei den Verkäufen – laut WELT vom 9.8.2023 über 140 Millionen Tonträger mit rund 1000 Liedern – und den Platzierungen ihrer Schallplatten. Wofür sie auch unzählige Preise erhielt. Bei den in Deutsch gesungenen Liedern, wie „Am Tag, als der Regen kam“ und „Er war gerade 18 Jahr“ sind die Erinnerungen hellwach. Bei „Mein lieber Herr“, in dem Dalida sich auch ein kleinwenig an der Aufarbeitung der Weltkriegsgeschichte einschließlich der deutsch-französischen „Erzfeindschaft“ beteiligt, gibt es eine kurze Sequenz, die die Ergriffen- und Betroffenheit der Zuhörerinnen und Zuhörer damals erstklassig wiedergibt („Dalida Forever“ ab 45:38 nur 20 Sekunden lang).
2. Spitz-findig-keit
Die NZZ vom 6.8.2023 (hinter Schranke) stellt an deren 90. Geburtstag eine griechische Sängerin vor, die auf dem Höhepunkt ihrer Kunst abgetreten ist. Dabei hatte Antigone Sgourda einen beachtlichen Wirkungskreis. „Nach Anfängen in Bonn und Essen gehörte sie parallel zu ihrem Zürcher Engagement dem Ensemble der Städtischen Bühnen Frankfurt an, sie gastierte an den Staatsopern von München, Hamburg und Wien, im Teatro La Fenice in Venedig, bei den Festspielen von Edinburg, Glyndebourne und Schwetzingen, beim Holland Festival und in ihrer Heimatstadt Athen.“
In ihren sechzehn Züricher Jahren – von 1966 bis 1982 – brillierte die Sopranistin in Opern von Puccini, Verdi, Mozart, Massenet, Gounods, sang außerdem die Titelrollen in Dvořáks „Rusalka“ und Janáčeks „Katja Kabanowa“. Sicherlich keine Weltkarriere, deshalb existieren wohl auch nur ganz wenige Tondokumente. Eines dieser seltenen Stücke (knapp sechsminütig) ist auf YouTube festgehalten. In Mozarts „Don Giovanni“, zweiter Akt, singt sie „Non mi dir“. Und wird begleitet vom „English Chamber Orchestra“ unter dem Gastdirigenten Daniel Barenboim.
Noch nicht fünfzigjährig kehrte sie 1982 nach Athen zurück und trat kaum mehr auf. „Man darf nicht zwei Dinge schlecht tun, sondern muss eines gut tun, und für mich als alleinerziehende Mutter war mein Kind das Wichtigste.“ Bei gelegentlichen Auftritten in Athen realisierte sie, dass man auch nicht nur ein bisschen singen kann. „Man muss es hundertprozentig oder gar nicht tun.“ So wurde aus der Sängerin die Gesangspädagogin Antigone Sgourda, die schlussfolgert: „Denn für mich besteht eine Sängerlaufbahn aus drei Stadien: Lernen, Singen, Weitergeben – sofern man dies kann.“
3. Spitz-findig-keit
Vielleicht war es so auch im Hause der Swifts. Denn die Großmutter mütterlicherseits war Opernsängerin und inspirierte ihre Enkelin schon früh. Meine ersten Begegnungen mit der 1989 geborenen Taylor Swift im Internet vor wenigen Tagen mit „Mine“ aus 2006 sowie dem Album „Red“ aus 2012, in Nashville/Tennessee vor kleinem Publikum vorgetragen. Dazu nun, der Kontrast könnte nicht größer sein, ihre sogenannte „Eras Tour“ mit dem Auftritt im Levi’s Stadion in Santa Clara, Kalifornien, am 28. Juli 2023, vor 15 Tagen (auf YouTube knapp drei Stunden lang mit über 40 Liedern und wohl ebenso vielen Kleidchen festgehalten. Übrigens wird ihr Song „We Are Never Ever Getting Back Together“ aus dem Red-Album 2012 – in rot getaucht, mehrstimmig, getanzt in aufwändiger Bühnentechnik – ebenfalls dargeboten, ab 1:30:10).
Faz-net vom 3.8.2023 berichtet über die Tour, die neue Maßstäbe setzt. „Nach den 52 Stadionkonzerten in den USA seit Mitte März stehen die Shows in Lateinamerika an. Es folgen Australien und Asien, bis Swift Anfang Mai 2024 in Paris den Europa-Part der Tour einläutet.“ Für Oktober 2024 wurden „… 15 weitere Shows in Kanada und den USA angekündigt. Mit den damit nunmehr insgesamt 146 Auftritten – zu den ursprünglich angekündigten Shows kamen schon zuvor diverse ebenfalls wenig verwunderlich schnell ausverkaufte Zusatzkonzerte hinzu – dürfte sie alleine mit Ticketeinnahmen mehr als eine Milliarde Dollar einnehmen.“
Entsprechende Hochrechnungen/Schätzungen stehen im Raum. Bei einem durchschnittlichen Ticketpreis von 253 Dollar, mit knapp 54.000 verkauften Karten je Auftritt, mal den 146 Konzerten, wären das knapp unter zwei Milliarden, plus den Dollars aus dem lukrativen Verkauf von Fanartikeln. Davon haben Mitglieder der US-Crew offenbar einen stattlichen Bonus für ihre Arbeit erhalten. Jeder Lastwagen-Fahrer auf der Tour bekam einen Scheck in Höhe von 100.000 Dollar. Verdientermaßen, denn es steckt schon ein gewaltiger körperlicher, geistiger, finanzieller und logistischer Aufwand in diesen „Wanderausstellungen“.
Und hier geht es weiter – den Bach runter.
#PreppoKompakt
Was für eine Mischung, welch ein Kontrast und doch auch viel Gemeinsames. Drei außergewöhnliche Sängerinnen aus drei Kontinenten mit unterschiedlichsten Lebensläufen und Schicksalen, alle bewundernswert. Welche ablesbare Entwicklung, auch was die mediale Verbreitung und die Inszenierung der Auftritte anbelangt. Und doch auch erstaunliche Parallelen in den Auftritten von Dalida und Taylor Swift. Der Tanz, die Bewegung, nicht zuletzt die Vielfalt der Musikstile. Aber allen gemein die fast grenzenlose Freude, die spürbar von der Musik auf die Menschen übergeht.