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Spitz-findig-keit #183

9 minutes

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute fangen wir dafür traurig an und enden, je nach der politischen Einstellung und Feinfühligkeit für gesellschaftliche Verhältnisse mehr oder weniger stark ausgeprägt, ebenso. Aber unsere Hoffnung und Zuversicht sowie den Mut, die Dinge wieder ins Positive/zum Guten zu wenden, lassen wir uns natürlich nicht nehmen. Als räumlichen Schwerpunkt haben wir die Stadt der Liebe gewählt.

1. Spitz-findig-keit

Aus dem „Buch der Tagebücher“ ein Eintrag von Harry Graf Kessler aus Paris im Jahre 1927, das heißt heute vor genau 97 Jahren (S. 436-437, zur Person S. 637-638):

„Die unglückliche Isadora Duncan ist gestern abend im Auto von ihrem eigenen Shawl, der sich in ein Hinterrad verwickelt hatte, erdrosselt worden. Ein tragisch-schicksalhafter Tod: der Shawl, der im Tanz ein so wesentlicher Teil ihrer Kunst war, hat ihr den Tod bereitet. Ihr Requisit und Sklave hat sich an ihr gerächt. Selten ist eine Künstlerin so tragisch umwittert gewesen und so aus ihrem eigensten Lebensschicksal heraus tragisch geendet: ihre beiden kleinen Kinder in einer Autokatastrophe umgekommen, ihr Mann, Jessenin, durch Selbstmord geendet, sie selbst jetzt in dieser Weise durch ihr eigenes Requisit, fast wie aus Rache, umgebracht.“

Harry Graf Kessler, 1868 in Paris geboren und 1937 in Lyon gestorben, war ein deutscher „… Kunstsammler, Mäzen, Weltreisender, Diplomat, Politiker, Essayist und ein Dandy, aber vor allem war er ein Menschensammler.“ Das über 10.000 handschriftliche Seiten umfassende Tagebuch mit sehr vielen prägnanten Charakterstudien bekannter Persönlichkeiten liegt erst seit 2018 vollständig in neun Bänden vor. Es kann auch als Online-Ausgabe – herausgegeben von Roland S. Kamzelak, Deutsche Schillergesellschaft, Marbach am Neckar 2019, EdView Version 1.0.1 vom Februar 2024 – hier abgerufen werden (Hinweis im umfänglichen Wikipedia-Artikel über Kessler unter Schriften).

„Am Abend vor dem Tode ihrer Kinder war ich in ihrer Loge im russischen Ballett; sie lud mich zum nächsten Tag zum Frühstück nach Neuilly ein, ich musste absagen, weil Hermann Keyserling im Saal war u. ich mich mit ihm verabredet hatte. Die Kindchen sollten mir nach dem Frühstück vortanzen. Ich habe immer das Gefühl gehabt, als ob auch hier das Schicksal eine Hand im Spiele hatte, dass die Kinder, wenn ich das Frühstück angenommen hätte, nicht umgekommen wären.“

Dieser Gedanke ging Kessler ganz offensichtlich nach.

Tragik

Zur Tragik um Isadora Duncan gibt es einen über 10 Jahre alten Artikel aus der NZZ vom 7.5.2014. Auch auf Wikipedia ist ein lesenswerter Beitrag über sie zu finden. Ansatzweise kommt mir da die Sängerin Dalida in den Sinn, mit der wir uns in der #126 beschäftigt haben: ihr tänzerisches Talent, ihre ungewollte Kinderlosigkeit, ihr Suizid in Paris, nachdem ihr drei Männer auf gleiche Weise vorausgegangen waren.

2. Spitz-findig-keit

Wir bleiben in Paris – mit den im Kopf behaltenen eindrucksvollen Bildern aus der Hauptstadt während der Olympiade 2024, wie auch den Paralympics, die erst vor einer Woche zu Ende gegangen sind. Die Freude bei den Zuschauern, Sportlern und den freiwilligen Helfern beiderlei Geschlechts vor solch einer Kulisse war mit Händen zu greifen, die erbrachten Höchstleistungen während der jahrelangen Vorbereitung und bei den Wettkämpfen faszinierten. Auch die Trauer bei verpassten/-patzten Auftritten war echt, nicht gekünstelt – und sagt über die Paralympioniken weit mehr aus, wohl auch weil kein Geld im Spiel ist, die Belohnungen für alle nicht-monetär sind. Sehr anrührend auf alle Fälle. Die Platzierung im Medaillenspiegel – Platz 11 für Deutschland auf der ZDF-Sportstudio-Seite festgehalten – eher zweitrangig.

Paris im Roman ein Jahr zuvor

Marion Messina, Jahrgang 1990, beschreibt in „Die Entblössten„* (Hanser, München 2024, 175 Seiten, 23 €; im Original „La peau sur la table“, Fayard, Paris 2023) eine andere Welt. Ihre Protagonisten erleben wie sich in Paris und anderen Teilen Frankreichs, ausgelöst durch die Selbstverbrennung des Studenten Enzo Brunet ein breiter Protest ausbildet, der nach dem gewaltsamen, von Polizisten zu verantwortenden Tod des 32jährigen Ingenieurs Vincent Pereira in der Nähe des Rathauses im 19. Arrondissement und der Polizeipräfektur in Gewalt umschlägt und 700.000 Menschen auf den Champs Élysées zusammenbringt. „Der Radau weicht einer Oper von Detonationen; Körper gehen zu Boden.“ (S. 118).

Mit dabei auch Paul Boniteau und Aurélian aus der Ardèche in Südfrankreich, ohne eine Bahnsteigkarte gelöst zu haben (siehe unten). Der Protest richtet sich gegen die Präsidentin, deren Name im ganzen Buch nicht auftaucht, wohl nicht zufällig eine Frau. Sie hat unter anderem Drogen legalisiert, die Bewertungen am Ende der Grundschule abgeschafft, die Marseillaise als Nationalhymne durch die Ode an die Freude ersetzt. Und um den Protesten Herr zu werden, das Kriegsrecht ausgerufen. Paul und Aurélian finden ihr Ende auf dem Nachhauseweg mit dem Auto an einer Straßensperre durch Christiane, einer Freiwilligen aus einer Amateur-Brigade, die letzteren erschießt und anschließend Paul, denn „… er darf nicht reden können.“ (S. 171). Womit auch die Geschichte endet.

3. Spitz-findig-keit

Auf der Achse des Guten vom 6.9.2024 glänzt die Kabarettistin Monika Gruber mit einer beißenden Analyse. Das „Zwanzigjährige“ der Achse nutzt sie zum einen, um deren Macher und Macherinnen zu motivieren, genauso kritisch und professionell weiterzuarbeiten, das heißt sich nicht einlullen oder gar einfangen zu lassen. Zum andern, um die in den letzten zwanzig Jahren eingetretenen Fehlentwicklungen klar zu benennen, auch wer diese verursacht hat. Folgenden Gedanken hält sie unter der Überschrift „Entrückte Bundeskanzlerin mit aberwitzigen Allmachtsphantasien“ fest:

„Wie konnte es so weit kommen? Wie konnten wir als Bürger dieses Landes das alles geschehen lassen? Ehrlich gesagt: Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Was in den letzten 20 Jahren passiert ist, lässt sich in der ganzen Dimension seiner Blödheit wahrscheinlich erst in einigen Jahren, wenn nicht Jahrzehnten erfassen. Deshalb weiß ich auch, dass ich mich ohne die Lektüre von ‚Achgut‘ entsetzlich verloren fühlen und mich täglich fragen würde, ob nicht ich diejenige bin, die den Verstand verloren hat.“

Ein Kommentar

Nur einer von 113 Kommentaren: „Danke, liebe Gruberin, für diesen Mutmacher. Leider steckt dieses Land bereits seit langem so tief in der S…… (JG), dass es mindestens zweier der Sorte Herakles bedürfte, um eine Wende zum Guten herbeizuführen. Dennoch – es geschehen gelegentlich noch Zeichen und Wunder. Vielleicht bequemt sich dieses saturierte dumme Volk ja doch noch, gegen unsere desaströse Regierung auf die Straße zu gehen und mächtig auf den Putz zu hauen, ohne vorher eine Bahnsteigkarte zu lösen. Man soll die Hoffnung eben nie aufgeben. Binse: Dum spiro spero! Allen ein schönes Wochenende. Und von Ihnen, liebe Monika Gruber, wünsche ich mir eine dauerhafte Zusammenarbeit mit der Achse, die ich ebenso brauche wie Sie, um emotional ‚an Deck‘ zu bleiben. Tausend Dank und ein Bussi dafür im voraus“.

So am Erscheinungstag Uta Buhr, die – nach Cicero – solange sie atmet, hofft.

#PreppoKompakt

Oder eben, „die Hoffnung stirbt zuletzt.“ So wie an diesem 9. September Caterina Valente, derzufolge ganz Paris – wo sie am 14. Januar 1931 geboren wurde – von der Liebe träumte. Würdige Nachrufe auf den singenden und tanzenden Weltstar am 11.9.2024 auf faz-net (hinter Schranke) und im DerStandard, mit den spannenden Lebensumständen und eindrücklichen Beispielen aus ihrem riesigen, in elf Sprachen vorgetragenen Repertoire. Dabei kann Mann/Frau ruhig ein paar Tränchen verdrücken und sich ins Kondolenzbuch eintragen. Wer noch mehr schöne Erinnerungen wachrufen möchte, der kann sich auf YouTube 111 Minuten lang anschauen, wie diese außergewöhnliche Künstlerin ihr 50jähriges Bühnenjubiläum – in Stuttgart, wo 1936 alles anfing – begangen hat. Caterina Valente – RIP.

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