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Es geht um Energie. Helmut Federmann (HF) hat ein gutes Jahr lang intensiv an der Herausgabe zweier Bücher zu dieser grundsätzlichen Thematik mitgearbeitet. In deren Zentrum steht Frederick Soddy, ein englischer Chemieprofessor und Nobelpreisträger seines Faches in 1921. Ohne gleich Universalgelehrter zu sein, nutzte Soddy sein naturwissenschaftliches Wissen, um der Ökonomik aus einer Sackgasse herauszuhelfen. Die herrschende Lehre – heute mit dem Anglizismus Mainstream umschrieben – machte und macht bis dato jedoch davon fast keinen Gebrauch. Auf meine Bitte hin hat Helmut Federmann die fundamentalen Unterschiede im Gedankengebäude von Frederick Soddy in verständlicher Art und Weise und beschränkt auf fünf zentrale Punkte herausgearbeitet. Demgemäß kann dies auch als Einstieg in die Thermodynamik verwandt und mit den beiden Publikationen vertieft werden.
Gesetze der Wärmelehre
Die Gesetze der Schwerkraft, der Erdanziehungskräfte, sind uns von Kindesbeinen an selbstverständlich. Wir werden an sie dann erinnert, unter Umständen schmerzhaft, wenn wir einmal stolpern und hinfallen. In gleicher Weise aber begleiten und bestimmen unseren Lebensalltag die Gesetze der Wärmelehre. Sie sind uns in ihren grundlegenden und lebensbestimmenden Aussagen allerdings weit weniger gegenwärtig als die zuvor genannten Naturkräfte.
Worum handelt es sich dabei?
Es geht um Energie. Mit Energie wurden im 18. und 19. Jahrhundert Naturkräfte bezeichnet, über deren Entstehung und Wirkungen sich die Wissenschaft noch lange nicht im Klaren war. Erst im ausgehenden 19., beginnenden 20. Jahrhundert wurde sich die Wissenschaft darüber einig, was darunter zu verstehen war, und entwickelte das Konzept der Energie.
Frederick Soddy (1877-1956) schreibt 1920 über Energie und Vermögen: „Energie, so mag mancher sagen, sei eine bloße Abstraktion, ein bloßer Begriff, keine reale Sache. Wie auch immer. In dieser Hinsicht, wie auch in vielen anderen, ist sie wie eine Abstraktion, der niemand die Realität absprechen würde, und diese Abstraktion ist der Vermögensbegriff. Vermögen (wealth) ist die Kaufkraft, so wie Energie die Arbeitskraft darstellt. Ich kann Ihnen die Energie nicht zeigen, nur ihre Auswirkungen. Ich kann Ihnen Vermögen nicht zeigen, nur seine Auswirkungen und sein rein auf Konventionen beruhendes Symbol: Das Geld. Geld ist kein Vermögen für einen hungernden Menschen an einem verlassenen Ort. (…) Abstraktion hin oder her, Energie ist genauso real wie Vermögen – ich bin mir nicht sicher, ob es sich nicht vielmehr um zwei Aspekte derselben Sache handelt. Das eine treibt die menschliche Tätigkeit in Handel und Produktion an, das andere bewegt die Körper des gesamten Universums.“
Hauptsätze der Thermodynamik
Ein Teilgebiet innerhalb dieses neu geschaffenen Wissens betrifft die sogenannte Wärmelehre, auch Thermodynamik genannt. Zwei Erkenntnisse aus diesem Teilgebiet sind für das tägliche Leben in ihren Wirkungen und Folgen mindestens genauso wichtig und ebenso schwerwiegend, wie die Gesetze der Schwerkraft.
Erster Hauptsatz
Damit wird die Tatsache beschrieben, dass Energie niemals erzeugt oder vernichtet werden kann. Sie ist in den ersten Hauptsatz der Thermodynamik, den Energieerhaltungssatz, gefasst. Demzufolge kann Energie immer nur von einer Erscheinungsform in eine andere umgewandelt, konzentriert und verstreut werden.
Zweiter Hauptsatz
Die zweite grundlegende Erkenntnis begegnet uns im zweiten Hauptsatz der Thermodynamik – dem Entropiegesetz: Darin wird der Umstand beschrieben, dass in einem völlig abgeschlossenen System bei jeder vollzogenen Energieumwandlung ein gewisser Anteil der eingesetzten Energie unwiederbringlich verloren geht.
Dies soll folgende Überlegung verdeutlichen: „Stellen wir uns einen perfekt isolierten Raum vor, in dem ein Ofen steht, in dem Kohle verbrannt wird. Die chemische Bindungsenergie der Kohle wird in Wärme verwandelt. Die Energie in dem System ‚Ofen‘ nimmt im selben Maße ab, wie die Energie im ‚restlichen‘ Raum zunimmt. In dem Gesamtsystem ‚Raum‘ (inkl. Ofen) bleibt die Energie konstant. Die Form des Vorliegens der Energie hat sich allerdings geändert. Chemische Energie hat sich in thermische umgewandelt, verbunden mit einer Zunahme der Entropie (der Vorgang ist ohne zusätzliche Energie ‚von außen‘ nicht mehr rückgängig zu machen).“[1]
Unterschiede zwischen Mainstream und naturwissenschaftlicher Ökonomie
Über das Entropiegesetz wird mitunter gesagt, dass ihm die erste Stelle unter den Naturgesetzen gebührt. Was sind denn die fünf wesentlichsten Unterscheidungsmerkmale zwischen der herkömmlichen, dominierenden „Mainstream Ökonomie“ – nachfolgend abgekürzt main Ö. – und der „ökologischen/naturwissenschaftlichen Ökonomie“ – abgekürzt natur Ö.?
Erstens
Die natur Ö. verfolgt einen ganzheitlichen (holistischen) Ansatz und berücksichtigt bei der Behandlung wirtschaftlicher Fragen explizit die Bedeutung des Einsatzes und der Nutzung natürlicher Rohstoffe und sogenannter “ökologischer Dienstleistungen“ (ecological services). Daraus hat sich beispielsweise das Konzept des „ökologischen Fußabdrucks“ als einer Maßgröße für die Belastung der Natur durch ökonomische Aktivitäten der Produktion und des Konsums entwickelt.
Die main Ö. versucht diesen Aspekt durch kostenmäßige Bewertungsmethoden im Rahmen von Kosten-Nutzen-Rechnungen in das bisherige methodische Schema zu integrieren. Ihr wird deshalb „Reduktionismus“ vorgeworfen. Das heißt, in dem gesamtwirtschaftlichen Rechnungsschema des Bruttosozialproduktes finden die qualitativ nachteiligen Veränderungen in Bezug auf die Natur keine quantifizierte Berücksichtigung.
Zweitens
Die main Ö. arbeitet zwar mit einer „Produktionstheorie“. Im Gegensatz dazu hat die natur Ö. explizit eine „Theorie der Produktion“ entwickelt. In diesem Vorgehen wird der Input von Rohstoffen in seinen qualitativen Aspekten berücksichtigt und in seinen biophysikalischen Wirkungen bewertet.
Die – üblicherweise – in der main Ö. verwendeten gesamtwirtschaftlichen Produktionsfunktionen vernachlässigen die überragende Bedeutung des, in den vergangenen Jahrzehnten exponentiell gestiegenen Anteils fossiler „Energie“ in der industriellen Produktion.
In der natur Ö. werden der Produktionsprozess und seine Inputfaktoren auf der Grundlage biophysikalischer Gesetzmäßigkeiten qualitativ – und zunehmend quantitativ (wie die Maßgröße ökologischer Fußabdruck) bewertet. Daraus ergibt sich in Bezug auf die Betrachtung und die Modellierung des Forschungsrahmens über wirtschaftliche Prozesse ein paradigmatischer Wechsel!
Es entwickelt sich eine wissenschaftlich grundlegende Änderung der Sichtweisen, des Verständnisses der Strukturen und Prozesse, der Beurteilung und Bewertung der daraus entstehenden Wirkungen und des Verstehens der Gesamtzusammenhänge.
An die Stelle der in der main Ö. gängigen Metapher „Güter – Geld – Wirtschaftskreislauf“, tritt in der natur Ö. die Vorstellung über die wirtschaftlichen Vorgänge das Modell „Entropischer Transformationsprozess“. Damit wird zum Ausdruck gebracht, dass nahezu mit jedem wirtschaftlichen Vorgang die Entnahme von Materialien, Wasser sowie die Umwandlung von Energie aus der Natur sowie die Entsorgung von festen Abfallstoffen, Abgasen und Abwässer in die Natur verbunden ist. Und das tagaus tagein – milliardenfach! Der sogenannte „gesellschaftliche Metabolismus“.
Aus diesen Aspekten leitet sich auch die häufig gestellte Frage ab: „Do economic systems operate outside these laws?“[2] (Funktionieren Wirtschaftssysteme außerhalb der naturgesetzlich gültigen Regeln und Gesetzmäßigkeiten?).
Drittens
In Bezug auf die spezifische, erschöpfbare Ressource der fossilen Energieträger ergibt sich aus dieser Betrachtungsweise eine wesentliche und entscheidende (erste) Konsequenz, auf die Soddy bereits 1931 in seinem Werk „Money versus Man“ hingewiesen hat.
Sein gedanklicher Schritt, den „Chamäleon-artigen“, in der wissenschaftlichen Diskussion immer wieder heftig umstrittenen „Begriff ‚Kapital’“ (siehe dazu die sogenannte Cambridge-Kontroverse) umzudeuten, öffnet einen Weg, das soziale Medium „Geld“ in gänzlich anderer Weise zu interpretieren, als es die main Ö. praktiziert. Dort gilt der Grundsatz: „Money doesn’t matter“. Das Geld spielt in der wissenschaftlich-ökonomischen Betrachtung keine Rolle. Es ist gewissermaßen nur wie ein Schleier, hinter dem sich die Tauschvorgänge in der Wirtschaft abspielen.
Mit seinem Postulat – „Die physikalischen Erhaltungssätze können auf den Vermögensbegriff angewandt werden“ – legt Frederick Soddy die Basis für den anschließenden gedanklichen Schritt, mit dem er der main Ö. gewissermaßen den Todesstoß versetzt. „Keine exakte Wissenschaft kann vorankommen, bis sie in ihrem Bereich Erhaltungsgesetze (Konservierungsprinzipien)[3] etabliert.“ Das heißt, unverrückbare Bezugspunkte in ihrem Wissenschaftsgerüst formulieren kann, so wie es den Naturwissenschaften beispielsweise mit den Erhaltungssätzen von Materie und Energie gelungen ist!
Viertens
Die Einbeziehung physikalischer, chemischer und biologischer Aspekte in den Forschungsrahmen der natur Ö. hat auch für die Entwicklung und institutionelle Gestaltung ökonomischer Konsum- und Produktionsprozesse gravierende Konsequenzen. Der wissenschaftliche Dissens dieser beiden Forschungsrichtungen spielt sich aus diesen Gründen seit mehr als 50 Jahren in der Debatte um die Grenzen des ökonomischen Wachstums ab.
Eine weitere Konsequenz aus der Berücksichtigung der biologischen Bedingungen für die evolutionäre Entwicklung, ist die Erkenntnis, dass sich die Menschheit in einem sogenannten „exosomatischen“ Evolutionsprozess befindet. Das heißt, die Möglichkeiten der Spezies Mensch zur Energieumwandlung unterscheiden sich von denen der übrigen Gattungen in grundlegender Weise.
Darauf hat bereits Wilhelm Ostwald (1853-1932), ein deutsch-baltischer Chemiker hingewiesen. An den heutigen Stand der Erkenntnis angepasst, lautet seine These: „Das Tier verwandelt ausschließlich somatisch Energie von einer Form in eine andere. Der Mensch (Homo Sapiens) muss um seiner Existenz willen naturgegeben gleich dem Tier somatisch (durch Nahrungsaufnahme) Energie wandeln, aber nur er vermag im Unterschied zu allen anderen Lebewesen nach seinem Willen zusätzlich exosomatisch (mit Hilfe von ihm ersonnener technischer Mittel) Energie zu wandeln.“
Aufgrund dieser Tatsache sieht Nicholas Georgescu-Roegen (1906-1994), ein in Rumänien geborener Wirtschaftsphilosoph, der auch in den USA lehrte, die Menschheit in einer mehrfachen Bredouille. Denn diese exzeptionelle menschliche Fähigkeit verführt die Menschheit dazu, die exosomatische Energieumwandlung „zu weit zu treiben“. Indem sie den erschöpfbaren Bestand fossiler Energieträger für ihre gegenwärtigen Annehmlichkeiten zu Lasten der Folgegenerationen überstrapaziert. Weiterhin erwächst eine Schwierigkeit aus der unterschiedlichen Verteilung der Voraussetzungen und Fähigkeiten zur exosomatischen Energiewandlung und den darin angelegten sozialen Konflikten.
Fünftens
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen den beiden Wissenschaftsrichtungen besteht in der mikroökonomischen Betrachtung des Wirtschaftssubjektes Mensch. Das heißt hier in der Herangehensweise an die den Wirtschaftssubjekten unterstellten Verhalten in Bezug auf die Beurteilung ihrer Bedürfnisse sowie in der Erklärung der Art und Weise der Deckung dieser Bedürfnisse. Die der Kunstgestalt des „homo oeconomicus“ in der main Ö. zugeschriebenen diesbezüglichen Verhaltensweisen werden von der natur Ö. nicht geteilt.
Der chilenische Entwicklungs-Ökonom mit deutschen Wurzeln, Manfred Max-Neef (1932-2019), Träger des Alternativen Nobelpreises, vertritt einen Erklärungsansatz der menschlichen Bedürfnisbefriedigung, der sich erheblich von dem in der main Ö. üblicherweise vertretenen Modell der Maslowschen Bedürfnispyramide unterscheidet. Max-Neefs „Barfuß-Ökonomie“ betrachtet den individuellen Konsum im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung.
Nachweis
Die beiden Bücher von Helmut Federmann und Philipp Kapp, erschienen im ISOTOPE Media Verlag, Roßdorf 2021 und 2022, sind nicht nur für Ökonomen interessant.
Soddy, Wegbereiter einer naturwissenschaftlichen Ökonomie*. Mit der deutschen Fassung seiner Schrift ‘Cartesian Economics‘. 180 Seiten.
Frederick Soddy: Mammon und die Menschheit – Money versus Man*. Übersetzung des Originals aus 1931. Mit einem Begleittext von Helmut Federmann. 176 Seiten.
[1] Zit. nach Rauschenberg: Vgl. Malte Faber, A Biophysical Approach to the Economy. Entropy, Environment and Resources. (Diskussionsschriften / Discussion Papers. Universität Heidelberg, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, Nr. 88), Heidelberg 1984, S.6.
[2] Charles A.S. Hall, Kent A. Klitgaard, Energy and the Wealth of Nations. Springer Science+Business Media, LLC 2012, S. 2.
[3] Vgl. dazu Fritz Söllner, Thermodynamik und Umweltökonomie, Physica-Verlag, Heidelberg 1996.
Und hier geht es tierisch weiter.
#PreppoKompakt
What if? Der herrschenden Ökonomie – main Ö. – sollte es in absehbarer Zukunft gelingen, ihre wissenschaftlichen Standardmodelle und die darum erbittert geführten „Hahnen-Kämpfe“ zurückzuschrauben. Zu Gunsten einer wissenschaftlichen Sicht- und Verstehensweise, die näher an der ökologischen/naturwissenschaftlichen Ökonomie – natur Ö. – liegt. Dann wäre für die Lösung der drängenden und dringenden Menschheitsprobleme viel gewonnen! Wenn nicht, dann … ?
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