Spitz-findig-keit #66

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitz-findig-keit #66

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute geht es dafür um Quoten, Frauen und Frauenquoten, jedoch nicht um Quoten-Frauen – die hatten wir ja unter anderen hier in Person von Ministerin Spiegel. Von der Gegenwart blicken wir auf die Lage vor exakt 128 und 205 Jahren aus Sicht berühmter Literaten zurück – unterstützt vom „Buch der Tagebücher“, S. 290, das wir schon hier herangezogen hatten.

1. Spitz-findig-keit

Gemäß der Präsidentin der Kommission der Europäischen Union, Ursula von der Leyen, müssen ab Mitte 2026 große börsennotierte Aktiengesellschaften in der EU ihre Verwaltungs-/Aufsichtsräte zu 40 Prozent mit Frauen besetzen. Die NZZ vom 11. Juni 2022 hält mit ihrer Meinung zur Frauenquote nicht hinter dem Berg. Unter der Überschrift „Auch die EU führt nun eine Frauenquote ein – ein notwendiges Übel?“ kommentiert dies Nicole Rütti wie folgt:

„Ob Quoten der richtige Weg sind, um den Frauenanteil in Führungspositionen zu erhöhen, oder pure Zwängerei, sei dahingestellt. Klar ist: Firmen sollten dafür keine staatlichen Vorschriften benötigen. Es liegt in ihrem Interesse, dass sie nicht nur 50, sondern 100 Prozent des Talent-Pools nutzen. Auch in den Führungsetagen ist der Fachkräftemangel spürbar. …

Ausserdem ist es längst eine Binsenwahrheit, dass durchmischte Gruppen (sei es nun nach Geschlecht, Alter, beruflicher Erfahrung oder Herkunft) bessere Resultate erzielen. Wie soll ein homogenes Führungsgremium von Entscheidungsträgern mittleren Alters die Bedürfnisse der durchmischten Kundschaft erkennen oder das Geschäftsmodell der Zukunft erarbeiten? Firmen, die sich dessen bewusst sind und entsprechende Fördermassnahmen ergreifen, werden auch die besten Talente anziehen: Sie werden im Wettkampf um die besten Geschäftsideen die Nase vorne haben.“ Sagt Frau Rütti.

Fußnote

Auf ähnlicher Wellenlänge bewegt sich gegenwärtig laut faz-net vom 15.6.2022 auch die CDU unter Führung von Friedrich Merz. Obwohl keine Firma, muss auch der Partei daran gelegen sein, den “Talent-Pool” voll auszunutzen. Das heißt, sich von dem Viertel weiblicher Mitglieder nach oben zu bewegen und dabei politisch talentierte Frauen anzuziehen. Quote ja, aber sukzessive eingeführt und auf fünf Jahre befristet, danach eine Evaluierung. Die (sicherlich nicht repräsentative) Antwort auf die Frage nach der Quote im Beitrag von Eckart Lohse spiegelt zumindest die gängige Einschätzung als lediglich zweitbeste Lösung wider. Nach dem Parteitag der CDU am 9./10. September in Hannover ist Mann/Frau schlauer.

2. Spitz-findig-keit

Leo Tolstoi (1828 bis 1910) meldet sich am 19. Juni 1894 von seinem etwa 220 Kilometer südlich von Moskau gelegenen Landgut Jasnaja Poljana. An dem Geburts- und Wohnort, wo er „Krieg und Frieden“ (Urfassung 1867) und „Anna Karenina“ (1877) schrieb, ist er auch beerdigt.

„Etwas Unwichtiges: Die Harmonie zwischen Ehegatten erfordert, daß sich in den Ansichten über Welt und Leben, falls sie nicht übereinstimmen, derjenige, der weniger darüber nachgedacht hat, dem unterordnet, der mehr darüber nachgedacht hat. Wie glücklich wäre ich, mich Sonja unterordnen zu können, aber das ist ja ebenso undenkbar wie eine Gans, die in ihr Ei kriecht. Sie müßte es tun, aber sie will nicht – es fehlt ihr an Vernunft, an Demut und Liebe.“

Die Ehe mit Sonja war nicht ohne Krisen, ja diese nahmen zum Ende hin dramatische Ausmaße an. 1862 hatte er die achtzehnjährige deutschstämmige Sofja Andrejewna Behrs geheiratet. Sie assistierte Tolstoi, zu Beginn, indem sie das Manuskript für „Krieg und Frieden“ insgesamt sieben Mal in Reinschrift übertrug, später, bis zu dessen Tod als Verlegerin seiner Werke. Und sie schenkte ihm in der fast ein halbes Jahrhundert währenden Ehe insgesamt dreizehn Kinder – garantiert nichts Unwichtiges!

3. Spitz-findig-keit

Stendhal (1783 bis 1842) meldet sich aus Neapel am 19. Juni 1817. Zuvor hatte er unter Napoleon Karriere gemacht, bis zur Teilnahme am Russlandfeldzug 1812. Von ihm – mit bürgerlichem Namen Marie-Henri Beyle – stammen die Romane „Rot und Schwarz“ (1830) und „Die Kartause von Parma“ (1839).

„Die absolute Gleichberechtigung der Frau wäre das sicherste Zeichen der Zivilisation; sie würde die Geisteskräfte des Menschengeschlechts und seine Glücksmöglichkeiten verdoppeln. …

Um zur Gleichheit zu gelangen, dieser Quelle des Glücks für beide Geschlechter, müßte es den Frauen erlaubt sein, sich zu duellieren: eine Pistole handhaben erfordert nur Geschicklichkeit. Jeder Frau, die freiwillig für zwei Jahre ins Gefängnis geht, müßte es gestattet sein, sich nach Ablauf dieser Zeit scheiden zu lassen. Um das Jahr 2000 werden solche Gedanken nicht mehr lächerlich sein.“

Duelliert haben sich auch die Männer meist ohne Erlaubnis, wobei denjenigen, den die Kugel richtig traf, dahinschied. Auch der Gedanke, mit einem langen Gefängnisaufenthalt die Erlaubnis zur Scheidung zu bewirken, hat sich nicht durchgesetzt. Lächerlich – damit behält Stendhal letztlich recht – ist dies schon lange nicht mehr.

Widmung

Meinem Schwager Wolfgang gewidmet, der es sich heute in der Oberpfalz mit „seiner Blasen“ und einem Maß Bier gut gehen läßt. Herzlichen Glückwunsch zur Erreichung des Rentenalters, was für sein verantwortungsvolles Amt (noch) nichts zu bedeuten hat. Die einmalige Chance zur damit gleichlautenden # haben wir mit der doppelten Spitz-findig-keit vom vorletzten Sonntag, beflügelt vom heiligen Geist, vergeben. Mit gleichem Schwung deshalb fürs „Geburtstagskind“ alles erdenklich Gute.

Und hier geht es weiter mit viel Energie.

#PreppoKompakt

Die Frauenemanzipation in der westlichen Welt verlief nicht geradlinig, dazu sehr unterschiedlich. Stendhal hätte noch vom sehr langen Weg zur absoluten Gleichberechtigung sprechen können. Heute, zwei Jahrhunderte später, sind wir – das behaupte ich als älterer „weiser“ Mann – nicht mehr weit davon entfernt.

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