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Eine häufig anzutreffende Verhaltensweise von Menschen besteht darin, Informationen die unangenehm sind, überhaupt nicht oder bestenfalls verzerrt wahrzunehmen. In verschiedenen Situationen führt dies zu nachteiligen und schädlichen langfristigen Folgen. Ein solches Verhalten kann jedoch auch verheerende, ja katastrophale Konsequenzen haben. Gelegentlich wird diese Einstellung verharmlosend auch als „Vogel-Strauß-Taktik“ umschrieben. In der afrikanischen Lebenswirklichkeit der Straußenvögel – Ostrich auf Englisch – hat wohl eine Art optische Täuschung diese alte Redensart befeuert. Dabei betrifft der Ostrich Effekt zweifellos vorrangig uns Menschen.

Der Strauß steckt den Kopf nicht in den Sand!

Vogel Strauß und Ostrich Effekt

Das bis zu 250 Zentimeter große und bis zu 135 Kilogramm schwere männliche Tier/der Hahn – die Hennen sind kleiner und leichter – steckt laut Wikipedia bei einer Bedrohung durch Feinde den Kopf nicht in den Sand. Es kann vielmehr mit einer Geschwindigkeit von bis zu 70 km/h davonlaufen und/oder mit einem gezielten Fußtritt – dieser hat zwei Zehen mit bis zu 10 cm langen Krallen – selbst Löwen oder Menschen töten.

Der Ostrich Effekt betrifft uns Menschen. Wegrennen, nachdem die Folgen unserer Entscheidungen uns nachteilig treffen, ist häufig die schlechteste Option. Und mitunter schlicht unmöglich – und zwar keineswegs nur für Kinder. Klein und Groß wird dieses „wie viel Strauß steckt in mir“, hier von einer vom Fernweh getriebenen Rheinländerin wunderbar erklärt. Auch Lothar Matthäus hat – wohl eher unfreiwillig – hierzu einen lustigen Spruch losgelassen. Laut Wikipedia wird 2006 im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland die alte Matthäus-Weisheit „Jetzt nur nicht den Sand in den Kopf stecken!“ kolportiert.

Die menschliche Unzulänglichkeit bei der Problemlösung

Angesichts erschütternder Bilder aus dem türkisch-syrischen Erdbebengebiet und des unsäglichen Leids, das über die Menschen gekommen ist, erhält die Frage nach dem menschlichen Anteil an den Ursachen und Folgen dieser und anderer Katastrophen, neue Brisanz. Die Berechtigung einer solchen Fragestellung wird auch dadurch demonstriert, dass in der Türkei Hunderte von Ermittlungsverfahren gegen Bauunternehmen eingeleitet werden. Der Verdacht ist sicher nicht von der Hand zu weisen, dass unter Kosten- und Gewinnaspekten bei der Errichtung von Gebäuden, in der von Erdbeben bedrohten Region, in Bezug auf diese Gefahr unzulängliche Entscheidungen getroffen wurden.

Robert Meyer und Howard Kunreuther von der US-amerikanischen Wharton School in Philadelphia gehen schon geraume Zeit dieser Frage nach. In ihrem 2017 erschienenen Buch [1]Das Ostrich Paradox: Warum wir so unvorbereitet auf Katastrophen sind“ beschreiben sie die Gründe und auch erfolgversprechende Ansätze, um zukünftige Schäden und Verluste zu verhindern. Ihr Hauptaugenmerk richten sie dabei auf Schadensereignisse mit einer geringen Eintrittswahrscheinlichkeit (Häufigkeit), jedoch immensen negativen Folgen. Dazu zählen Erdbeben, aber auch Zugunglücke oder Flutkatastrophen, wie beispielsweise im Ahrtal im Juli 2021. Solche Vorkommnisse fordern nicht nur menschliche Opfer, sie sind auch mit großen Sachschäden und hohen Aufwendungen für die Beseitigung von Folgeschäden verbunden.

In einigen Beiträgen haben wir uns im Preppo-Blog bereits mit verschieden Aspekten unvorhersehbarer Ereignisse und den Versuchen, damit umzugehen, befasst. Beispielsweise der Covid-19-Pandemie, einer Krise mit Ansage und Nachhall, oder auch allgemeiner im Beitrag „Von weißen, schwarzen und grünen Schwänen„. Im Folgenden geht es nun um den Versuch, die menschlichen Möglichkeiten abzuschätzen, zukünftigen Ereignissen auf die Spur zu kommen und in angemessener Weise auf unter Umständen eintretende ungünstige Situationen besser gewappnet zu sein.

Die dazu erforderlichen Fähigkeiten und Einstellungen haben mit der menschlichen Psychologie und menschlichen Schwächen zu tun.

Sechs Verzerrungen im Entscheidungsprozess – Psychologische Risiken

Meyer und Kunreuther identifizieren sechs Nachlässigkeiten oder Verzerrungen bei Entscheidungsprozessen und im menschlichen Handeln, sogenannte „Psychologische Risiken“. Diese machen sie dafür verantwortlich, dass Individuen sowie staatliche und private Organisationen/Institutionen häufig nicht in ausreichendem Umfang Vorkehrungen zur Vermeidung solcher Geschehnisse treffen oder geeignete Maßnahmen zur Schadensminderung nach Eintritt vorhalten.

Ihre Schlussfolgerungen entstammen aus Forschungen in der Verhaltensökonomik und der Kognitionspsychologie (Wissenschaftliche Untersuchungen der psychischen Mechanismen des menschlichen Denkens). Dabei kam zum Vorschein, dass die meisten Fehler in der Vorbereitung zur Bewältigung von Katastrophenereignissen auf Voreingenommenheit beruhen. Immer wieder sind Missdeutungen der realen Verhältnisse in ihren Ursache-Wirkungszusammenhängen zu registrieren. Hinzu kommen häufig Fehleinschätzungen und Nachlässigkeiten in der Beurteilung der sich ständig aufbauenden Gefahrenpotentiale.

Dafür werden sechs kognitive Einstellungen als ursächlich eingestuft:

1. Kurzsichtigkeit: Tendenz zur Konzentration auf die kurze Frist. Die in nächster Zukunft anfallenden Kosten werden im Verhältnis zu den Kosten langfristig wirkender Investitionen zum Schutz und zur Sicherheit vor Katastrophen zu hoch eingeschätzt.

2. Vergesslichkeit: Neigung zum schnellen Vergessen der Lehren aus vorangegangenen Katastrophen. Kurz: Amnesie – Dich vergess‘ ich nie.

3. Über-Optimismus: Unterschätzung der Wahrscheinlichkeiten des Eintritts von zukünftigen Gefährdungen. Häufig beispielsweise im Zusammenhang mit Gefahren des Rauchens zu beobachten.

4. Beharrungsvermögen: Neigung zur Beibehaltung des „Status Quo“, wenn Ungewissheit über die Höhe des Nutzens von alternativ vorzunehmenden Schutzmaßnahmen besteht. Statt einer dem Risiko angemessenen Lösung wird eine kostengünstige Standard-Lösung bevorzugt.

5. Vereinfachung oder Ausblenden von Fakten: Auswahl einer Teilmenge aus den als relevant zu betrachtenden Fakten bei Entscheidungen unter Risiko.

6. Herdentrieb: Entscheidungen einfach anhand des mehrheitlichen Verhaltens von anderen zu treffen.

Überprüfung der Risikoeinstellungen

Robert Meyer und Howard Kunreuther schlagen deshalb eine Überprüfung (Audit) im Hinblick auf die menschlichen Risikoeinstellungen und das Verhalten gegenüber Risiken vor. Das Audit soll den Blick auf die vorher identifizierten Nachlässigkeiten und Fehler im Entscheiden und Handeln – den psychologischen Risikofaktoren – richten. Aus den Ergebnissen werden anschließend Strategien entwickelt zur Verbesserung der Qualität von Entscheidungsprozessen und zur besseren Vorbereitung erforderlicher Maßnahmen auf mögliche Katastrophenfälle.

Leitlinien im Falle dauerhaft bestehender Bedrohungen

Um Menschen zu ermutigen, die richtigen Schritte zu unternehmen, sind vier Leitlinien relevant:

1. Die Festlegung einer Langfrist-Vorsorge-Planung als höchste Priorität.

2. Die Verhinderung von privaten und öffentlichen Aktivitäten, die eine Exposition dauerhafter und langfristig wirkender Risken bewirken.

3. Die Berücksichtigung der verzerrten Wahrnehmungen, welche die Einleitung von Schutzmaßnahmen verhindern.

4. Die risikogerechte Adressierung der Langfrist-Risiken.

Zur Überwindung der oben beschriebenen Verzerrungen in der Wahrnehmung von Risiken unterbreiten Meyer und Kunreuther weiterhin Vorschläge zur Setzung von Anreizen, um unmittelbar Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen und nicht abzuwarten, bis das Desaster eingetreten ist.

Und hier geht es weiter wie schon hundertmal mit Spitzfindigkeiten.

#PreppoKompakt

Die vielfältigen Krisen und Katastrophenereignisse, denen wir uns ausgesetzt sehen, rufen nicht nur nach einer Veränderung unserer Produktions- und Konsumgewohnheiten in Richtung Nachhaltigkeit. In gleicher Weise ist auch eine sorgfältige Überprüfung unserer Einstellungen und Akzeptanz von Risiken und Gefährdungen erforderlich, um dem Ostrich Effekt keine Chance zu geben!

[1] Robert Meyer and Howard Kunreuther, Wharton Digital Press, 2017 Ebook: 978-1-61363-079-2