Der Dritte in unserer neuen Kategorie „Preppo fragt nach!“ ist Dr. André D. Thess, Professor für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart. Erst vor sechs Wochen hatten wir hier sein Buch „Sieben Energiewendemärchen?“ besprochen. Die Antworten auf unsere sechs Fragen lassen nichts zu wünschen übrig – und erzählen vor allem keine Märchen.
1. Herr Prof. Thess, wir haben im Januar hier im Blog Ihr Buch „Sieben Energiewendemärchen?“ besprochen. Darin haben Sie sich mehrfach für eine Technologieoffenheit ausgesprochen. Das heißt, nicht den Weg in bestimmte Richtungen zu versperren und stärker Marktkräfte – als „unsichtbare Hand“ – wirken zu lassen. Führt uns da nicht die in Deutschland praktizierte Ausklammerung der Kernenergie automatisch in eine Sackgasse? Was halten Sie in diesem Zusammenhang beispielsweise von der Entwicklung des Dual-Fluid-Reaktors?
Wir Deutschen rasen gern mit Vollgas in Sackgassen – da gehört die Kernenergie noch zu den harmloseren Fällen. Gleichwohl bin ich hinsichtlich unserer Lernfähigkeit seit Corona optimistisch. Eine Nation, die bislang schon beim Anblick eines genmodifizierten Maiskorns in Schnappatmung verfiel, hat binnen kurzer Zeit den gesellschaftlichen Nutzen der Gentechnik in Gestalt von Corona-Impfstoffen erkannt. Ich glaube deshalb, dass wir spätestens 2030 begreifen werden, dass das CO2-neutrale Energiesystem der Zukunft dem Leitspruch „Sonne, Wind und Kerne“ folgen wird. Das sagt im Übrigen schon heute der Weltklimarat IPCC, ich habe es hier lediglich in verständliches Deutsch übersetzt.
Den Dual-Fluid-Reaktor halte ich, mit Verlaub, für so etwas wie die Elbphilharmonie unter den Kernreaktoren. Das Konzept ist einerseits attraktiv, weil es das nukleare Abfallproblem entschärfen könnte. Andererseits birgt die Entwicklung der notwendigen Hochtemperaturwerkstoffe finanzielle Risiken, gegen die sich das Hamburger Finanzdebakel wie ein Kinderspiel ausnimmt. Langfristig könnte der Dual-Fluid Reaktor vielleicht nützlich sein. Ich meine jedoch, dass für kurzfristige Beiträge zum Klimaschutz die bekannten Reaktorkonzepte die ökonomisch effizientere Wahl sind.
2. Sie haben klare Aussagen beim Vergleich von zwei alternativen Maßnahmen getroffen und mit der sozio-technischen Analyse auch das Werkzeug dazu geliefert. Kann man damit auch eine vergleichende Aussage zum Erneuerbaren Energien Gesetz – kurz EEG – und zur CO2-Steuer herleiten? Und wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Mit der techno-ökonomischen Analyse des EEG werde ich mich zu gegebener Zeit zu Wort melden. Die Teilfrage nach der volkswirtschaftlichen Effizienz im Vergleich zum europäischen CO2-Zertifikatehandel hat jedoch der Ökonom Hans-Werner Sinn schon lange beantwortet: In einem europaweiten Emissionshandelssystem, welches einer CO2-Steuer ähnelt, erspart das EEG unserer Erdatmosphäre kaum CO2-Emissionen, weil jede in Deutschland dank EEG eingesparte Tonne CO2 durch eine spiegelbildlich in polnischen Kohlekraftwerken entstandene zunichtegemacht wird. Um es etwas verständlicher auszudrücken: Europäischer Emissionshandel und deutsches EEG passen zueinander wie Hosenträger und Gürtel.
3. Warum sind Sie so pessimistisch, was die Akzeptanz und praktische Umsetzbarkeit einer weltweiten CO2-Steuer anbelangt?
Eine weltweite CO2-Steuer wäre nach meiner Erkenntnis das mit Abstand ökonomisch effizienteste Klimaschutzwerkzeug. Doch sie ist nur mit einer Weltregierung umsetzbar, für deren Einrichtung nach demokratischen Spielregeln ich zu meinen Lebzeiten keine Chance sehe.
4. In Bezug auf die individuelle Mobilität der Zukunft haben Sie im Grunde genommen dafür plädiert, nicht Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auszusondern, sondern die fossilen Treibstoffe gezielt zu verteuern. Damit bliebe die technische Vielfalt erhalten und jede Antriebsart müsste sich im Wettbewerb bewähren. Welchen Marktanteil hätte unter solchen Bedingungen wohl das Elektroauto in den 2060er Jahren, was schätzen Sie? Und wo stünde das von Ihnen als Nanomobil beschriebene „futuristische“ Vehikel?
Ich arbeite in einer Region, wo schon eine Banalität wie die Fertigstellungsprognose eines schwäbischen Bahnhofs unlösbar ist. Deshalb halte ich mich mit der Vorhersage der fernen Zukunft zurück. Ich glaube allerdings weder an den Tod des Verbrennungsmotors noch an die Allmacht des Elektroautos. Mir würde es freilich ein diebisches Vergnügen bereiten, wenn ich anlässlich meines hundertsten Geburtstages im Jahr 2064 feststellen dürfte: „Das Auto spielt keine Rolle mehr, weil die Leute nur noch in ihren Nanomobilen herumfahren.“ Diese Aussage klingt heute verrückt, aber was hätten Sie im Jahr 1978 von der Prophezeiung gehalten: „Im Jahr 2021 spielen Fotoapparate keine Rolle, weil die Leute nur noch mit ihren Telefonen fotografieren.“
5. Wer hat recht? Diejenigen, die von einem menschengemachten Klimawandel ausgehen oder diejenigen, die den menschlichen Einfluss eher verneinen? Gibt es da überhaupt die eine, reine, absolute „Wahrheit“?
Ich halte die mathematischen Grundlagen und die Ergebnisse von Klimasimulationen für seriös. Schließlich berechnen wir mit denselben Gleichungen erfolgreich das Wetter oder die Aerodynamik von Flugzeugen. Es gibt in der Simulationswissenschaft jedoch keine absoluten Wahrheiten. Jedes Rechenergebnis besitzt eine Unsicherheit. Vollständige Sicherheit, vergleichbar mit der Aussage „1+1=2“, wird es weder in der Klimaforschung noch im Flugzeugbau je geben. Ich sehe es deshalb kritisch, wenn manche Leute die Klimaforschung in den Rang der Unantastbarkeit erheben wollen und Kritiker mit Kampfbegriffen verunglimpfen.
6. Was raten Sie uns normalen Menschen im Umgang mit Themen, mit denen sich selbst gestandene Wissenschaftler schwertun? Kennen Sie hierzu den Stein der Weisen?
Bei allem Respekt vor meiner Berufsgruppe möchte ich vor einer Überschätzung der Rolle der Wissenschaft bei komplexen fachübergreifenden Problemen warnen. Bei multikriteriellen Entscheidungsaufgaben mit großen Unsicherheiten wie etwa der Gestaltung der deutschen Einheit, der Organisation von Energie- und Klimapolitik oder dem Umgang mit der Corona-Pandemie ist die Adlerperspektive eines nüchtern denkenden Durchschnittsbürgers nach meiner Überzeugung oft hilfreicher als die Froschperspektive des spezialisierten Gelehrten.
Vielen herzlichen Dank, Herr Prof. Thess.
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#PreppoKompakt
Dr. André D. Thess von der Universität Stuttgart: Seine Antworten herzerfrischend, die Bildersprache plastisch, die Erkenntnisse nachvollziehbar und einprägsam. So wie in seinem Buch „Energiewende-Märchen“. Natürlich kein „Märchen-Erzähler“ und trotzdem, oder gerade deshalb, gibt es an dieser Stelle echte Erkenntnisgewinne.
2 Antworten
interessant! Es wäre aber von Vorteil, wenn das avisierte Nanomobil zumindest kurz beschrieben würde.
Gruß
J.Wolf
Im Buch zu den sieben Energiewendemärchen beschreibt Prof. Thess auf S. 77 sein Gefährt wie folgt: „Ein Nanomobil ist ein Kleingefährt, ähnlich einem Rollstuhl, jedoch mit der Designqualität eines Stuttgarter Luxusautos. Es transportiert seine Fahrgäste autonom und abgeschirmt durch Gebäude, Verkehrsmittel und Straßenschluchten. Es bringt sie nahtlos von A nach B. Das Nanomobil muss drei Eigenschaften besitzen: Es ist emissionsfrei, klimatisiert und selbstfahrend. … Das Nanomobil wird von einem … Elektromotor angetrieben.“ (Das Kapitel 3.6 „Blick in die Zukunft: Nanomobilität“ umfaßt die Seiten 75 bis 81).