Spitz-findig-keit #168

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute dreht sich dafür alles um unsere Grundbedürfnisse – Schlafen, Trinken, Essen – und auch etwas um garantierte Grundrechte.

1. Spitz-findig-keit

Schlafen mit Bedacht – unser täglich Brot: „Wenn es um den Schlaf geht, ist der Mensch ein Mängelwesen: Entweder schläft er zu viel oder zu wenig“, titelt die NZZ vom 28.5.2024. Dahinter steckt mit „Schlafen„* (Hanser Verlag, Berlin 2024, 112 Seiten, 20 €) ein Betroffenheitsbericht von Theresia Enzensberger, die seit Jahren unter gravierenden Schlafstörungen leidet.

„Warum schlafen wir immer schlechter, obwohl es uns immer besser geht?“ Den Zusammenhang erörtert sie anhand von Theorie und Praxis. „Laut einer Studie der Krankenkasse DAK sind die Schlafstörungen der über 35-jährigen Berufstätigen allein zwischen 2010 und 2017 um 66 Prozent gestiegen. Die Ursachen dafür werden immer diverser. Auch der Klimawandel trägt zur Schlaflosigkeit bei. Bei einer internationalen Untersuchung von 2022 hat sich gezeigt, dass uns die steigenden Temperaturen mittlerweile 44 Stunden Schlaf im Jahr kosten.“ Sechs bis acht Stunden entspannter Schlummer lieferten das Optimum an Regeneration, sofern nicht von Durchschlaf- und Einschlafstörungen torpediert.

„Banal und vielleicht unmetaphorisch wahr ist es, dass manche Politiker trotz Stress im Beruf mit wenigen Stunden der Ruhe auskommen, aber es gibt auch viele politische Schlaf-Metaphern. Vom deutschen Michel mit der Schlafmütze über den ’schlafenden Drachen China‘ und die terroristischen Schläfer bis hin zu den ‚Schlafschafen‘ oder dem Begriff ‚woke'“, hält Paul Jandl in seiner Rezension fest. Im Buch „Schlafen“ erkennt er „… eine bestechende Phänomenologie gesellschaftlicher Unruhezustände.“

2. Spitz-findig-keit

Trinken mit Folgen – verkehrte Welt: Normalerweise gehen Räusche glimpflich aus, wenn man es nicht übertreibt und zur chronischen Trinkerin/zum Trinker wird. Sagen wir einmal im Jahr, mit dem Kater am nächsten Morgen ist es dann getan. Auch wenn man zu Dritt ein paar Tage über die Stränge schlägt, so wie Annett Gröschner, Peggy Mädler und Wenke Seemann, und dabei das Buch „Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich und gründen den idealen Staat„* (Carl Hanser Verlag, München 2024, 320 Seiten, 22 €) herausspringt. Am besten ist natürlich Trinkwasser.

Pony Club

Auch den im (eigenen) Video festgehaltenen Entgleisungen im Pony Club auf Sylt hätte man angemessen begegnen müssen – nicht durch Vorverurteilung und Bloßstellung der jungen Personen, sondern mit gängigen rechtsstaatlichen Mitteln. Faz-net vom 27.5.2024 und die NZZ gleichen Tags mit einem Kommentar von Susanne Gaschke (beide hinter Schranke) heben das richtigerweise hervor. Im DerStandard vom 28.5.2024 gehen auch viele Leserkommentare in die gleiche Richtung, einige vergallopieren sich wienerisch. Im Gespräch mit guten Freunden darüber auch einige schwäbisch, wie im Rausch.

Gut, dass wir die Züricher haben. Am 31.5.2024, 17 Uhr, ist (hinter Schranke) in der NZZ zu lesen: „Nach dem Rausch folgt der Kater – das gilt auch für das Sylt-Video und die von ihm ausgelösten Reaktionen.“ Fatina Keilani fasst den für Anhänger des liberalen Rechtsstaats betrüblichen Befund so zusammen: „Im ‚Kampf gegen rechts‘ gelten in Deutschland andere beziehungsweise so gut wie keine Regeln. Nach dem Motto: ‚Nazis‘ verdienen keinen Schutz … . Dabei garantiert die Gleichheit vor dem Gesetz allen Bürgern ihre Rechte, auch vermeintlichen und sogar echten Nazis.“

Parallelwelten

Laut Roland Tichy auf TE vom 26.5.2024 beweist die Sylter Party zudem, wie „… ein Blitzlicht mit einem ungeheuren Donnerhall …“, dass es Parallelwelten gibt: „Abgeordnete der Grünen und der SPD, denen der totale Schutz innerhalb des Bundestags immer noch nicht reicht und die sich heftig über Angriffe beklagen, worunter sie auch Beleidigungen fassen; während die Vertreter etwa der AfD niedergeschrien, niedergeprügelt und jeden Tag mit Hassreden verfolgt werden. … Ebenso müssen bereits Vertreter von FDP und CDU/CSU je nach übergreifender Großwetterlage hier und da die Ohren anlegen, um nicht in das gleiche Zielwasser zu geraten.“ Das sei ein Widerspruch, der „… der politischen Elite nicht einmal mehr auffällt, so in sich verwoben und auf sich selbst bezogen in ihrer rotgrünen Bubble haben sie sich isoliert. Die Stimmung und das wirkliche Leben nehmen sie immer weniger, wenn nicht sogar gar nicht mehr wahr.“

Restaurant Sansibar

Mit der NZZ vom 30.5.2024 (hinter Schranke) blicken wir in eine weitere Sylter Lokalitiät, das Restaurant Sansibar, in dem im Juli 2022 FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner gehochzeitet hat (wir haben dies hier und hier auch unter Aspekten der Kirchensteuer vermerkt). Häme und Seitenhiebe seiner Koalitionspartner inklusive. „Sie würde ganz sicher nicht auf Sylt heiraten, ätzte die Grünen-Co-Chefin Ricarda Lang später.“

Bernd Raffelhüschen, Volkswirtschaftsprofessor an der Universität Freiburg und auf und um Sylt herum groß geworden, erstaunen die immer neuen politischen Debatten, die von der Nordseeinsel ausgehen, keineswegs. Auch nicht, dass „… sich jüngst beginnend mit der Innenministerin über den Bundeskanzler bis hin zum Bundespräsidenten das gesamte politische Spitzenpersonal eingeschaltet hat.“ Nach dem Zweiten Weltkrieg habe sich die Insel dem Massentourismus geöffnet, vor allem die untere Mittelschicht zog es dorthin. „Jeder, der sich Italien nicht leisten konnte, fuhr stattdessen nach Sylt“, so Raffelhüschen. „Der Mythos unter Linken, dass es sich bei Sylt um ein Eiland der Privilegierten handele, die Champagner schlürften und im Überfluss schwelgten, rühre vor allem daher, dass neben den Massen eben immer auch ein paar Bürgerliche zu den Stammgästen zählten.“

Auf TE findet sich am 31.5.2024 folgender Hinweis: „Unter der Verantwortung des Finanzministeriums hat die Post nun eine Sonderbriefmarke dem ‚beliebten Urlaubsziel‘ gewidmet. Es zeigt eine Robbe, die am Strand in die Kamera schaut.“ Die im Jahresprogramm 2024 schon von langer Hand vorgesehene Sylter Marke erscheint kommenden Donnerstag und ist für 0,85 € zu haben. Mann/Frau darf gespannt sein, ob sich jemand findet, der den/m Verantwortlichen ankreidet, dass es sich (nur) um ein „Beliebte/s Urlaubsziel/e der Deutschen“ handeln soll.

3. Spitz-findig-keit

Speisen mit Trinkgeld – das richtige Maß: Wer kennt nicht die Situation, dass man im Restaurant gut gegessen und nicht nur die Atmosphäre so richtig genossen hat. Und wenn es dann ans Bezahlen geht, möchte man auch der Kellnerin, dem Kellner eine Freude bereiten, monetär Danke sagen. Beim Barzahlen geht das in der Regel durch ein großzügiges Aufrunden der Beträge, ebenso mit Karte.

Im NZZ Podcast Akzent vom 29.5.2024 – allein schon wegen des leichten Schweizer Dialekts ein Ohrenschmaus – wird beschrieben, wie die Digitalisierung die Trinkgeld-Kultur verändert. „Die amerikanische Trinkgeld-Kultur hat uns erreicht. Wer mit der Karte bezahlt, wird neuerdings zum Trinkgeldgeben aufgefordert. Wie sollen wir damit umgehen? Frisch gebrüht erhält man an einem Take-away den Espresso, bezahlen lässt sich nur mit Karte. Dann leuchten da: 5, 10, 20 Prozent. Die Option ‚Kein Trinkgeld‘ gibt es auch; allerdings in einer kleineren Schrift. Trinkgeld per Touchscreen, so sieht das aus in der neuen Welt der Gastronomie.“

„Das Geben von Trinkgeld war lange Zeit ein informeller Vertrag zwischen Kellner und Gast“, … weiß Wirtschaftsredakteurin Janique Weder, und: „Entgegen den Befürchtungen hat das Trinkgeld mit der digitalen Bezahlung zugenommen.“ Handgelenk/Daumen mal Pi gerechnet würden in der Schweiz im Schnitt 6 Prozent Trinkgeld gegeben. Der Digitalisierungsschub im Zuge der Pandemie und Bedenken, dass das Trinkgeld verschwinden könnte, brachte die Anbieter von Kartenlesegeräten auf die Idee. Durch Nudging/Schubsen, ganz leicht und ohne Zwang, aber mit einem bestimmten Gefühl, wird man aufs Trinkgeld gestossen. Ebenso ist die Wahrscheinlichkeit, dass man dabei den mittleren Betrag wählt, verhaltensökonomisch sehr hoch. Wir Menschen tendieren zur Mitte.

Und hier geht es locker weiter.

#PreppoKompakt

Laßt die Kirche im Dorf. Oder wollt ihr alles, einfach alles verbieten: den Alkohol, das Singen, die Freude? Folgender Vorschlag an die Politikerinnen und Politiker: Nicht sofort auf jede Meldung, auch wenn sie noch so spektakulär zu sein scheint, in den (sozialen) Medien reagieren. Einen Tag lang warten, nachdenken und, wenn dann noch angebracht, ausgewogen kommunizieren. Und (wieder) lernen, von sich selbst zu abstrahieren, sich aufs reale Leben der Bürgerinnen und Bürger zu fokusieren.

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