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Spitz-findig-keit #171

9 minutes

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute machen wir uns dafür zusammen auf die Socken/Reifen/Sohlen – vor- und hochwärts – und beschäftigen uns zudem mit Hilfe von drei ostdeutschen Frauen mit unserer jüngeren deutschen Geschichte.

1. Spitz-findig-keit

„Nun reisen sie wieder los, die Wohnmobile – bereit für ein neues Abenteuer. Doch auf dem Campingplatz lauern einige Fallen.“ Die NZZ vom 15.6.2024 mit sechs Fehlern, die Mann/Frau beim Campen mit dem Wohnmobil vermeiden sollte, einschließlich dreier lustiger Illustrationen.

  1. Abschottung: Nein. „Campen sei etwas Geselliges, man müsse offen sein und auch einmal einen Schwatz mit den Nachbarn halten.“
  2. Coolness-Falle: „Doch am Ende kommt es auf all das gar nicht an, denn: Camper sind ziemlich uneitel. Man kann herumlaufen, wie man will.“
  3. Falscher Campingtyp: „Tägliche Roadtrips von über 200 Kilometern können schnell zur Strapaze werden. … Genauso wichtig: Mindestens zwei Nächte an einem Ort bleiben, damit man nicht nur am Ein- und Auspacken ist.“
  4. Zu viele Pläne: „Ein Wohnmobil hat den Vorteil, dass man sofort weiterreisen kann, wenn es nicht passt. Deshalb bringt es auch nicht viel, die ganzen Ferien schon zu verplanen. Im Gegenteil, oft sind es die unerwarteten Sachen, an die man gern zurückdenkt. Deshalb: lieber einmal eine Landstrasse nehmen als eine Autobahn.“
  5. Einfache Dinge vernachlässigen: „Wer die perfekten Campingferien will, wird scheitern. Ein Wohnmobil ist ein enger Raum, alle müssen sich arrangieren, und alle sind erholungsbedürftig. … Wirklich Freude während Campingferien machen … ohnehin die einfachen Dinge: morgens ein guter Kaffee. Abends warme Kleider, damit man beim Schlafen nicht friert. Und dazwischen etwas Gutes zum Essen.“
  6. Falsches Wetter: „Zugegeben, darauf hat man keinen Einfluss. Aber man kann sich fragen, ob man sich eine Woche Camping wirklich antun will, wenn die Wetter-App nur graue Wolken und dicke blaue Tropfen anzeigt.“ Also, wenn es schüttet und nicht mehr aufhört zu regnen, einfach weiterziehen.

Und – als lockere Überleitung zum nächsten Punkt – immer auch auf die Höhe des Platzes/Standortes über dem Meeresspiegel achten.

2. Spitz-findig-keit

Versuch der Besteigung des Chimborazo, mit 6263 Metern ü. d. M. der höchste Berg in Ecuador, auf den Tag genau vor 222 Jahren. Von Alexander von Humboldt am 23. Juni 1802 festgehalten und im „Buch der Tagebücher“ wiedergegeben (S. 296-297, zur Person S. 633-634; bereits in der #22 findet sich von ihm ein Bericht aus Chamaya in Peru).

„Der Hang wurde bald sehr steil. Man mußte sich mit Händen und Füßen festhalten. Wir verletzten sie uns alle, wir bluteten alle, die Steine hatten spitze Kanten. Man wußte nicht, wo man den Fuß hinsetzen sollte, die Felsbrocken waren in dem sehr feinen Sand beweglich. Man brachte sie oft in Bewegung, wenn man glaubte, sich an ihnen mit den Händen festhalten zu können, und diese Beweglichkeit war gefährlicher als der Sturz, den man vermeiden wollte … . Wir stiegen höher, der Grad wurde sanfter, aber die Kälte vermehrte sich bei jedem Schritt. Auch die Atmung wurde stark beeinträchtigt, und was noch lästiger war, jeder fühlte sich schlecht, hatte das Bedürfnis, sich zu erbrechen. … Außerdem bluteten uns das Zahnfleisch und die Lippen. … Alle diese Symptome von Asthenie rühren ohne Zweifel von dem Sauerstoffmangel her, dem das Blut ausgesetzt ist, von dem Mangel dieses lebensspendenden Stoffes … . Wir stiegen noch eine halbe Stunde lang. … Es kam uns ein Schimmer von Hoffnung, daß wir den Gipfel erreichen könnten. Aber eine große Spalte setzte unseren Bemühungen ein Ende … .“

3. Spitz-findig-keit

Drei ostdeutsche Frauen betrinken sich …

Unser Literaturzirkel am 17. Juni mit der Lektüre des in der #168 erwähnten Buches von Annett Gröschner (Jahrgang 1964), Peggy Mädler (1976) und Wenke Seemann (1978) förderte jenseits der geschichtlichen Daten neue Erkenntnisse zutage. Wir erinnern den ersten Volksaufstand in der DDR am 17. Juni vor 71 Jahren. Und 1989 mit der „Friedlichen Revolution“ den Fall der Berliner Mauer mit nachfolgender Wiedervereingung, jedoch gravierendem Geburtsfehler. Während die Diktaturerfahrung bei den Menschen tiefe Prägungen hinterlassen hat, so ein verbreitetes Weltbild, das in Freund und Feind unterteilt, ist heute in den protestantischen Landstrichen, wo seit jeher Leistung zählte, zudem ein ausgeprägtes „Entwertungsgefühl“ (S. 59) feststellbar.

Der Maler Neo Rauch und der Literaturprofessor Dirk Oschmann (hier in #119 festgehalten) sowie – nach eigener Aussage in dessen Fahrwasser – die drei Frauen, kämpfen dagegen an. Denn aus einer latenten Verdrossenheit ist zwischenzeitlich Wut, in Teilen sogar Hass geworden (S. 112), hat sich zum „Jammer- der Wutossi“ gesellt (S. 234) sowie eine posttraumatische „Verbitterungstörung“ (S. 257) eingestellt. Die zentrale Erkenntnis: anstelle des bundesrepublikanischen Grundgesetzes tut eine gemeinsame Verfassung not! Die Frauen hoffen deshalb – unterstützt von Kolleginnen (S. 311) -, „… dass der beiseitegelegte Verfassungsentwurf von 1990 … zurückkehrt und ordentlich rumspukt.“ Schade nur, dass die drei Frauen beim Gründen des idealen Staates nicht gänzlich ohne Gender-Sterne auskommen.

Aktuelle Wahlergebnisse und …

NZZ vom 17.6.2024 mit dem Untertitel: „Die jüngsten Europa- und Kommunalwahlen haben gezeigt, dass Rechte auch in Deutschland auf dem Vormarsch sind. Doch wer sind die Leute, die für sie kandidieren? Was bewegt ihre Wähler und ihre Gegner?“ Aus den zusammengetragenen Beobachtungen in zwei sächsischen Städten mit einer Wahlbeteiligung von jeweils rund 75 Prozent und hohen Wahlergebnissen für die Alternative für Deutschland (AfD) – Niesky in der Oberlausitz nahe der Grenze zu Polen – 9150 Einwohner – mit (E) 39,2 bzw. (K) 38,9 Prozent AfD sowie Glashütte im Erzgebirge – 6800 Einwohner – mit (E) 41,2 bzw. (K) 29,0 Prozent AfD – ergibt sich ein Bild.

… die dahinter stehende Motivation

Die im insgesamt sehr lesenswerten Bericht zu Wort kommenden evangelischen Pfarrersleute geifen wir dafür heraus: Janis Kriegel, seit neun Jahren Pastor in Niesky, sagt bis heute sei es schwer, mit den Leuten über Politik zu reden. „Sie wollten darüber nicht sprechen, es sei wie ein Tabu: keine Diskussion, keine Auseinandersetzung. Lieber schweigen als sich den Mund verbrennen. So sei es in der DDR gewesen, so sei es heute.“ Ein Misstrauen gegenüber Staat, Regierung, etablierten Parteien, Medien und der Kirche sei vorherrschend. Kriegel spricht „… von Angst, die die Leute umtreibe: vor Überfremdung, dem Islam, Teuerung, dem Green Deal. Da seien Verletzungen, ja Traumatisierungen, sagt er, Lebensbrüche nach dem Ende der DDR, das Gefühl, in Deutschland nur Bürger zweiter Klasse zu sein.“

Markus Schuffenhauer und Markus Deckert seelsorgen in der Region zwischen Sächsischer Schweiz und Osterzgebirge. Laut ersterem tobe in Deutschland „… ein Kampf zwischen Stadt und Land. Die Leute hier empfänden ihre Region auf allen Ebenen im Niedergang, als seien sie aufgegeben worden – obwohl es vielen eigentlich gut gehe.“ Das drücke aufs Gemüt. „Deckert ergänzt, der kritische Blick der Gesellschaft auf die AfD drohe in Erschöpfung, Gewöhnung und Resignation verlorenzugehen. Wenn sich die Leute das Parteiprogramm anschauen würden, dann wüssten sie, dass die AfD der demokratischen Meinungsbildung nicht guttun würde.“ Aber das tun sie eben nicht.

Auch in Glashütte, wo übrigens einige der bekanntesten Uhrenmarken der Welt, wie Lange, Nomos oder Wempe, hergestellt werden, wird kolportiert, „… dass die AfD-Vertreter in den Sitzungen präsent, aber nicht aktiv, geschweige denn konstruktiv seien. … Auch in Glashütte verdrehen sie die Augen, wenn die Rede auf die Ampelregierung in Berlin kommt, und denken sich ihren Teil.“ Kein Geschäftsführer der von der NZZ angefragen Uhren-Manufakturen wollte reden, nicht einmal der im Schweizer Besitz befindlichen.

Und hier geht es gleich weiter, wie es immer weiter geht.

#PreppoKompakt

Stumme AfD-Mandatsträger, frustrierte Stimmbürger, marginalisierte Ampelparteien. Vielleicht doch ein Anlauf mit einer neuen gemeinsamen Verfassung? Die Reichsbürgerszene wäre dann brotlos und die AfD täte sich weitaus schwerer damit, solche Wahlergebnisse zu erzielen.

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