Spitz-findig-keit #220

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute erfreuen wir uns stattdessen erneut am Capriccio und horchen auf weniger bekannte Wahrheiten über den einen und anderen Kunstschaffenden.

1. Spitz-findig-keit

Nach dem „Schwäbischen“ Capriccio das „Italienische“: Während bei Ersterem ein Lette das Schwabenland trefflich beschreibt (hier festgehalten), betört mit Letzerem ein Russe in seinem Opus 45 die gesamte Musikwelt. Besonders gelungen die Aufführung vom 1. September 2019 in den Niederlanden – Peter Tschaikowsky (1840-1893), Capriccio Italien, Radio Filharmonisch Orkest, auf YouTube. Der Dirigent Antony Hermus und die Orchestermitglieder belohnen das Publikum und sich selbst mit dieser fulminanten Darbietung. Einfach anhören und ansehen, immer wieder. Später, wenn sich die Bilder eingeprägt haben, geht es auch locker ohne diese.

Auf Klassik Radio sind am 5.5.2025 unter der Überschrift „Zwischen Genie und Abgrund: Fünf wenig bekannte Wahrheiten über den Komponisten“ zu finden. Beispielsweise die Beziehung Tschaikowskys zur reichen Witwe Nadeschda von Meck. „Obwohl sie sich nie persönlich trafen, führten sie über 13 Jahre hinweg eine intensive Brieffreundschaft und tauschten über 1.200 Briefe aus. Von Meck unterstützte Tschaikowsk(y) finanziell großzügig, was ihm ermöglichte, sich ganz auf seine Kompositionen zu konzentrieren.“

Oder seine Reisen unter anderem nach Florenz und Paris, die er als Inspirationsquellen und zugleich „… als Rückzugsorte vor dem gesellschaftlichen Druck in Russland“ nutzte. So entstand auch das „Capriccio Italien“. Und auch seine gleichgeschlechtliche Liebe konnte Peter Tschaikowsky so heimlich, aber intensiv ausleben, wie auch seiner geliebten Musik frönen: „Den Verstand könnte man verlieren, wenn die Musik nicht wäre. Sie ist die schönste Gabe des Himmels für einen Menschen, der im Dunkeln irrt. Nur sie vermag sein Leben zu erhellen, ihn zu trösten und zu beruhigen.“

2. Spitz-findig-keit

Faz-net vom 20.5.2025 bringt in einer Vorabveröffentlichung von Tilmann Lahmes neuer Thomas-Mann-Biographie – rechtzeitig zu dessen 150. Geburtstag – ebenfalls Neues ans Licht der Öffentlichkeit. Die bejahende Rezension auf faz-net (beides hinter Schranke) gleichentags folgt auf dem Fuss.

Thomas Mann, geboren am 6. Juni 1875 und gestorben am 12. August 1955, versuchte seine unterdrückte Homosexualität – im Gegensatz zu Tschaikowsky – mit immer mehr Medikamenten in den Griff zu bekommen. Der Ehemann und Vater von sechs Kindern rang um seine sexuelle Identität. „Er führt das Leben eines heterosexuellen Mannes, das ihn nach innen und nach außen stabilisieren soll, im öffentlichen Bild des berühmten Schriftstellers ebenso wie bei seinem Kampf mit sich selbst und seinen Gefühlen … . Doch immer wieder gerät sein Leben ins Wanken. Seine Frau hat nicht erst durch die Verliebtheit in den polnischen Jungen in Venedig bemerkt, dass das Begehren ihres Mannes in eine andere Richtung zielt als in ihre. Sie weiß es längst aus ihrem Ehebett.“ Er benötigt mehr und mehr Beruhigungs-, Schlaf- und Aufputschmittel „… gegen Depressionen, gegen die Dämonen, die sich meist in der Nacht anschleichen, gegen das Begehren.“

Tilmann Lahme „Thomas Mann – Ein Leben“*, dtv, München 2025, 590 S., 28 €.

3. Spitz-findig-keit

Während heute vor 113 Jahren in Franz Kafkas (1883-1924) Tagebuch in Prag kurz und bündig zu lesen ist „Nichts geschrieben“ („Buch der Tagebücher“ S. 264), steht bei besagtem Thomas Mann heute vor 74 Jahren in Pacific Palisades/Los Angeles (ebendort) folgendes geschrieben: „Anbruch meines Monats. Gefühl von Festlichkeit. Sauber rasiert, frisches Hemd. Der Himmel klar. Frühstück auf der Terrasse. Die Zeitung voll des entsetzlichsten Stumpfsinns.“ Das empfand er 1951.

Widmung

Meiner lieben Cousine Steffi gewidmet, die heute im Kreise der Familie einen unrunden Geburtstag feiert. Gemeinsam mit ihren beiden Schwestern hatte sie jüngst den Verlust ihrer Mutter Gretel zu beklagen. Aber mit „Mütter leben fort auf ihre Weise“ haben sie gemeinsam einen Weg zur Bewältigung der Trauer gefunden.

#PreppoKompakt

Dem Stumpfsinn, der heute mit den sozialen Medien viel größere Ausmaße angenommen hat, entgeht man am Besten durch „Enthaltsamkeit“. Das heißt, wie beim Intervall-Fasten (siehe hierzu als Einstieg) ein längeres Zeitfenster einrichten, in dem Mann/Frau eben nicht wahllos im weltweiten Netz unterwegs ist. Und bei der Auswahl der Informationsquellen in der verbliebenen knappen Zeit stets auf journalistische Professionalität und Neutralität achten. Vor allem sich auch den gleichen Senf/Honig nicht immer wieder auf die Wurst/das Brot streichen lassen. So bleibt der gesunde Menschenverstand gefordert und damit langfristig auch erhalten.

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