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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute schauen wir uns dafür drei am 1. Juli in unseren bevorzugten DACH-Zeitungen publizierte Artikel an. Die inhaltlich nichts miteinander zu tun haben – oder vielleicht doch?
1. Spitz-findig-keit
Faz-net weiß, dass der Dalai Lama am heutigen Sonntag seinen 90. Geburtstag feiert und er in diesen Tagen beabsichtigt, seinen Nachfolger bekanntzugeben. Im tibetischen Buddhismus wird die Frage der Nachfolge des Dalai Lamas „… nicht einfach durch eine Ernennung oder Wahl beantwortet, sondern traditionell durch einen Vorgang, der sich der Nachvollziehbarkeit von außen erst einmal entzieht, sofern man sich nicht auf seine religiösen Hintergründe einlässt: durch Reinkarnation nämlich, also eine Wiedergeburt.“
Die Wiedergeburt
Dabei wird angenommen, „… dass es keinen Anfang und kein Ende des Bewusstseinsstroms gebe, dass also das Bewusstsein eines lebendigen Wesens nach dessen Tod auf ein anderes übergehe.“ Im durch Karma und leidverursachende Emotionen geprägten Daseinskreislaufs könne man durch gute Taten zwar Einfluss auf die künftige Wiedergeburt nehmen, aber nicht selbst bestimmen. Anders jene, die aus diesem Kreislauf schon herausgetreten sind, sogenannte „Bodhissatvas“, die kraft ihres Mitgefühls wiedergeboren würden und in der Lage seien, Ort und Zeit ihrer Geburt und ebenso ihre zukünftigen Eltern zu wählen.
Die Reinkarnationsfrage hat der im Exil in Indien lebende Dalai Lama im März in seinem Buch „Eine Stimme für die Entrechteten“* (HarperCollins 2025, 288 S., 24 €) behandelt. Er sei von Tibetern „einhellig“ darum gebeten worden, die Abstammungslinie der Dalai Lamas fortzusetzen. „Und seine Reinkarnation werde wohl ‚in der freien Welt‘, also außerhalb Chinas, stattfinden. Schon früher hatte er zu erkennen gegeben, dass er auch in einer Frau wiedergeboren werden könne.“ Definitives ist wohl in dieser Woche zu erwarten. So Mark Siemons in der FAZ.
2. Spitz-findig-keit
Nyx-Kapsel mit Raumschiff abgestürzt, berichtet DerStandard. Dass sich bei den Space X Raketenmanövern von Elon Musk immer wieder Unglücksfälle ereignen, ist Mann/Frau fast schon gewohnt. Nun ist am 24. Juni 2025, nach einem kurzen Aufenthalt in der Schwerelosigkeit auf einer niedrigen Erdumlaufbahn, das Frachtschiff bei der Rückkehr zur Erde aufgrund eines Versagens des Fallschirmsystems in den Pazifischen Ozean gestürzt und die Fracht verloren gegangen.
Nutzlasten
Befördert wurden 70 unterschiedliche Nutzlasten, die größte davon war Nyx, eine 1,6 Tonnen schwere Wiedereintrittskapsel des Raumfahrt-Start-ups The Exploration Company mit Hauptsitz in Planegg bei München. Deren Ladung umfasste etwa 300 Kilogramm Material, darunter auch Asche und DNA von mehr als 166 Verstorbenen. Zum „Earthrise“-Service mit Preisen zwischen 3495 und 11.085 US-Dollar pro Person gehören auch Gedenkfeiern, Satellitenverfolgung und die Möglichkeit, dem Start der Rakete beizuwohnen.
Außerdem transportierte Nyx auch Cannabis, bereitgestellt von Martian Grow, einem offenen Citizen-Science-Projekt. „Dessen ehrgeiziges Ziel ist es, künftig Hanf auf dem Mars anzubauen. Für diesen Zweck wurden Samen und Pflanzenmaterial in den Orbit gebracht, um zu erforschen, wie Mikrogravitation Keimung und Widerstandsfähigkeit beeinflusst.“
Gewienerter Schmäh am Stück
Von insgesamt 349 Leserbeiträgen nur vier besonders ausdrucksstarke:
„166 Tote, keine Meldung in den meisten Medien und nur eine Randnotiz im STANDARD! Das ist nichts anderes als ein riesiger Skandal, wahrscheinlich eine Verschwörung!“
„Wenn am Mars Cannabis angebaut wird, dann wird die Umsiedlung der Menschheit auf den Mars leichter gelingen.“
„Bin ich reich Wie ein Scheich, Posier‘ am Ende ich als Weltraumleich‘. Vermischt mit Gras, Wird mir beim Wiedereintritt haaß, Doch ich bleibe cool, Und lande in Kabul. Danach fühl‘ ich mich versypht, Denn ich werd‘ final gekifft.“
„Ein Präzedenzfall von posthumer Karmaverschlechterung.“
3. Spitz-findig-keit
Die NZZ berichtet (hinter Schranke), dass „Die letzten Tage der Menschheit„* (gebundene, ungekürzte Ausgabe, Jung u. Jung 2014, 28 €) von Karl Kraus erstmals als Oper aufgeführt werden. „Der Komponist Philippe Manoury hat aus der monströsen Anti-Kriegs-Reportage … ein Musiktheater gemacht. Zürichs früherer Schauspielhaus-Intendant Nicolas Stemann inszeniert es in Köln als luxuriöse Materialschlacht.“
Karl Kraus hat das Werk zwischen 1915 und 1922 niedergeschrieben. „Er selbst hielt ‚Die letzten Tage der Menschheit‘ für im Prinzip unaufführbar, ausser vielleicht auf dem Mars. Dennoch hat sich diese monströse Fortsetzungstragödie – mit 800 Druckseiten, 220 Szenen und mehr als 1000 Mitwirkenden – bis heute nicht erledigt. Im Gegenteil: Seit Februar 2022, seit es wieder Krieg gibt vor Europas Haustür, handelt es sich plötzlich um das Stück der Stunde.“
Was die Musik aus dem Text macht
Die polystilistische Musik Manourys ist einfach zu schön. „Sie schafft es, Kraus zu entkrausen und den Wiener Schmäh zu entwienern. So verwandeln sich die ‚Letzten Tage‘ ungewollt in Kriegskitsch – durchaus pathosfähig, aber ironiefrei.“ Da gibt es Szenen, einzelne Sätze oder Wörter, „… bei denen das Blut in den Adern gefriert. Karl Kraus hat bekanntlich nichts frei erfunden. Er hat nur beobachtet, aufgeschnappt, zitiert und montiert. Er stellte fest: Der Mensch ist eine Fehlkonstruktion. Im Kriegszustand kommt es zur kollektiven Entmenschlichung. Gewalt, Egoismus, Dummheit, Lüge und Selbstbetrug greifen um sich, quer durch alle sozialen Schichten.“
#PreppoKompakt
Also zumindest punktuell sind mit Mars, Musik, Mus(i)k, Karma, Karmaverschlechterung, Wiener Schmäh und Tibet als DACH der Welt Überschneidungen gegeben.
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