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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute führen wir uns lieber den Beginn der Wiedervereinigung zu Gemüte und wie ein Literat diesen besonderen Tag heute vor 36 Jahren festgehalten hat. Und erinnern daran, was hinter „dem Volk aufs Maul schauen“ alles steckt und welchen Appell eine „Nachfolgerin“ Martin Luthers zum Reformationstag gegenwärtig an uns richtet.
1. Spitz-findig-keit
Aus dem „Buch der Tagebücher“ ein (stark gekürzter) Eintrag von Walter Kempowski (1929 – 2007) aus Nartum, einem Dorf in Niedersachsen, vom 9. November 1989 (S. 526-527; zur Person S. 637; auch schon in unserer #21 aufgegriffen).
„1.10 Uhr. Sender unterbricht ‚wegen der besonderen Ereignisse‘! Wie bei Orson Welles. / Erstaunlich, unglaublich. / Das ist doch die Wiedervereinigung. Ob da nun ein Grenze dazwischen ist oder nicht. / Verstehe überhaupt nicht die Argumente der Sozis. / ‚Seit sechs Stunden ist die Grenze offen!‘ / Die meisten kommen nur, um mal zu gucken. /“ …
„1.20 Uhr. Runtergelaufen an den Fernseher, ein völlig unbekannter Reporter, wohl Journalist vom Dienst, cool, aber mit Herz. Tagesschau: Bush: ‚Dramatische Entwicklung‘, in dieser Richtung äußere sich auch Frankreich. Warschau: Das sei die Wiedervereinigung.“
2. Spitz-findig-keit
Aus dem Infobrief des Vereins Deutsche Sprache (VDS) vom 3.11.2025: „Schlafender Riese – Zum Reformationstag am 31. Oktober erinnert der NDR an die sprachprägende Leistung Martin Luthers. Nach dem Reichstag zu Worms 1521 musste sich Luther unter dem Namen Juncker Jörg auf der Wartburg verstecken. Dort übersetzte er in wenigen Wochen das Neue Testament in ein bis dahin nicht dagewesenes Deutsch, welches die nieder- und oberdeutschen Sprachgebiete miteinander verband, fast ohne Fremdwörter auskam und der Sprache der einfachen Leute nahe war.“ Gemäß Gottfried Herder hat Luther damit „… die deutsche Sprache, einen schlafenden Riesen, aufgewecket und losgebunden“.
Im NDR vom 31.10.2025 weiter: „Martin Luther übersetzte die Bibel … in ein Deutsch, das auch die Mägde und Knechte verstanden. ‚Dem Volk aufs Maul schauen‘ nannte er das. Berühmt sein musikalischer Stil zum Beispiel in diesen Zeilen aus der Weihnachtsgeschichte, voller Gleichklänge wie in einem Gedicht oder Liedtext: ‚Ihr werdet finden, das Kind in Windeln gewickelt.‘ … Darüber hinaus goss er die Lehren der Bibel in Sprachbilder, die wir heute, rund 500 Jahre später, noch verstehen und benutzen: ’sein Licht unter den Scheffel stellen‘, ’sein Scherflein beitragen‘, ‚der Mensch lebt nicht vom Brot allein, ‚Stein des Anstoßes sein‘, ‚mit Blindheit geschlagen sein‘.“
3. Spitz-findig-keit
Laut faz-net Frühdenker vom 31.10.2025 ruft die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischöfin Kirsten Fehrs, zum Reformationstag zu Vertrauen, Mut und Besinnung in Zeiten des Wandels auf.
„Reformation heißt, die Dinge nicht hinzunehmen, wie sie sind“, sagte Fehrs. „Sie beginnt dort, wo Menschen fragen, zweifeln, neu denken. In einer Zeit, in der zunehmend nicht mehr die Stärke des Rechts, sondern das Recht des Stärkeren zähle, brauche es Menschen, die sich einsetzen und mutig das Wort ergreifen.“
#PreppoKompakt
Wie wahr, wie wahr! Reformbedarf allerorten. Dabei gehören Einsicht/gesunder Menschenverstand und Mut zusammen, gegenwärtig ein verdammt knappes Gut. Nicht so in Halle an der Saale, wo seit gestern die von Roland Tichy initiierte zweitägige Buchmesse „Seitenwechsel“ stattfindet, zum Auftakt begleitet von einer Protestdemonstration der Antifa, aber sauber abgeschirmt von einem Polizeiaufgebot. „In den Messehallen: gute Stimmung, Freude, großes Interesse, dichtes Gedränge, gespannte Erwartung, volle Säle. … Während draußen linksradikale Chöre ihre Parolen in die Kälte schreien, reden drinnen Autoren, Verleger und Denker über Freiheit, Medien, Ausprägungen des radikalen und politischen Islam, Literatur.“ Die Schlußfolgerung im Bericht auf Tichys Einblick: „Hier wird ein Stück Öffentlichkeit zurückerobert. Ohne Subventionen, ohne Fördergeld, ohne Gesinnungsfilter. Nur mit Büchern, Argumenten und Menschen, die Lust haben, zu denken und zu debattieren.“


