5 minutes
Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstösse zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Stattdessen heute der Blick ins reichlich gefüllte Bücherregal mit einem echten Zufallsfund: Das Saumagen-Syndrom von Wolfgang Herles, 1994 im Kindler Verlag in München erschienen. Daneben auch „Gedächtnistropfen“ fürs eigene Erinnern. Als Lesezeichen im Buch eine Einladungskarte, die wohl belegt, dass es 1995 auf eine große Umweltkonferenz nach Bulgarien mitgenommen wurde.
1. Spitz-findig-keit
Wolfgang Herles, Jahrgang 1950, heute auf Tichys Einblick mit der wöchendlichen Glosse „Herles fällt auf“ – hier vom vorletzten Samstag – eindrucksvoll und ausdrucksstark unterwegs. Schon damals bescheinigte ihm die Financial Times, dass er unabhängiger als die meisten deutschen Fernsehjournalisten denke. Als Bonner Studioleiter des ZDF war er zudem mittendrinn im politischen Zeitgeschehen.
Schauen wir uns nur ein paar wenige Stellen in seinem Buch über die Deutschen und ihre Politiker der 1990er Jahre an:
„Die Parteien … halten sich für den Staat. Das ist nicht bloß Anmaßung, sondern die vorherrschende Strategie der Kritikabwehr. … Aber wir haben es nicht mit Politik- oder gar Staatsverdrossenheit zu tun, sondern mit Politiker- und Parteienverdrossenheit.“ (S. 21).
Unter der Überschrift „Herrschaft auf Zeit“ ist zu lesen: „Der programmierte Wechsel ist das einzige Mittel gegen Erstarrung. Erfolgreiche Kanzler werden nach zwei Legislaturperioden nicht bestraft, sie können einem anderen Politiker ihrer Partei den Weg frei machen. Ein Kanzler in der zweiten Legislaturperiode wäre weit weniger vom nächsten Wahlkampf geleitet. Die Mehrheit der Deutschen würde das begrüßen.“ (S. 49).
Und:
„Die Führungsfiguren halten hin und wieder Grundsatzreden, die sie sich aufschreiben lassen, aber zur gedanklichen Durchdringung der Dinge finden sie keine Zeit. Diesen Bildungsnotstand geben sie nicht gerne zu. Sie halten den Besuch der Bayreuther Festspiele und die Bevorratung einiger Klassikerverse im Langzeitgedächtnis für einen hinreichenden Beleg ihrer Denktiefe.“ (S. 120).
Dann folgen noch unter der Überschrift „Machmißbrauch: Selbstbedienung, Privilegien, Skandale“ eine Reihe von Namen, wie beispielsweise Möllemann, Krause, Kubicki, Steinkühler und Stolpe. Aber auch Hans-Herbert von Arnim, der mit seinen Gutachten für den Bund der Steuerzahler (BdSt) – hier in #35 von uns thematisiert – vielfach zur Aufklärung beigetragen hat (S. 157 – 177).
Aber:
„Unfähig- und Ahnungslosigkeit aber sind hierzulande kein Grund für Rücktritte. Legte man Sachverstand als Maßstab an, würden in der Tat ganze Kabinette entvölkert.“ (S. 169).
Zuguterletzt, warum Fundamentalisten unfähig sind, andere Anschauungen zu ertragen: „Für Politiker gilt: Je größer ihr moralischer Anspruch und ihre weltanschauliche Überzeugtheit, desto schwerer können sie Gegenargumente ertragen.“ (S. 190).
Zuallerletzt eine Warnung vor den Diktatoren der Zukunft: diese „… werden nicht unter der Flagge von Nationalismus oder Sozialismus siegen, sondern im Zeichen des Umweltschutzes.“ (S. 254).
2. Spitz-findig-keit
Sofia im Oktober 1995. Teilnahme als Mitglied der Delegation der Europäischen Kommission im Rahmen des mehrstufigen Prozesses „Umwelt für Europa“. Dabei ging es um eine Standortbestimmung der Umweltpolitik in den Ländern Mittel- und Osteuropas sowie die Frage der Durchsetzbarkeit einer nachhaltigen Entwicklung.
#PreppoKompakt
Fast könnte man meinen, Wolfgang Herles hätte hellseherische Fähigkeiten. Aber er hat wohl „nur“ die Fertigkeit, die Gegenwart genau zu analysieren und eigenständig zu schlußfolgern. Bleiben dann die Probleme auch nach rund drei Jahrzehnten ungelöst, scheint sein Licht umso heller. Vermutlich aber übt er einen besonderen Einfluß auf Bundeskanzler als Leser und Leserinnen aus. Nur so sind das Klischee vom inhaltsleeren Kohlschen Saumagen oder die Merkelsche Vorliebe für die Bayreuther Festspiele zu erklären. Und bei der Verortung des Diktators der Zukunft reicht schon eine leichte Korrektur von der Umwelt- zur Klimapolitik aus. „Dieser Habeck hat noch nicht einmal mitbekommen, dass er Wirtschaftsminister eines großen Industrielands geworden ist. Bisher bewährt er sich nur als Wirtschaftsvernichter. Er ist ein freier Radikaler im öffentlichen Dienst. Niemand fängt ihn ein, schon gar nicht der Mann mit der Richtlinienlizenz.“ So Herles in seiner oben verlinkten Glosse.