Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer neuen Kolumne ‘Spitz-findig-keit’ werden wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen zitieren, dabei auch klassische Denkerinnen und Denker nicht verschonen.
Um Denkanstösse zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Wir wollen stattdessen heute gemeinsam einfacheren Fragen nachgehen: nämlich, ob wir alle im Umgang mit Kontroversen noch ganz dicht sind und wie wir es mit Gott halten?
1. Spitz-findig-keit
„Was nur illustriert, wie elend der zivile Umgang in Deutschland bereits erodiert ist. Man beschränkt sich auf gegenseitige Beschuldigungen in aggressivem Ton, statt sich darüber zu einigen, dass ziviler Zweifel an der Politik erst die Demokratie trägt, wenn er sich denn vernünftig äussert.“ Ein Kommentar von Claudia Schwartz in der NZZ vom 26.4.2021 über die offenbar und -sichtlich mißglückte Aktion – #allesdichtmachen – von 50 deutschen Schauspielerinnen und -spielern, denn billiger Klamauk sei noch keine Satire. Offensichtlich mißglückt, weil zwischenzeitlich über 20 der Beiträge wieder vom Netz genommen wurden.
Und weiter: „Statt dass Deutschlands Film- und Fernsehprofis schlicht und ergreifend klargemacht hätten, wie die derzeitige Situation ihnen auf die Nerven und an die psychische und physische Existenz geht, und damit ihr nicht weniger strapaziertes Publikum für eine sinnvolle Gesellschaftsdebatte abholten, bastelten sie eine intellektuell dürftige filmische Nabelschau zusammen.“
Die 375 Kommentare zum Kommentar wiederum zeigen mir – ohne alle im Detail studiert, ja sogar ohne einen einzigen #allesdichtmachen-Beitrag je gesehen zu haben – ein Meinungsspektrum, dass die gesamte Bandbreite beinhaltet. Und das insbesondere auch in einem vernünftigen Ton vorgetragen wird. Will heißen, es geht, wenn man will. Vielleicht brauchen wir Deutschen öfter mal unsere Schweizer Nachbarn, um auf den Pfad der Tugend zurückzukehren. Das gilt selbst – wie wir gleich sehen – für den „Papa emeritus“.
2. Spitz-findig-keit
Der Moraltheologe Eberhard Schockenhoff im Zeitinterview vom 5. April 2015 zur Wertigkeit von Kontroversen in der Kirche: „Mich beeindruckt bis heute die Eröffnungsansprache von Papst Johannes XXIII. auf dem Konzil. Da sagt er, dass Kontroversen nicht die Einheit des Glaubens gefährden. Das kann man auch über den Zweifel sagen. Unausgesprochene Zweifel gefährden den Glauben, ausgesprochene nicht.“
Auf die Frage: „Wird die Kontroverse in der Kirche wertgeschätzt?“ sagt Schockenhoff: „Immerhin hat Franziskus dazu aufgefordert. Aber man merkt, dass die Bischöfe das nicht gewohnt sind. Unter Papst Benedikt XVI. war das Streiten verpönt, da galt Einmütigkeit. Franziskus zeigt, dass es verschiedene Arten gibt, katholisch zu sein. Das mag schmerzlich sein für alle, die meinten, Benedikts Weg sei der einzig wahre, und die diese Erkenntnis als Waffe gegen andere nutzten. Aber die Kohärenz der Lehre, die Schönheit der Liturgie und der Ästhetizismus des Rituellen sind eben nicht alles. Franziskus zeigt, dass es auch anders geht. …
Für mich gibt es zwei Bilder in der Bergpredigt, die das Verhältnis der Kirche zur Welt gut beschreiben: das Licht auf dem Berg und das Salz der Erde. Wenn man nur versucht, sein Profil gegen die gesellschaftliche Entwicklung zu stärken, als erhabener Gegenentwurf auf dem Berg zu leuchten, dann ist das zu wenig. Das Salz der Erde übt seine Funktion genau dadurch aus, dass es nicht mehr als Salz erkennbar ist. Auch das ist der Auftrag der Kirche. Franziskus lässt für mich so etwas wie eine österliche Kirche aufscheinen, gerade weil er keine Angst hat, in die Welt hinauszugehen.“
Soweit Prof. Schockenhoff. Das Interview mit der Zeit wurde kurz nach dem Tode seines Bruders Andreas geführt, einem CDU-Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg. Ich bin Mitte April zufällig auf die Person Eberhard Schockenhoff gestoßen. Denn ein Freund aus Bonner Zeiten, Pater Hans Langendörfer SJ, hat kürzlich seine Nachfolge als KAAD-Präsident – hier beschrieben – angetreten, nachdem auch Eberhard am 18. Juli 2020 durch einen Unfall zu Tode gekommen ist. Unfall gleich Zufall?
3. Spitz-findig-keit
DerStandard aus Wien hat am 17.8.2020 seine Leserinnen und Leser in einer Kolumne nach dem Zufall gefragt – und eine rege Beteiligung ausgelöst.
Eine der 260 Antworten bestand aus einem Zitat von Albert Einstein: „Der Zufall ist Gottes Art anonym zu bleiben“.
Und hier geht es weiter mit Prof. Thess.
#PreppoKompakt
Debatten in Gesellschaft und Kirche sind notwendig, selbst oder gerade auch, wenn sie kontrovers geführt werden. Aber es dürfen keine Brücken abgebrochen werden. Und Zufälle gibt es zuhauf. Ob wirklich immer Gott dahinter steckt, das weiß nur er selbst.