Vier Säulen für ein langes, gesundes Leben

Wie hatte Slaven Stekovic, der junge Grazer Biochemiker, noch einmal argumentiert: die Altersforschung besser Langlebigkeitsforschung zu nennen und den Begriff Lebensdauer durch Gesundheitsspanne zu ersetzen. Nun ist ein Buch von einem 1977 in Manchester geborenen und dort praktizierenden Allgemeinmediziner mit indischen Wurzeln in deutscher Übersetzung bei Goldmann auf dem Markt, das nach seiner Lektüre verheißt, „… für den Rest Ihres Lebens auf dem Weg zu guter Gesundheit zu sein!“ Durch einen 4-Säulen-Plan – „Pillars“ im kurz vor Jahreswechsel 2017/18 erschienenen Original – sollen gerade kleine Schritte eine große Wirkung entfalten.

Die Rede ist von Rangan Chatterjee, der sehr erfolgreich im BBC-Fernsehen seine Sendung „Doctor in the House“ bestreitet und in einer „Breakfast Show“ sowie im BBC-Radio als ständiger Kommentator mitwirkt. Seine vier Säulen stehen für Entspannung (Relax), Ernährung (Eat), Bewegung (Move) und Schlaf (Sleep). Beim Vergleich der beiden Bücher fällt auf, dass die Grundbestandteile ähnlich sind, sie sich aber naturgemäß bei der Gewichtung und im Mix der Empfehlungen für ein längeres und gesünderes Leben unterscheiden. Aber die Richtung ist identisch.

Buch von Dr. Rangan Chatterjee

Etwas zum Autor und zum Buch

Dr. Chatterjee klingt ein wenig wie Lady Chatterley, aber das ist eine ganz andere Geschichte. Er ist ein langer, schlacksiger Mann, seiner Familie eng verbunden und dankbar. Diese Dankbarkeit drückt er auch gegenüber seinen Patientinnen und Patienten aus, von denen er mehr gelernt habe, als er je selbst lernen konnte (S. 261). In eine Arztfamilie hineingeboren und nach dem Medizinstudium in Edinburgh wegen der Krankheit des Vaters in die Heimatstadt zurückgekehrt. Darin gründet vermutlich seine enorme Motivation, anderen Menschen sinnvoll zu helfen.

Der 4 Säulen Plan* ist zugleich ein Bilderbuch, denn es hat auf insgesamt 272 Seiten über 60 ganzseitige Fotos, dabei sind der Einband und dessen Innenseiten gar nicht mitgezählt. Ebensowenig die vielen Fotos, die sich mit Texten eine Seite teilen. Bei mehr als der Hälfte der großen Fotos ist der Autor selbst abgebildet, bildet damit ein echtes Objekt der Begierde. Auf jeden Fall sind es so viele Fotos, dass sich die Erwähnung der Fotografin, Susan Bell, lohnt. Umso mehr als die Bilder auch stimmig sind, gekonnt sehr unterschiedliche Stimmungen ausdrücken. Fürwahr ein gewichtiges Buch, denn es wiegt stolze 906 Gramm, enthält aber auch „… ein Rezept für ein längeres, gesünderes, glücklicheres Leben. Und sie haben nur dieses eine.“ (S. 252). Wer den Mann, der so etwas verspricht, kennenlernen, ihm in Englisch mit seinem leichten Lispeln fasziniert zuhören möchte – hier auf youtube besteht die Möglichkeit.

Das Buch ist sauber untergliedert, enthält didaktische Hinweise, wie es zu nutzen ist. In bläulich unterlegten Textpassagen wird medizinisches Fachwissen so verständlich vermittelt, dass jeder klug daraus werden kann. Zu jeder der vier Säulen/Kapitel gibt es fünf Maßnahmen, die zielführend sind. Der Autor betont dabei, wie wichtig die Ausgewogenheit ist, da sie dauerhafte Verbesserungen ermöglicht. „Mir wäre es lieber, Sie würden bei jeder Säule 2 Punkte erzielen (das ergibt insgesamt 8), statt jeweils die höchste Punktzahl in zwei Säulen zu erreichen (was eine höhere Zahl – 10 – ergäbe).“ (S. 14).

Was man tun sollte, um zu relaxen

Die Entspannung (S. 16-71) sei die am häufigsten vernachlässigte Säule. Und unser moderner Lebenstil die Ursache vieler Gesundheitsprobleme. Es komme darauf an, Zeit für sich selbst zu nehmen – mindestens 15 Minuten pro Tag – und den Stress herunterzufahren. Mit telefonfreien Zeiten, dem bildschirmfreien Sonntag und einer digitalen Entgiftung in sieben Tagen. Beim Dankbarkeitstagebuch beruft er sich auf den amerikanischen Psychologen Martin Seligman – Nomen est omen – demzufolge man kurz vor dem Schlafengehen drei Dinge aufschreiben soll, die gut gelaufen sind (S. 45).

Für Chatterjee heißt Achtsamkeit, bei dem was man tut, aufmerksam und präsent zu sein, wobei es ihm auch um Stille geht (S. 53). Und Stille kann man üben mit Meditation und/oder der 3-4-5-Atmung (einfach, aber aufwändigst visualisiert auf drei Doppelseiten, S. 54-59). Dabei kommt – so wie bei Slaven Stekovic – regelmäßig auch der Hinweis auf unsere Vergangenheit als Jäger und Sammler (so auf S. 48). Sein letzter Rat zur Entspannung propagiert gemeinsame Mahlzeiten am Esstisch, wie früher am Lagerfeuer. Dadurch würde Einsamkeit verhindert, die Nahrungsaufnahme bewußter und zudem der Zusammenhalt in der Familie sichergestellt (S. 70).

Aber wie sieht die richtige Ernährung aus

In Bezug auf die Ernährung (S. 72-145) sei schon die schiere Menge an Ratschlägen ein großes Problem. Lernen könne man aber von Ernährungsformen in der „Blauen Zone“, einigen „… Enklaven, in denen der Anteil der über hundertjährigen Menschen auf geradezu magische Weise bis zu zehnmal höher ist als im Durchschnitt.“ (S. 76). Wir erinnern uns an die kroatische Urgroßmutter von Slaven Stekovic in ihrem Ort aus der Nähe von Split. Hier wie da eine vielfältige Ernährungsweise. Vorwiegend frische, unverarbeitete, heimische/regionale Erzeugnissen der Saison, gemeinsam verspeist und etwas Besonderes nur zu ganz besonderen Anlässen/Festen (S. 77).

Die fünf Maßnahmen von Rangan Chatterjee: Erstens, weniger Zucker um die Zuckerabhängigkeit und damit auch das Diabetes-Risiko zu verringern. Also auch die Zutatenlisten aufmerksam lesen und den eigenen Zuckergelüsten strategiebewährt widerstehen (S. 80ff). Zweitens, pro Tag fünf Portionen Gemüse verschiedener Sorten und Regenbogenfarben (mit entsprechender Tabelle auf S. 106f). Das Füttern der Mikroorganismen im Darm mit diesen pflanzlichen Fasern stärkt unser Immunsystem (S. 94). Drittens, Minifastenzeiten einführen und einhalten. Das sind 12:12 Stunden, entsprechend der in unserem Beitrag „Was Fasten mit Wohlbefinden zu tun hat“ beschriebenen Einteilung. Dazu gibt er sechs Tipps, wie inner- und außerhalb des Essfensters am besten zu verfahren ist (S. 114). Viertens, mehr Wasser trinken, acht kleine Gläser voll werden empfohlen (S. 119). Und Fünftens, verarbeitete Lebensmittel meiden, mit konkreten 13 Anhaltspunkten für das „Richtige Essen“ (S. 143 und 145).

(Wie)viel Bewegung braucht der Mensch

Die hohe Relevanz dieser Säule – Bewegung (S. 146-199) – belegen aktuelle Untersuchungsergebnisse der Weltgesundheitsorganisation – WHO (siehe faz-net vom 22.11.2019). Denen zufolge bewegen sich weltweit vier von fünf Jugendlichen zu wenig, wobei schon eine Stunde Bewegung am Tag ausreicht. Nur ein Fünftel der 11- bis 17-Jährigen schaffen das. Auch die deutschen Jugendlichen sind Bewegungsmuffel: 79,7 Prozent der Jungen und sogar 87,9 Prozent der Mädchen waren 2016 körperlich nicht aktiv genug.

Bei Chatterjee finden sich entsprechende Angaben der WHO zu Erwachsenen. Demzufolge bewegen sich 40 Prozent der Männer und 50 Prozent der Frauen in Europa und den USA nicht genug (S. 150). Er empfiehlt, unterlegt mit vielen praktischen Beispielen, sich die Fitness auch außerhalb der Studios zu besorgen. In freier Natur, städtischer Umgebung, direkt am Arbeitsplatz, wobei es auch ein Workout in der Küche sein kann. Seine fünf Maßnahmen sind: Laufen, mindestens 10.000 Schritte am Tag (das sind übrigens bei einer Körpergröße zwischen 1,70 und 1,90 m ungefähr 7 km); zweimal pro Woche ein Krafttraining; zweimal wöchentlich 10 bis 15 Minuten hochintensives Intervalltraining; Bewegungshäppchen für zwischendurch; mindestens einmal täglich und viermal pro Woche die Gesäßmuskeln aufwecken/trainieren. Zu Letzterem beschreibt und bebildert er vier Bewegungsabläufe (S. 190-197) – und vergißt nicht anzumerken, sie barfuß oder in Socken durchzuführen.

Was ist mit dem Schlaf

Aus einem guten Schlaf (S. 200-250) speisen sich auch die drei zuvor genannten Säulen. Schlafmangel – verglichen mit vor 60 Jahren sind es heute zwischen ein und zwei Stunden weniger – macht sich beim Menschen, wie auch in der Wirtschaft negativ bemerkbar (S. 202). Schlafmangel führt zu Schlafschulden und in der Folge, unter anderem, zu einem erhöhten Risko für Übergewicht oder psychiatrische Störungen (S. 209).

Rangan Chatterjee empfiehlt: Erstens, ein möglichst dunkles Schlafzimmer ohne elektronische Gerätschaften (S. 213). Zweitens, Morgenlicht tanken in freier Natur (S. 222). Drittens, ein Einschlafritual einzuführen und sich Mikroschläfchen zu gönnen (S. 232ff). Viertens gibt er Ratschläge, wie man die Unruhe in den Griff bekommt (S. 238ff) und rät, fünftens, Koffein nur am Vormittag zu konsumieren. Schließlich hat er noch 15 Tipps für einen besseren Schlaf parat (S. 248f).

Plädoyer für eine ausgewogene Umsetzung

Am Ende relativiert der Autor die Bedeutung der genetischen Veranlagung. „Rund 90 Prozent Ihrer Gesundheit werden von Ihrem Umfeld und nicht von Ihren Genen bestimmt.“ (S. 250). Er erhöht damit die Motivation jeder/jedes Einzelnen, die beschriebenen 20 Maßnahmen, Schritt für Schritt in ausgewogener Weise umzusetzen. Rangan Chatterjee bekennt sich zu einer progressiven Medizin. Er sieht es als seine ethische Verpflichtung an, sich zum Nutzen seiner Patientinnen und Patienten einzubringen.

Ein Verzeichnis von Quellen und weiterführender Literatur, eine Danksagung, ein ausführliches Register sowie vier Seiten für Notizen bilden den Schluss dieses beeindruckenden Buches.

Diesen Beitrag widme ich einem anderen „Inder“ – von mir insgeheim so genannt, weil er beruflich längere Arbeitsaufenthalte in Chandigarh hatte. Marvin, Anfang Dreißig, ein guter Freund meiner Söhne, erlitt Ende Oktober beim Verzehr eines schwäbischen Nationalgerichts den Bolustod. Zusammen mit seiner Familie, Verwandten und Freunden trauern wir sehr um ihn.

#PreppoKompakt

Die BBC setze ich persönlich mit hoher Qualität gleich. Wer dort, so wie Rangan Chatterjee reüssiert, hat etwas auf dem Kasten – nicht an der Birne. Sein Buch* kann, wie ein gutes Kochbuch, durch regelmäßigen Gebrauch den intendierten Zweck erfüllen: den Menschen auf natürlichem Wege ein gesünderes und längeres Leben bringen. Auch weil es wirklich kleine, nachvollziehbare Schritte sind, die eine große Wirkung entfalten. Eine gute Aufnahme und weite Verbreitung auch in unseren Breitengraden – den Irrungen und Wirrungen des Brexit zum Trotz – ist ihm zu wünschen.

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