Spitz-findig-keit #19

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer neuen Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ werden wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen zitieren, dabei auch klassische Denkerinnen und Denker nicht verschonen.

Um Denkanstösse zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeit #19

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute widmen wir unsere Aufmerksamkeit wieder einmal weitestgehend der Tierwelt. Von Schlange, Schimpanse, bis zu Elefant, der mit dem Elfenbein, und Kamel – alles ist vertreten. Wenigstens indirekt.

1. Spitz-findig-keit

Einen Artikel in der NZZ vom 12.4.2021, bei dem es um Moskaus Propaganda-Aktivitäten geht, kommentierte Dr. Lothar Rudolf Sukstorf kurz und schmerzvoll: „Um den Niedergang des Westens zu konstatieren brauche ich keine Putin-Propaganda. Für UNSEREN Niedergang sorgen wir schon selber, wie ein Ouroboros.“ Per Klick in Wikipedia machen wir uns schlau: „Der Ouroboros … ist ein bereits in der Ikonographie des Alten Ägyptens belegtes Bildsymbol einer Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt und so mit ihrem Körper einen geschlossenen Kreis bildet.“ Kurz ein „Selbstverzehrer“.

2. Spitz-findig-keit

Bären, Stinktiere, Vögel, Esel und Elefanten – alle kamen schon in Spitz-findig-keit #12 vor. Apropos, wer verteidigt eigentlich Tiere und nimmt sie gegen menschliche Anfeindungen in Schutz? Beispielsweise PETA, eine weltweit aktive Tierschutzorganisation, die sich mit Kampagnen für Tiere einsetzt, „… die in der Tierversuchs-, Ernährungs-, Unterhaltungs-, Bekleidungs- und Heimtierbranche gequält und getötet werden.“

Vielleicht hätte es noch eine ganz andere Qualität, wenn Tommy, der Schimpanse, ein Klagerecht erhalten hätte. Schon seit Jahren läuft sein Verfahren vor US-Gerichten, wie Geo am 21.12.2016 berichtete. Schimpansen gehören zur Familie der Menschenaffen und sind damit unsere nächsten lebenden Verwandten. Seit Juni 2021 ist Tommy nun spurlos verschwunden, wie hier zu lesen ist.

3. Spitz-findig-keit

In Afrika gibt es Kamele, kluge, ausdauernde Tiere, auf die man sich verlassen kann und die sich auch sehr gut in Rennen schlagen. Die Schur ihrer Wolle bringt darüber hinaus wunderbar leichte, dünne, anschmiegsame Kamelhaardecken hervor, wärmend im Winter, kühlend im Sommer. Wo es Kamele gibt, gibt es auch Kameltreiber, allgemeiner, vor allem feiner ausgedrückt Kamelhirten (auf ARTE sind die „Männer der Wüste“ zu sehen – verfügbar bis 13.8.2021).

Nun hat bei der Olympiade in Tokio ein deutscher Trainer beim Rad-Zeitfahren verbal daneben gelangt. Die Sportschau am 28.7.2021 hat dies festgehalten. Bevor aber die Katze aus dem Sack gelassen wird, fallen Begriffe wie „rassistische Äußerung“, „üble Entgleisung“, „Eklat“ oder „hässliche Szene“. Selbst der angerufene Sportler distanziert sich per Twitter von seinem Trainer: „Ich bin entsetzt … . Solche Worte sind nicht akzeptabel.“ So der Angefeuerte über einen – dem ersten Eindruck nach – potenziell zu Feuernden.

Für den Präsidenten des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Alfons Hörmann, war wichtig, dass sich der Trainer „… unmittelbar nach dem Wettkampf entschuldigt hat.“ Auch für Rudolf Scharping, den Präsidenten des Bundes Deutscher Radfahrer, war die Aussage nicht akzeptabel, nach Olympia sei darüber zu reden. Florian Naß, der für die ARD das Zeitfahren kommentierte, bezog unmittelbar nach der Szene Stellung: „Sowas hat im Sport überhaupt nichts verloren. Das ist absolut unterirdisch. Pardon, da fällt mir nichts ein.“

„Hol die Kameltreiber, hol die Kameltreiber, komm“. Dabei bezog sich der Trainer offenbar auf die vor dem Deutschen gestarteten Fahrer aus Algerien und Eritrea.

Die ernsthafte und auch -gemeinte Entschuldigung kam schnell, das schützte zunächst vor dem „Rausschmiss“. Der am gleichen Tag in faz-net um 20:55 Uhr – mit Bezug auf Punkt sechs der ‚Grundlegenden Prinzipien des Olympismus‘, demzufolge jedwede Diskriminierung mit der Olympischen Bewegung unvereinbar ist – (von München aus) auch vehement gefordert wurde. Am Donnerstag hat nun die Union Cyclist Internationale (UCI, der Dachverband nationaler Radsport-Verbände mit Sitz in Aigle in der Schweiz) den Rad-Sportdirektor vorläufig suspendiert. Seine Aussagen seien diskriminierend und verstießen gegen die Grundregeln des Anstands. Und der DOSB schickte ihn – im Nachfassen sozusagen – zurück in die Heimat.

Das Rennergebnis

Nebenbei bemerkt: Der Angefeuerte wurde Neunzehnter, die beiden afrikanischen Sportler kamen als 33. und 36. ins Ziel. Vielleicht wäre mehr drin gewesen, wenn der Trainer „Hol die Medaille, hol die Medaille, komm“ gerufen hätte.

Fußballergebnis vom gleichen Tag

Im olympischen Fußballturnier schickte uns – wenn man will: ausgleichende Gerechtigkeit oder auch doppeltes Ungemach – die Mannschaft der Elfenbeinküste/Ivory Coast/Côte d’Ivoire durch ein 1:1 nach der Vorrunde nach Hause. Das heißt, eigentlich war es ein Eigentor. Nach dem verlorenen Auftaktspiel gegen Brasilien und dem Sieg gegen Saudi-Arabien reichte das Unentschieden unserer Mannschaft um Trainer Stefan Kuntz nicht fürs Weiterkommen. Der TV-Kommentator sarkastisch: nun könne das Flugzeug für die Rückkehr der Mannschaft betankt werden.

Und hier geht es brandgefährlich weiter.

#PreppoKompakt

Es geht, was die vielen Tiere anbelangt, fast zu wie im Zoo. Vor allem aber auch typisch deutsch, wie die überstürzten und wohl auch überzogenen Reaktionen auf den Kameltreiber-Anfeuerungsruf zeigen. Hat man da nicht aus der Fliege einen Elefanten gemacht? “Denn mancher hat sich schon beklagt, ach hätt’ ich das doch nicht gesagt!” Den Spruch kennen wir schon von Wilhelm Busch – und er gilt in unserem Fall wohl nicht nur allein für den Rufer. Die 123 Lesermeinungen zum oben verlinkten Artikel in faz-net lassen sich grob wie folgt zuordnen: 26 finden es richtig, den Trainer/Sportdirektor zu kritisieren/suspendieren. 27 beiben eher erklärend, abwägend, neutral und 70 finden die Reaktionen überzogen. Da ist beispielsweise von einer „deutschen Empörungsmaschine“ die Rede oder von einem „Volk übelgelaunter Pestalozzis“ (zur Klarstellung: meint nicht unsere Schweizer Nachbarn).

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