Spitz-findig-keit #56

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitz-findig-keit #56

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Wir schauen hingegen noch einmal in den Spiegel, wie bereits vor fünf Wochen in der #51. Es lohnt sich, nicht wegen der Schadenfreude, die angeblich die schönste Freude ist. Sondern weil sich aus der kurzen Episode mit der Bundesfamilienministerin Anne Spiegel in der knapp über vier Monate alten Ampelkoalition Schlüsse ziehen und Forderungen ableiten lassen.

1. Spitz-findig-keit

Sind mein Freund Helmut, der Nachhaltigkeitsexperte aus Königswinter, und ich etwa schuld am Rücktritt der Frau Ministerin? Dazu unser einschlägiger Schriftverkehr vom 8. bis 11. April, wobei Helmuts Verteiler zu wichtigen Akteuren, Meinungsträgern und -bildnern selbst bis Berlin reicht:

Helmut mit AUFGEPICKT – Rücktritt dann Antritt:

Nach Rücktritt: Kölner CDU hält an Heinen-Esser bei Landtagswahl fest …..! … Da stellt sich insgeheim wohl doch die Frage: Welche Qualitätskriterien gelten eigentlich in der CDU bei der Personalauswahl für potentielle zukünftige Mandatsträger und damit für die propagierten „Ideen für die Zukunft unseres Landes“? Offenbar wohl: Größtmögliche Unverfrorenheit mit undurchdringlich dickem Fell.

JG:

Der frühe Vogel pickt den Wurm, oder so ähnlich. Dein NRW-Blick ist unvollständig. Man muss zugleich in den Spiegel, sprich nach Mainz/Berlin schauen. Oder ist es spiegelbildlich zu sehen?

Helmut:

Na denn, gleiches Recht für Alle! Allez hopp Mme Spiegel …

JG:

Ja, das mit dem „allez hopp“ nenne ich konsequent. Alles andere ist eben spiegelverkehrt.

Helmut mit JETZT ABTRITTE – Na bitte!

Ex-Ministerin Heinen-Esser will auf Sitz im neuen Landtag verzichten. Und zum Rücktritt von Ministerin Spiegel, wie gesagt: Es hilft nur noch KONSEQUENZ! Vielleicht hilft das dabei, endlich wieder zu sachlich orientierter Politik zu kommen und den vernünftigen Lösungen der dringenden Probleme Vorrang vor persönlichen Befindlichkeiten und Eitelkeiten zu geben.  

2. Spitz-findig-keit

Wahlkampf-Aktionen können locker zurückschlagen. Nachdem sich langsam der Schleier des Vergessens – trotz laufender Untersuchungsausschüsse in Düsseldorf und in Mainz zur Flutkatastrophe Mitte Juli letzten Jahres – darüber zu legen begann, bringt die Suche von SPD und Grünen nach „Geländegewinnen“ vor der Landtagswahl in NRW am 15. Mai das Thema unvermittelt wieder in die Schlagzeilen. Geländegewinn, so die Formulierung in faz-net am 10.3.2022 (hinter Schranke), wohl inspiriert durch den Krieg in der Ukraine. Ist es Unvermögen oder schlichtweg Unkenntnis der NRW-Opposition darüber, dass auch Ministerin Spiegel kurz nach der „Jahrhunderflut“ einen wochenlangen Urlaub einlegte? Man weiß es nicht.

Auf jeden Fall „Pech“, dass es die grüne Familienministerin in Berlin mit „abräumt“. Und sich zudem auch noch Bundeskanzler Scholz – wohl nicht zum ersten und letzten Mal – zu Recht vorhalten lassen muss, sein politisches Urteilsvermögen habe ihn im Stich gelassen, wie in der NZZ vom 11.4.2022 zu lesen. Einen selbst von der Parteiführung der Grünen negativ beurteilten letzten Rettungsversuch von einer nicht nur dabei gänzlich überforderten Ministerin Spiegel am Sonntagabend, hatte er als „menschlich sehr beeindruckend“ und sich davon „persönlich bewegt und betroffen“ beschrieben.

3. Spitz-findig-keit

Lehren ziehen

Was sollte man aus alledem lernen? Die NZZ faßt es (im obigen Artikel) so zusammen: „Über den Fall hinaus weisen jedoch drei Lehren, die sich der gesamte politische Betrieb ins Gedächtnis rufen sollte: PR ist nicht alles, Kompetenz ist wichtiger als Authentizität und Professionalität wichtiger als Proporz.“

Manche Personen wachsen auch mit der Aufgabe, viele enttäuschen. Nicht die im aktuellen Fall eher bedauernswerte „Versagerin“, sondern diejenigen, die sie ausgesucht haben, trifft die Hauptschuld. Bei der Auswahl von Spitzenpersonal sind Kompromisse unzulässig, alles muss stimmen, nicht nur das Geschlecht. Kompetenz ist glaubhaft zu belegen, Tricksereien am Lebenslauf sollten ein Ausschlußkriterium sein – was übrigens schon bei der Kanzlerkandidatin folgenlos blieb. Auch wenn der Werdegang einer Staatsministerin mittleren Alters auf einer DIN-A4 Seite zur Hälfte aus Parteitätigkeiten besteht und zudem noch eine falsche Jahreszahl enthält, ist Vorsicht geboten.

Auf den Kanzler kommt es an

Hier kommt auch die Durchsetzungsstärke oder -schwäche des Kanzlers ins Spiel. So hat Scholz als Bundesfinanzminister die Wiederwahl des Wirtschaftsweisen Lars Feld verhindert, aber bei der Besetzung von Posten in seinem Kabinett mußte er, und muss es nun offensichtlich erneut, „Kröten“ schlucken. Elisabeth „Lisa“ Paus, die designierte Bundesfamilienministerin, hat – wie faz-net am 14.4.2022 hervorhebt – in der vergangenen Legislaturperiode im Untersuchungsausschuss Wirecard Olaf Scholz als Finanzminister scharf kritisiert. Zwar kann der Bundeskanzler gemäß Artikel 64 Abs. 1 Grundgesetz (GG) jederzeit dem Bundespräsidenten einen Bundesminister zur Entlassung vorschlagen, aber in einer drei Parteien-Koalition, wie der Ampel, hinge dann schnell der Haussegen schief und stellte sich die Existenzfrage.

Rücktrittsgeschichten und -perspektiven

Faz-net vom 11.4.2022 (hinter Schranke) berichtet ausführlich über Ministerrücktritte seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland – darunter Franz-Josef Strauß (CSU), Jürgen Möllemann (FDP), Annette Schavan (CDU) und Franziska Giffey (SPD). 150 in der Presse ausgetragene Rücktrittsdiskussionen habe es seit 1949 laut einer Studie gegeben, 22 endeten mit einem Rücktritt. Nichts ungewöhnliches, nur habe seit 2009 die Rückgratlosigkeit zugenommen, so der Volontär Kevin Hanschke, der zudem mutig mutmaßt, dass Christine Lambrecht (SPD), unsere Verteidigungsministerin, die nächste sein könnte. Auch sie erhielte übrigens, wie Anne Spiegel, als „Trostpflaster“ ein Übergangsgeld in Höhe von 75.600 € – so die Welt vom 12.4.2022. Die Verteidigungsministerin und als weitere Übergangsgeld-Aspirantin Nancy Faeser und -Aspirant Karl Lauterbach, sind auch im NZZ-Newsletter „Der andere Blick“ vom 14.4.2022 unter der Überschrift „Es gibt zu viele Fehlbesetzungen im Kabinett von Olaf Scholz“ aufgelistet.

Und hier geht es spitz weiter – ja, man bekommt fast den Eindruck, Berlin ist der Nabel der Welt.

#PreppoKompakt

Unser Wort in Gottes Ohr. Aber wenn man gesehen hat, mit welch hoher Geschwindigkeit sich in Berlin das Nachbesetzungskarusell drehte und schon am 14. April stehen blieb – wenig Zeit, um aus Fehlern zu lernen. Gut, Lisa Paus bekommt nun ihre Chance. Zu Pfingsten hätte wenigstens der heilige Geist für Erleuchtung sorgen können. Dennoch allen jetzt ein frohes Osterfest mit vielen bunten Eiern im Nest – darunter möglichst kein weiteres Kuckucksei.

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