Spitz-findig-keit #97

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitz-findig-keit #97

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute geht es dafür um drei richtige Figuren, echte Größen im Abgang vereint durch das geflügelte Wort „Rom sehen und sterben“.

1. Spitz-findig-keit

Faz-net vom 16.1.2023 berichtet über Gina Lollobrigida – La Lollo: „Zu ihrer Zeit brauchte man für wahre Berühmtheit so viel Schönheit wie Talent. An diesem Montag ist Gina Lollobrigida, die selbstbewusste, große Filmdiva, im Alter von 95 Jahren (in einem römischen Krankenhaus – JG) gestorben.“

Nach dem Ende der Filmkarriere – ihr Leben von Maria Wiesner auch zusammengefaßt in einer 20er-Bilderstrecke – war die kluge Geschäftsfrau äußerst erfolgreich als Fotografin tätig. „Ebenso hartnäckig und ehrgeizig, wie sie vor der Kamera gearbeitet hatte, wirkte sie nun dahinter. Innerhalb kürzester Zeit wurde sie eine der begehrtesten Fotografinnen Italiens, schoss Porträts von Fidel Cas­tro, Ronald Reagan und Paul Newman und arbeitete als Modefotografin für die ‚Vogue‘.“

Ihre letzten Lebensjahre waren getrübt durch eine Auseinandersetzung mit ihrem Sohn Milco (im Bild 8/20 als Kind 1962 beim Besuch des Weihnachtsmarktes zusammen mit seiner Mutter auf der Piazza Navona in Rom festgehalten), sogar bis hinauf vors höchstinstanzliche Gericht. La Lollo wurde 2021 in Bezug auf Vermögensfragen entmündigt, weil sie sich mit ihrem 60 Jahre jüngeren Assistenten eingelassen und dieser „Hunderte von Vermögensgegenständen“ durch „Verkäufe in Auktionshäusern zu Geld gemacht haben soll.“ So faz-net vom 22.11.2021.

2. Spitz-findig-keit

Papst emeritus Benedikt XVI. Geboren 1927 in Marktl in Bayern, 95-jährig gestorben am 31.12.2022 in der Vatikanstadt. „Wir waren Papst“, in Anlehnung an die Schlagzeile der Bild-Zeitung zu seiner Wahl am 19. April 2005, als über der sixtinischen Kapelle der weiße Rauch aufstiegen ist.

Der 265. Papst bis zu seinem Nachfolger Franziskus (2013) insgesamt. Laut Wikipedia ist Benedikt XVI. (2005) nach Gregor V. (996) und Damasus II. (1048) der dritte aus Bayern stammende. Zudem nach Coelestin V. (1294) erst der zweite Papst der Geschichte, der freiwillig von seinem Amt zurückgetreten ist. Und seit dem 2. September 2020 sogar der älteste unter den 266 Päpsten. Allerdings war Leo XIII. (1878) bis zu seinem Tod mit 93 Jahren im Amt, während Benedikt sich vor Vollendung des 86. Lebensjahres emeritieren ließ. In Klammern jeweils das Jahr des Amtsantritts, wobei die beiden bayerischen Vorgänger es zusammen nur auf gut vier Jahre Amtszeit brachten.

„Was bleibt von Benedikt XVI.?“ fragt Harm Klueting in der NZZ vom 21.1.2023. Und liefert die ausgewogene Antwort im lesenswerten Beitrag, wie auch unmittelbar im Titel mit: „Das Denken eines Papstes, für den Glaube und Vernunft keine Gegensätze waren.“ Ja, der sogar im überlieferten christlichen Glauben die Vollendung der abendländischen Aufklärung und darin eine Aufgabe der Theologie erkannte. Nach dem nicht vernunftgemäss zu handeln, dem Wesen Gottes zuwider sei. Wie im Prolog des Johannesevangeliums geschrieben steht: „Am Anfang war der Logos. Gott handelt mit Logos. Logos ist Vernunft und Wort zugleich.“

3. Spitz-findig-keit

Wilhelm Waiblinger (1804 – 1830) schreibt am 22. Januar 1825 – exakt heute vor 198 Jahren – in Tübingen in sein Tagebuch: „Gott! Gott! daß ich einen Catalog Deiner Menschenrace hätte und ausstreichen könnt soviel ich will.“

In Heilbronn geboren, in Rom am 17. Januar 1830 im Alter von 25 Jahren an einer Lungenentzündung gestorben. Dazwischen ein verrücktes Leben. Der exzentrisch-genialische Schriftsteller beginnt schon mit 16 Jahren ein Tagebuch zu führen. Darin hält er seine Studentenzeit am Tübinger Stift, sein erotisches und literarisches Aufbegehren ebenso fest, wie seine freundschaftlichen Begegnungen mit Eduard Mörike und Friedrich Hölderlin (1770 – 1843). Sein ausschweifender Lebenswandel führte 1826 zum Verweis aus dem Stift.

Die hierfür gern zitierte Quelle (so hier in der #87): Buch der Tagebücher, Seiten 45 und 661-662, sowie die kurze Beschreibung Waiblingers unter den Alb-Geschichten. Etwas mehr über sein Leben, Lieben, Schreiben und Sterben ist zu erfahren auf Wikipedia.

Und ab hier wirkt die (H)Erdanziehungskraft.

#PreppoKompakt

Der Tod in Rom, nicht in Venedig wie in Thomas Manns Novelle aus dem Jahre 1911 (siehe Wikipedia). Eine leibhaftige Filmdiva, der deutsche/bayerische Papst sowie ein schwäbischer Schriftsteller innerhalb von 18 Kalendertagen – allerdings mit gebührendem Abstand in den Jahren 2023/2022 und 1830 – in der ewigen Stadt verstorben.

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