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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute begeben wir uns dafür wieder einmal voll in die Hände unserer eidgenössischen Nachbarn. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) bedient uns mit feinem Sprachgefühl, klarem Denken und heftiger Lebensweisheit.
1. Spitz-findig-keit
Die NZZ vom 29.1.2023 berichtet – objektiv und emotionslos – darüber, dass dem „Gender-Gaga“ der Kampf angesagt, zumindest aber mehr Gegenwehr geleistet werden soll.
„Die Unversöhnlichkeit, mit der heute um Worte und Wörter gerungen wird, trägt klare Züge eines Kulturkampfs. Hier die Ritterinnen einer inkludierenden, nicht verletzenden Sprache, dort die Wächter der alten Ausdrücke und Konzepte. Dazwischen die grosse Mehrheit, die dem Gendern entweder ohne grosse Begeisterung oder einigermassen entspannt gegenübersteht. Solange es an Schulen keinen Punkteabzug für unterlassenes Gendern gibt und die Polizei nicht von Vergewaltiger*innen redet, kommen sie nicht in Rage. Vom einen oder anderen Argument der Sprachreformer lassen sie sich vielleicht sogar überzeugen: Natürlich kann man in einem freien Land Mohrenkopf sagen – aber muss man?“
Und: „Die Tyrannei der Wörter ist nicht grenzenlos. Widerstand ist möglich, denn Sprache gehört allen. Die wichtigste Regel im Kampf gegen Despoten lautet: Leiste keinen vorauseilenden Gehorsam. Auch die Macht der Wörter-Tyrannen – der woken und der antiwoken – reicht nur so weit, wie man sie lässt.“
Ein Leserkommentar
Unter den 199 Kommentaren – zumeist subjektiv und leidenschaftlich – sticht der folgende aufgrund seines Witzes und seiner Geschlossenheit – mit 146 Empfehlungen an zweiter Stelle – hervor:
Gendern leicht gemacht und gedacht? . . . . . . . . Denkste
Meine sonst über alles geliebte Schwiegertochter möchte dass zukünftig immer und überall gegendert wird. Findet sie gut, ich nicht. Darum gleich bei der ersten Diskussionsrunde meine kleine Aufgabe an sie, mit der Bitte den folgenden Satz zu gendern: „Ein herrenloses Damenrad steht auf dem Bürgersteig“ . . . . . . „ach Opa Jürg kein Problem“. . . . . „okay, bitte“?. . . . . . . „Ein Besitzerloses“. . . . upps. . . .“Tiefeinsteigerfahrrad“. . . . upps. . . . . AUFGABE gescheitert, smile.
Gefunden im Netz dazu:
„Ein in ungeklärten Besitzverhältnissen befindliches mittelstangenloses Fahrzeug für Radfahrende steht auf dem Bürger*innensteig“
„Zweirädriges mit Muskelkraft betriebenes Fahrzeug konstruiert für Menschen mit Gebärmutter ohne Eigentumshintergrund steht auf dem Bürger_innensteig“.
Für alle welche es ernst ähh ernestinehaft wissen wollen: Wenden SIE sich bitte an einen der über 250 Lehrstühle in Deutschland, wo dieses gendern den Studenten verfuttert wird, danke. Mit dem Verweis, dass all diese Menschen später wohl in deutschen Amtsstuben sitzen, um uns weissen alten Männern und mehr als 39-jährigen Damen die einzig richtigen Wörter vorzuschreiben.
„Ich habe fertig“. So endet der Kommentar von Jürg Egger. Alles klar, die einzig verbleibende Frage ist, warum ihn seine Schwiegertochter mit Opa anspricht? Höchstwahrscheinlich hat sie Kinder.
2. Spitz-findig-keit
Die NZZ vom 31.1.2023 (hinter Schranke) bietet dem Sprachwissenschafter Roland Kaehlbrandt die Bühne für den Hinweis auf sein Buch „Deutsch„* (Piper-Verlag, München 2022, 256 S., 12 €), einer Liebeserklärung an seine Muttersprache. Gefahr oder Bedrängnis drohe der deutschen Sprache unter anderem vom, wen wundert es, Gendern.
„Der Preis für die politische Korrektur ist eine abstrakte, bürokratische Sprache. Es ist der ideologische Irrtum, die Sprache müsste weltanschaulich perfekt sein. Die Sprache muss alles können, übrigens auch lügen, schimpfen, spotten. Unsere alte und zugleich quicklebendige deutsche Sprache bietet uns so unglaublich viel. Etwas Freude über das im Allgemeinen so stimmig Gewachsene darf gerade in unseren Zeiten der Selbstgewissheit sein.“
Gefragt nach seinem hochdeutschen Lieblingswort anwortet er: „Anschmiegsam“ und begründet dies mit der Leichtig- und Geschmeidigkeit des Deutschen beim Zusammenfügen seiner Wörter. „Das Wort ist aus den drei Morphemen an-schmieg-sam gebaut. Genial! Und dann als Zweites die Bedeutung: Anschmiegen ist etwas anderes als anlehnen. Man muss die beiden Wörter kennen, um den Unterschied zu verstehen, etwa bei einer Beziehungsanbahnung. Das ist das Schöne an diesem Wort: Es bringt eine leichte Nuancierung, eine Abstufung. Das Anschmiegen ist intimer und näher als das Anlehnen. Jemand, der anschmiegsam ist, verkörpert diese Geste.“ Da wird einem doch ganz wohl zumute.
3. Spitz-findig-keit
In der NZZ vom 31.1.2023 (hinter Schranke) läßt uns Claudia Wirz, deren Friseur ganz bestimmt Stress hat, an ihren Lebensweisheiten teilhaben. „Schule ist Stress, Arbeit ist Stress, Familie ist Stress, Freizeit ist Stress. Kurzum: Das ganze Leben ist Stress. Das ist gut so, denn sonst wäre nichts los, und das würde uns sehr schnell stressen.“
„Warum also die Polemik um den Stress? Letztlich ist die Problematisierung von Stress nichts anderes als eine von Regulierungsabsichten getriebene Kritik an der Leistungsgesellschaft und am Wettbewerb. Doch ein stressfreies Leben gibt es genauso wenig wie die absolute Gleichheit. Zum Glück! Ohne Stress und Unterschiede wäre unser Leben fad und öd, und das wäre schnell Stress pur.“
Und hier werden wir sogar dreistellig.
#PreppoKompakt
Übrigens besteht wohl auch die Spitzfindigkeit – mein Lieblingswort, immer noch – aus drei Morphemen und ist damit, so hoffe ich, ebenfalls genial.
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