Spitz-findig-keit #123

8 minutes

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute schauen wir dafür etwas genauer auf einen leibhaftigen, lebenden „Dinosaurier“ und erinnern an Menschen, die in einer dunklen Zeit mit ihrem persönlichen Einsatz das Ansehen unseres Landes gewahrt haben.

1. Spitz-findig-keit

„Der öffentlichrechtliche Rundfunk in Deutschland hat sich verselbständigt. Er ist teuer, politisch einseitig und produziert immer mehr vom immer Gleichen. Dieses Biest ist nicht mehr zu zähmen.“ So macht der Gastkommentar des Ex-BILD-Zeitung-Chefredakteurs Hans-Hermann Tiedje in der NZZ vom 17.7.2023 unter der Schlagzeile „Publikumsverachtung – wie das Fernsehen mit seinen Zuschauern umgeht“ auf. Auch wer der Bild-Zeitung immer reserviert gegenüber gestanden hat, das Schlimme ist: Tiedje hat zu hundert Prozent recht!

Am Ende seines Kommentars: „Kein einziges Sendesystem ist derart teuer (demnächst möglicherweise 9 oder 10 Milliarden Euro Einnahmen jährlich), keines hat so viele Programme, so viele Verwaltungen, so viel Überfluss. Wie wäre es mit der Vereinheitlichung der IT im kompletten System? Warum braucht jeder Sender bis heute seine eigene Haustechnik? Wieso gibt es im Radio nicht eine nationale Nachrichtensendung mit einer Redaktion und regionalen oder lokalen Fenstern? … In der Summe ist kein anderes Sendesystem in den Strukturen so von gestern wie ARD und ZDF. Am Leben erhalten von Verfassungsrichtern und von Parteien. Über Jahrzehnte war dieser Apparat ein Nistplatz für verdiente Parteisoldaten, die Journalisten waren oder sich so nannten. Wer braucht den Dinosaurier noch?“

Dazwischen fügt er akribisch Stein auf Stein, nur drei Kritikpunkte greife ich kursorisch heraus und empfehle dafür wärmstens die Lektüre des gesamten NZZ-Artikels.

Erstens:

Öffentlichrechtlich – schon das Konstrukt sei ein Etikettenschwindel. „Statt öffentlich ist es voller Mauscheleien, Tricksereien und undurchsichtig, was die Besetzung von Posten und Räten anbelangt. Rechtlich? Eher rechthaberisch, fragwürdig, zweifelhaft.“

Zweitens:

Ein Hauptproblem sei, dass man sich nicht um Wünsche und Erwartungen der Konsumenten kümmert und, beispielsweise, locker weiter gendert. „Warum soll das Publikum den Kakao, durch den es gezogen wird, weiter bezahlen? Hundesteuer muss nur entrichten, wer einen Hund hat. Fahrzeugsteuer nur, wer ein Auto besitzt. Tabaksteuer nur, wer raucht. Den Rundfunkbeitrag aber muss jeder zahlen.“

Drittens:

Was bleibt beim öffentlichrechtlichen Fernsehen, das zu fast zwei Dritteln aus Unterhaltung besteht, vom eigentlichen Programmauftrag – einem Überblick über das Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen – noch übrig? „Sie sollen internationale Verständigung, europäische Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt fördern. Ihre Angebote haben Bildung, Information, Kultur, Beratung und Unterhaltung zu dienen. … Ganz ernsthaft wird inzwischen die Frage gestellt, ob der öffentlichrechtliche Rundfunk, ein System ausser Kontrolle, eine Gefahr für die Meinungsfreiheit darstellt.“ So Hans-Hermann Tiedje.

Und dann gibt es noch eine immens große Zahl von 466 Kommentaren von Leserinnen und Lesern, die ihrerseits fast kein gutes Haar an unserem öffentlichrechtlichen Rundfunksystem mit den 21 TV- und 73 Radiosendern lassen.

2. Spitz-findig-keit

Im schon mehrfach zitierten „Buch der Tagebücher“ (zuletzt in der #118) findet sich genau heute vor 79 Jahren ein Eintrag von Ursula von Kardorff (1911 – 1988), Redakteurin im Feuilleton der Deutschen Allgemeinen Zeitung in Berlin (S. 348 sowie S. 636 mit Angaben zur Person). „Jetzt sind es zwei Tage her, seit ich morgens um sieben durch das offene Fenster hörte, wie sich zwei Speer-Sekretärinnen unterhielten. ‚Hast du heute nacht auch den Führer im Radio gehört?‘ – ‚Ja, er lebt, Gott sei Dank. Und die Attentäter sind verhaftet.‘ … Kurz darauf Anruf von Philippa aus Potsdam: ‚Hast du Radio gehört? Weißt du, wer der Täter ist? Hör genau zu, es ist ein Graf Stauffenberg.‘ Mir fiel der Hörer aus der Hand. … Raffte mich schließlich auf, in die Redaktion zu fahren. Konferenz beim Chefredakteur, der kein verächtliches Wort über Stauffenberg sagte, sondern nur uns allen zu größter Vorsicht riet: ‚Denn jetzt werden die Verhaftungen in die Tausende gehen.'“

3. Spitz-findig-keit

Wie Oliver Zimsky am Jahrestag des Attentats am 20.7.2023 auf der Achse des Guten schreibt, gab es „… rund 5.000 Verhaftungen und fast 200 Hinrichtungen. Die Angehörigen der Inhaftierten kamen in ‚Sippenhaft‘, Kinder wurden ihren Müttern entzogen und zwecks Umerziehung in Heime gesteckt.“ Ausführlich stellt er zudem dar, welche unseligen Zufälle letztendlich das Gelingen von Attentat und Staatsstreich verhindert haben.

Zum Gedenken in Lautlingen

Traditionsgemäß wird der 20. Juli in Lautlingen, einem Ortsteil von Albstadt, feierlich begangen. Hier verbrachten die Brüder Stauffenberg weite Strecken ihrer Kindheits- und Jugendjahre, hatten dort bis zum Ende ihres Lebens eine Heimat. Auch für die Generation nach Berthold und Claus Schenk Graf von Stauffenberg war Lautlingen ein wichtiger Bezugs- und Fluchtpunkt. „Es war eine katholische Exklave, in der die Nazis keinen festen Stand hatten, die Gutsherrschaft angesehen war und vom Krieg, vor allem dem in der Heimat (in Bamberg gab es Fliegerangriffe – JG), nicht allzu viel zu spüren war.“ So erinnert sich Berthold, der älteste Sohn von Claus (Stuttgarter Stauffenberg-Gedächnisvorlesung – „Auf einmal ein Verräterkind“, Wallstein, 2011, S. 10).

Die Mutter und die Großmutter des 10-Jährigen wurden am 23./24 . Juli 1944 von der Gestapo inhaftiert und er zusammen mit seinen zwei Brüdern, seinem Vetter und seiner Cousine am 17. August mit einem Halt in Stuttgart in ein Kinderheim in Bad Sachsa in Thüringen verbracht. Der Lautlinger Pfarrer segnete zum Abschied die Kinder und sagte, „… dass wir wahrscheinlich Schweres durchmachen müssten. Wir sollten aber nie vergessen, wofür mein Vater gehandelt hätte.“ (S. 18).

In der gut besuchten Pfarrkirche St. Johannes der Täufer mit starker Präsenz unserer Bundeswehr, begrüßte Oberbürgermeister Roland Tralmer die Gäste, darunter auch Gunther von Stauffenberg aus der Wilflinger Linie. Den Gedenkvortrag hielt Dr. Timm Kern, Mitglied des Landtags von Baden-Württemberg, der die Landeszentrale für politische Bildung allgemein und wegen dem Geschichtsdossier zum „Stauffenberg-Attentat“ lobte. Umrahmt wurde das Ganze durch die örtliche Bläsergruppe der Musikkapelle „Frohsinn“. Nach der vielstimmig gesungenen Nationalhymne und der Ehrenbezeugung durch die Fahnenabordnungen der Lautlinger Vereine, erfolgte wie jedes Jahr die Kranzniederlegung.

Und hier geht es spitzfindig weiter.

#PreppoKompakt

Die Erinnerung an den 20. Juli 1944 wachhalten, ebenso wie an den Volksaufstand am 17. Juni 1953 und die friedliche Revolution mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989. Gerade in dunklen Zeiten erwachsen Kräfte, die für das „andere, anständige Deutschland“ stehen, auf das Mann/Frau stolz sein kann. Im „Dritten Reich“ wurde die Meinung unter anderem mit dem Volksempfänger und der gleichgeschalteten Presse gesteuert/manipuliert. Dies ist heute unvorstellbar. Aber unserem demokratischen Rechtsstaat schadet zweifellos ein „öffentlichrechtlicher Dinosaurier“, der gewaltige Budgets verschlingt, vorrangig auf den eigenen Vorteil erpicht ist und, in Vernachlässigung seines Bildungsauftrags, die Masse mit „Untenhaltungsprogrammen“ überfüttert. In diesem Sinne teile ich die von Neo Rauch in der #119 zum Ausdruck gebrachte Sorge um unser deutsches Vaterland.

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