Spitz-findig-keit #175

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute geht es dafür um einen speziellen Geburtstag und um einen besonderen Gedenktag, der traditionell seit 1957 in Lautlingen, heute ein Ortsteil von Albstadt, begangen wird (siehe auch #123). Sowie ein musikalisches Beben, das sogar den bodenständigen Ruhrpott „erschüttert“.

1. Spitz-findig-keit

Faz-net vom 16.7.2024 zum „Wettlauf der Gratulanten“. Gemeint ist der 70. Geburtstag von Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel am vergangenen Mittwoch. Eine Gratulation heben wir verdientermaßen – weil voll zutreffend – heraus. Und sind schon jetzt gespannt, was man dem Jens Spahn, Merkels Parteifreund und von 2018 bis 2021 ihr letzter Gesundheitsminister, dem gegenwärtig die Maskenaffäre nachhängt, zu seinem nächsten runden Geburtstag am 16. Mai 2030 ins Tagebuch schreiben wird.

In drei Fragen würde die Union mit dem Wissen von heute anders entscheiden. „Die massenhafte irreguläre Migration seit 2015 hat die deutsche Gesellschaft destabilisiert und überfordert“, äußerte der Bundestagsabgeordnete Spahn. Und weiter, mit Blick auf die Besetzung der Krim durch Russland vor zehn Jahren: „Mit Putins Russland hätten wir spätestens ab 2014 ganz anders umgehen müssen.“ Schließlich rügte Gratulant Spahn, der Verzicht auf die Atomstromerzeugung sei „im Rückblick auch klimapolitisch ein schwerer Fehler“ gewesen. Im Artikel sind übrigens auch 29 Bilder von Angela Merkel zum sattsehen enthalten. Und zur Gedächtnisauffrischung.

Die NZZ vom 17.7.2024 brilliert mit einer vergleichbaren Einschätzung. „Angela – wer? Die frühere deutsche Kanzlerin wird 70, und in ihrer Partei vermisst sie fast keiner mehr.“ Ihr fast legendärer Spruch „Sie kennen mich“ ist verblasst. In der ARD-Mediathek ist nun unter dem Titel „Schicksalsjahre einer Kanzlerin“ eine fünfteilige Serie (je rund 30 Minuten lang) über Merkel abzurufen. Nachdem ich in ihrer Zeit von November 1994 bis September 1998 als Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit ebenfalls fürs BMU tätig war (davon 3 1/2 Jahre als Nationaler Experte zur EU-Kommision in Brüssel abgeordnet), haben wir uns hier im Blog häufiger auf sie bezogen. Dafür nur drei Beispiele hier, hier und hier.

2. Spitz-findig-keit

Am 21. Juli 1944 – heute vor achtzig Jahren – findet sich im schon häufig zitierten „Buch der Tagebücher“ (zuletzt hier) der folgende Eintrag von Bertold Brecht aus Santa Monica/Kalifornien (S. 346; zur Person S. 619):

„als etwas über die blutigen vorgänge zwischen hitler und den junkergenerälen durchsickerte, hielt ich für den augenblick hitler den daumen; denn er, wenn nicht er, wird uns schon diese verbrecherbande austilgen? zuerst hat er dem herrnklub seine SA geopfert, jetzt opfert er den herrnklub, und was ist mit der ‚plutokratie‘? die deutsche bourgeoisie mit ihrem junkergehirn erleidet einen gehirnschlag. (die russen marschieren auf ostpreußen.)

Für den Augenblick wirkt dieser Eintrag Brechts befremdlich. Zwar zeitlich nah dran, aber räumlich weit entfernt im gewählten kalifornischen Exil 1941 bis 1947. Seit 1933 zudem mit mehreren Stationen im europäischen Ausland (siehe Wikipedia).

Langfristige Wirkungen des Umsturzversuchs

Bei der würdigen, gut angenommenen Gedenkfeier zum 80. Jahrestag des 20. Juli 1944 sprach gestern in der Pfarrkirche St. Johannes der Täufer in Albstadt-Lautlingen Professorin Merith Niehuss, Universität der Bundeswehr München, über „Das Attentat und der schwierige Weg zum Staatsbürger in Uniform“. Räumlich näher dran, zeitlich mit gebührend langem Abstand fiel ihr Urteil differenzierter aus. Sie wertete den 20. Juli 1944 als die Geburtsstunde des Staatsbürgers in Uniform. Auch die antitotalitäre Grundhaltung der Bundeswehr, ihr Auftrag zur Friedenssicherung und die Integration in den Staat – kein Staat im Staate – rührten daher. Ja selbst die unterschiedliche Verfahrensweise bei der Vereidigung von Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit – ich schwöre – und dem Gelöbnis für Wehrpflichtige und freiwillig Wehrdienstleistende – ich gelobe – ist darauf zurückzuführen.

Gemeinsamkeiten des Widerstands

Auch Richard von Weizsäcker hat bei der Stuttgarter Stauffenberg-Gedächtnisvorlesung zur Eröffnung der Erinnerungsstätte im Neuen Schloss am 15.11.2006 (festgehalten in einer kleinen Broschüre aus dem Wallstein-Verlag, Göttingen 2009, S. 16-17) klar geschlussfolgert. „Was dem Widerstand gemeinsam war, war nicht die soziale Herkunft, die politische Überzeugung oder der Glaube, sondern die Kraft, sich dem Gewissen in seiner ganzen Last zu stellen. Wie Dietrich Bonhoeffer es gesagt hatte; ‚jeden Tag zu nehmen, als wäre er der letzte, und doch im Glauben und der Verantwortung einer großen Zukunft‘. Das bleibt Vorbild, für heute und für morgen, für die Alten und für die Jungen.“

3. Spitz-findig-keit

DerStandard vom 17.7.2024 behandelt ein musikalisches Beben – Taylor Swift – mit dem Verweis auf eine 42-minütige Doku von ORF1 (darf aus rechtlichen Gründen nur in Österreich wiedergegeben werden).

Auch in Gelsenkirchen hat sie bei ihrer Eras-Tour in dieser Woche mit drei Konzerten auf Schalke – am Mittwoch, Donnerstag, Freitag – Spuren und über zweihunderttausend Fans – wie auf faz-net am 16.7.2024 festgehalten – hinter(sich ge)lassen. Für den Besuch des Popstars hatte sich Gelsenkirchen augenzwinkernd in „Swiftkirchen“ umbenannt. Die Verwaltung hat sogar fürs Stadtmarketing 30 neue Ortsschilder aufgehangen. Diese blieben nicht lange unberührt, wurden mit Fußballstickern be- und überklebt oder verschwanden, obwohl recht hoch, vermeintlich diebstahlsicher, platziert.

In der NZZ wird am 19.7.2024 ausführlich, fast liebevoll und mit reichlich Bildmaterial über die Geschichte und Gegenwart von Stadt und Region berichtet. Untertitel „Eine der reichsten Musikerinnen der Welt gastiert in der ärmsten Stadt Deutschlands“. Im Juni gab es laut Bundesagentur für Arbeit in der 270.000 Einwohner-Stadt „… mit 14,3 Prozent (gleichauf mit Bremerhaven – JG) die höchste Arbeitslosenquote aller deutschen Städte und Landkreise …“. Karin Welge, die Gelsenkirchener Oberbürgermeisterin, erklärt die Lage so. „Infolge der enormen Abwanderung zuvor gebe es freien Wohnraum zu günstigen Preisen, aber teilweise in einem sehr schlechten Sanierungszustand. Das begünstige eine Armutszuwanderung, auch aus den Armenhäusern Europas. Es gebe den Rechtsstaat ausreizende Strukturen, die damit Geschäfte machen würden, die Ärmsten der Armen mit falschen Versprechen hierherzulocken und überteuert in kaum bewohnbaren Immobilien zu beherbergen.“

#PreppoKompakt

Befremdlich, und zwar nicht nur für den Augenblick, wirkt auch, wenn vereinzelt bedauert wird, dass die auf Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung am 13. Juli in Butler im US-Bundesstaat Pennsylvania abgegebenen Schüsse ihn nur leicht am rechten Ohr verletzt haben. Durch die Schüsse wurde ein Zuschauer getötet und zwei weitere Personen schwer verletzt. Der Schütze starb, nachdem er von Geheimdienstagenten angeschossen wurde, so die Deutsche Welle tags darauf.

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