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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute tasten wir uns dafür lieber über einen in Rom verstorbenen Schwaben und einen gesangsstarken Hamburger mit weißem Rauschebart zu seinen auch vom Gendern nicht verschont gebliebenen Mitbürgerinnen und Mitbürgern vor.
1. Spitz-findig-keit
Wilhelm Waiblinger, Tübingen: Wir haben ihn schon in der #97 – „Rom sehen und sterben“ – vorgestellt und greifen heute wiederum auf das „Buch der Tagebücher“ zurück (S. 356, zur Person S. 661-662). Denn am 28. Juli 1824, heute genau vor 200 Jahren, hat er den folgenden Satz in sein Tagebuch geschrieben: „Der glücklichste Tag meines Lebens.“ Er war erst 20 und sollte nur noch sechs Jahre zu leben haben.
Übrigens stand schon einen Tag später in seinem Tagebuch: „Der unglücklichste Tag meines Lebens!“ Wie nahe doch alles beieinander ist. Und was wohl an beiden Tagen die vorgeschalteten Zeichen zu bedeuten haben?
2. Spitz-findig-keit
Die NZZ vom 23.7.2024 glänzt mit einem gelungenen Rückblick auf die „Neue Deutsche Welle“, einem regelrechten Ohrwurm aus den 1980er Jahren. Joachim Witt singt „Der Goldene Reiter“, an den Refrain mit Melodie erinnert man sich, aber beim genauen Text meldet das Gedächtnis Fehlanzeige. Das verrückte 4 1/2 minütige YouTube-Video rückt alles wieder zurecht: „… der Sound … heiter und hüpfend, ein unbeschwertes Geschrammel …“.
Im Interview kommen der inzwischen 75-jährige Sänger und seine 39 Jahre jüngere Ehefrau Juliane zu Wort. Das Ehepaar Witt wohnt in Hamburg-Uhlenhorst und besticht im Gespräch mit Daniel Haas durch ein ausgesprochen harmonisches Zusammenspiel. „Frau Witt sagt vorläufig nichts, schaut aber sehr konzentriert auf ihren Mann, und auch wohlwollend. Er macht das gut, scheint ihr Blick zu sagen, lassen wir ihn reden. Sie ist ja nicht nur die Lebensgefährtin des Stars, sondern auch seine Pressefachkraft und Tourmanagerin.“ Er gibt ein politisches Statement zugunsten vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) ab, zum ersten Mal in seinem Leben verspüre er eine Affinität zu einer Partei. Wobei er Sahra Wagenknecht als Autoritätsfigur und charismatische Persönlichkeit beschreibt.
Schön, wenn sich zwei Menschen über Generationen hinweg so gut verstehen, politisch, vor allem aber musikalisch. Juliane Witt sagt: „Wenn einer Schlager-Fan ist und der andere Heavy Metal hört, das geht gar nicht. … Und dann lächeln beide wie zwei Teenager, die gerade erkannt haben, wie gut sie zueinander passen und dass ihnen der Rest der Welt gestohlen bleiben kann.“
Auch wir bleiben in Hamburg.
3. Spitz-findig-keit
„Die Hamburger werden schikaniert“, so Oliver Baers Kommentar im Infobrief des Vereins Deutsche Sprache (VDS) vom 22.7.2024. „Was die Stadt Hamburg veranstaltet, um den Erfolg der Volksinitiative gegen Gendersprache in Behörden und Schulen zu verhindern, ist so offensichtlich schikanös, da kann man nur hoffen, dass die aufgeweckten Hamburger kein schönes Sommerwetter davon abhält, so eine Missachtung der Bürger zu bestrafen, indem sie sorgfältig darauf achten, wie sie zur rechten Zeit in geeigneter Weise ihre Stimme abgeben.“
Baer bezieht sich darauf, dass die Termine für die Unterschriftensammlung in die Ferien verlegt wurden, die Stadt keine bürgerfreundlichere Terminierung ermöglicht hat und sich zudem weigert, ihre Bürger online abstimmen zu lassen. Seit dem 18. Juli „… kann jeder mit der sogenannten Briefeintragung seine Stimme abgeben, vom 8.-28. August 2024 laufen dann die Sammlungen auf der Straße. Benötigt werden die tatsächlich abgegebenen Stimmen von 66.000 wahlberechtigten Hamburgern.“
Erst ein aufwändiges dreistufiges Verfahren gemäß dem Hamburger Volksabstimmungsgesetz führt ans Ziel. Mit 16.457 an den Hamburger Senat übergebenen Unterschriften war am 21. Juli 2023 die Volksinitiative – hier ihre instruktive Internetseite – offiziell zustande gekommen. Das nun anstehende Volksbegehren – benötigt wird die Unterschrift von mindestens 5 % der Wahlberechtigten in Hamburg – wurde am 10. April 2024 offiziell im Rathaus beantragt. Bei Erreichen dieser 5 % kommt es „… zum Volksentscheid, bei dem jeder Wahlberechtigte im Rahmen der Bundestagswahl 2025 für oder gegen das staatliche Gendern abstimmen kann.“
Nachtrag
Im neusten Infobrief des VDS vom 1.9.2024 ist unter der Überschrift „Fast geschafft“ dazu zu lesen:
„Rund 54.000 Unterschriften sind zusammengekommen, aber gut 66.000 (fünf Prozent der Wahlberechtigten in Hamburg) wären erforderlich gewesen, um das Volksbegehren ‚Schluss mit der Gendersprache in Verwaltung und Bildung‘ in Hamburg zum Erfolg zu bringen. ‚Die Ferien haben uns gekillt‘, ist sich Jens Jeep, Vertrauensperson für das Volksbegehren, sicher. Wenige Dutzend Unterstützer, darunter auch viele VDS-Mitglieder, haben in den vergangenen drei Wochen unermüdlich Unterschriften gesammelt.
Die Hamburger Bürgerschaft hatte im Vorfeld verhindert, dass die Unterschriftensammlung erst nach den Hamburger Sommerferien stattfinden würde. Das dürfte den Ausschlag für das Resultat gegeben haben, denn in der letzten Ferienwoche, als viele aus dem Urlaub zurück waren, habe man fünfmal so viele Unterschriften wie zuvor sammeln können. Bei einer fairen Ansetzung des Verfahrens ‚hätte man 100.000 zusammenbekommen,‘ meint Jeep laut NDR. Den Initiatoren fiel leider auch auf, dass in manchen Ämtern Stadtbeamte eingeschüchtert wurden: Ihre Unterschrift für das Volksbegehren sei ’nicht erwünscht‘. Obendrein brachten es einige Bürgerämter fertig, die Unterschriftenlisten zu verstecken. Die Hamburger Initiatoren haben angekündigt, sie würden rechtlich prüfen lassen, ob der Hamburger Senat das Volksbegehren ordnungsgemäß durchgeführt hat.“
Und hier geht es spitzfindig weiter.
#PreppoKompakt
Bin Anfang August ein paar Tage bei Juwe an der Alster zu Besuch. Mal sehen, was ich für den Erfolg der Volksinitiative so tun kann.