Spitz-findig-keit #184

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute geht es dafür um Höchstleistungen und -stände, die sehr oft auch tragisch besetzt sind.

1. Spitz-findig-keit

Der Maler Max Beckmann (1884 – 1950) – wir kennen ihn und seine Frau Quappi aus der #46 – kommt im „Buch der Tagebücher“ heute vor exakt 80 Jahren in Amsterdam wiederum zu Wort (S. 446, zur Person S. 617). Der in die Niederlande wegen seiner „entarteten Kunst“ ins Exil gezwungene Künstler (ver)zweifelt – und arbeitet dennoch weiter. Es geht merklich dem Kriegsende zu.

„Todesangst? Mais oui – und auch ein etwas groteskes Gefühl wie eine fast fremde Verantwortlichkeit für das in mir vorhandene positive Element. Die letzte Position war völlige Verzweiflung an irgend einem Sinn der Welt. Wenn ich nicht 90 oder 100 werde, lohnt es sich nicht … Letzter Explosionstag. Sah Schiffswerften in die Luft fliegen gesprengt von deutschem Sprengbatallion. – Sonst gearbeitet.“

2. Spitz-findig-keit

Am Dienstag dieser Woche hat Reinhold Messner zusammen mit seiner dritten Ehefrau Diane auf einer Alphütte in Südtirol seinen 80. Geburtstag gefeiert. Die NZZ gleichentags widmet ihm, dem ersten „Superstar des Alpinismus“, dem „prägendste(n) Bergsteiger der Geschichte“, dafür ein ehrliches, das heißt nicht gänzlich unkritisches Porträt.

Der Bezwinger

Er war 1986 der Erste, der alle 14 Achttausender dieser Erde ohne Flaschensauerstoff bestiegen hat. „Er stand auf den höchsten Bergen der sieben Kontinente, er lief zu Fuss zum Südpol und durchquerte die Wüste Gobi. Dass er das alles überlebt hat, ist eine Sensation. Die Pioniertaten liegen 40 und mehr Jahre zurück.“ Verwunden hat er bis heute nicht, dass 1970 sein Bruder Günther in seiner Begleitung am Nanga Parbat starb. Auch sieben Zehen ließ er dort im Eis zurück, abgefroren, so dass sie amputiert werden mussten, da waren es nur noch drei.

„Messner wuchs als Sohn des Dorflehrers im Villnösstal auf. Daheim und in der Schule führte der Vater ein strenges Regime. Messner hatte acht Geschwister, lernte früh, sich zu behaupten und durchzusetzen. Diese Eigenschaften haben ihn weit gebracht. Messner ist nicht nur Rekordbergsteiger, er war auch Politiker, sass zwischen 1999 und 2004 für die italienischen Grünen im Europaparlament.“

Heute ist er viel unterwegs mit Vorträgen in der DACH-Region, laut NZZ allein in diesem Jahr noch 20 Stück. „Durch seine 36 Jahre jüngere Ehefrau Diane angeleitet, bespielt er nun auch Facebook und Instagram. Dort verbreitet er seine Weisheiten und schwelgt im Liebesglück.“ Was will Mann/Frau mehr!

Seine Lebensweisheiten

Wikipedia listet alle seine Touren auf. Im Interview auf faz-net vom 13.9.2024 (hinter Schranke) beschreibt Reinhold Messner unter anderem seine Vorgehensweise, bescheinigt uns Dekadenz und ordnet dem als Glück umschriebenen Zufall die entscheidende Rolle zu.

1. „Ich habe früh angefangen, neben dem Tun auch das Narrativ dazu zu liefern. Für mich ist der traditionelle Alpinismus die Summe aus Tat und Erzählung. Ich habe eine Tour gemacht und sie danach beschrieben, in einem Buch, bei Vorträgen.“

2. „Meine Generation hat die beste Zeit in Europa gehabt. Kein Krieg, die Wirtschaft ist gewachsen, die sozialen Bedingungen haben sich verbessert, der Lebensstandard ist gestiegen. So stark, dass wir Europäer dekadent geworden sind. Wir sind eine Über-Konsumgesellschaft geworden, und das kommt nicht gut. Wir sind in Europa im Moment nicht auf einem zukunftsfähigen Weg. Ob er uns erfolgreich ans Ende dieses Jahrhunderts führen wird?“

3. „Wenn man die alpine Geschichte studiert und schaut, wer die führenden Alpinisten der jeweiligen Epoche waren, ist die Hälfte von ihnen am Berg geblieben oder in der Wildnis, und die andere Hälfte hat es bis ins hohe Alter geschafft, am Leben zu bleiben. Wen es trifft, ist Glückssache. Wir gehen dorthin, wo wir umkommen könnten, um nicht umzukommen. Das ist das Spiel.“

3. Spitz-findig-keit

Tragik pur

Sie ist von dort weggegangen, wo sie umkommen könnte, und ist trotzdem umgekommen – Tragik pur! Wie die NZZ vom 16.9.2024 berichtet ist die Primaballerina Michaela Mabinty DePrince mit 29 Jahren verstorben. Im Artikel wird ihr von unvorstellbaren Schicksalschlägen heimgesuchtes Leben, beginnend 1995 im danach vom Bürgerkrieg zerrütteten Sierra Leone beschrieben, wie auch – eingeleitet 1999 mit der Adaption der Waisen durch das US-amerikanische Ehepaar DePrince – ihr mit Zufällen gepflasterter Weg zu einer international be- und geachteten Ausnahmetänzerin.

2014 ging sie nach Amsterdam und stieg beim Niederländischen Nationalballett rasch zur Solistin auf. Dort tanzte sie die Marie im Nussknacker – eine Rolle, die ihr als Achtjährige wegen ihrer Hautfarbe verwehrt worden war – und als Solistin im Schwanensee, beides, ebenso wie Dornröschen, echt märchenhafte Ballettstücke von Peter Tschaikowsky. Jeder der Michaela DePrince sah, „… war sofort eingenommen von ihrer physischen Präsenz, ihrer Technik und dem spürbaren Willen, erfolgreich zu sein. Sie wurde eine der Tänzerinnen mit der grössten Sprungkraft, sie flog förmlich durch die Luft – als ob sie die Schwerkraft besiegt hätte …“. Im Artikel ist ein rund 12 Minuten langes YouTube-Video vom 17.07.2017 des Senders NBC News über das Leben von Michaela DePrince in englischer Sprache verlinkt, das eindrücklich die Geschichte erzählt. Als kleines Detail: für die Textilfirma Jockey aus unserem Zollernalbkreis hat sie mit ihrer enormen Ausstrahlung geworben. Ein weiteres Detail: auf dem Video – neueste Kommentare zuerst – gehen mehr und mehr Beileidsbekundungen ein – RIP.

„Es ist nicht bekannt, woran Michaela DePrince am vergangenen Dienstag [10. September- JG] gestorben ist. Nur wenige Stunden später starb ihre Adoptivmutter während der Vorbereitungen für eine Routineoperation. Vom Tod ihrer Tochter hatte sie nicht mehr erfahren.“ So Elena Panagiotidis in der NZZ. In einem You-Tube-Video vom 17.9.2024 heißt es (ab 2:24), unter Bezugnahme auf Aussagen ihrer Familie, Michaela DePrince sei an den Komplikationen eines nicht diagnostizierten Herzleidens gestorben. Welch eine Tragik!

Hochwasser

Uns verunsichert etwas das Hochwasser an Elbe und Oder, nachdem – wie DerStandard am 19.9.2024 festgehalten hat – in unseren Nachbarländern (mindestens) 23 Tote zu beklagen sind. Das Wasser kommt und geht ungefragt. Wir haben im aktuellen Fall den Vorteil des Vorlaufes, das heißt wir können uns mental aufs Schlimmste einstellen und technisch darauf vorbereiten.

„In einigen Hochwassergebieten Deutschlands schwollen am Mittwoch die Flüsse noch an. In Dresden stieg die Elbe über die Marke von sechs Metern. Dort wie auch in Schöna an der Grenze zu Tschechien wird der Hochwasserscheitel am Donnerstag erwartet. Vorsichtige Entwarnung gibt es entlang anderer Flüsse im Osten und Süden Deutschlands. In Brandenburg hingegen dürfte die Oder in den nächsten Tagen noch mehr Wasser bringen.“

Und hier geht es schwäbisch-lettisch weiter – welch eine Mixtur!

#PreppoKompakt

Schauen wir mal, wen die Wählerinnen und Wähler bei der heutigen Landtagswahl in Brandenburg mit ihren Stimmen in die politische Verantwortung nach Potsdam „spülen“. Schon den Wahl-O-Mat aus der #181 konsultiert? Heute Abend wissen wir (hoffentlich) mehr.

Kommentar zum Wahlergebnis in der NZZ vom Abend des 22. September: „Die Brandenburger Wähler machen deutlich, dass sie kein ‚Weiter so‘ in der deutschen Politik wollen. Anders als in Thüringen erreichte die AfD in Brandenburg zwar nicht den ersten Platz. Dies verhinderte ein wagemutiger Amtsinhaber. … Der Sozialdemokrat Dietmar Woidke, Ministerpräsident von Brandenburg, hat im Wahlkampf alles auf eine Karte gesetzt – und gewonnen.“

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