Spitz-findig-keit #197

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute bewegen wir uns dafür mit großen Schritten auf die besinnliche Zeit des Jahres zu.

1. Spitz-findig-keit

Die NZZ vom 19.12.2024 zur richtigen Antwort auf Donald Trumps Drohung mit den Zöllen: „Lange glaubte man in Europa, dass freier Handel automatisch zu Frieden und Wohlstand führt. Ein fataler Irrtum, sagen die Ökonomen Gabriel Felbermayr und Martin Braml. Sie fordern einen radikalen Kurswechsel: Der alte Kontinent muss lernen zu kämpfen.“

Der Passauer Braml: „Entscheidend ist, dass sich Europa nicht auseinanderdividieren lassen darf – auch wenn die nationalen Interessen manchmal auseinandergehen. Ein einzelnes Land wie Deutschland oder die Schweiz wäre gegen die USA oder China machtlos. Nur als Einheit mit 450 Millionen Konsumenten haben wir Gewicht.“

In ihrem Buch „Der Freihandel hat fertig: Wie die neue Welt(un)ordnung unseren Wohlstand gefährdet„* (Amalthea Signum Verlag, Wien 2024, 272 Seiten, 30 €) kritisieren sie auch mit klaren Worten vehement das geplante Lieferkettengesetz der Europäischen Union.

Der Steyrer Felbermayr: „Das ist tatsächlich ein klassisches Beispiel für gut gemeinte Politik mit verheerenden Folgen. Bei den Lieferanten europäischer Konzerne sind die Arbeitsbedingungen besser als in der Schattenwirtschaft. Wenn wir diese Handelsbeziehungen kappen, treiben wir die Menschen genau in jene Verhältnisse, die wir eigentlich bekämpfen wollen. Das Ziel des Gesetzes, das Klima zu schützen oder Kinderarbeit zu verhindern, mag also nobel sein. Am Ende aber könnten die Kinder nicht etwa in der Schule landen, sondern in viel schlimmeren Verhältnissen – auf Müllkippen oder sogar in der Prostitution.“

2. Spitz-findig-keit

Faz-net vom 17.12.2024 über die Ansichten von Franz Kafka bezüglich der Bildung: „Bildung … besteht nicht aus der Entwicklung eines Selbst in Freiheit. … Bildung besteht aus Anpassung, aus der Imitation kultureller Rituale. Nur diese Anpassung garantiert das Überleben. Einher geht damit das Vergessen der Herkunft. … Identität entsteht in modernen Gesellschaften aus notwendiger Assimilation an das Vorgefundene. In diesem Vorgefundenen muss man erst einmal ankommen, um es dann vielleicht verändern zu können.“

Darüber lohnt es sich – auch heute noch – nachzudenken.

Der Infobrief vom 20.12.2024 vom Verein Deutsche Sprache (VDS) untermalt seine Weihnachtsgrüße mit einem Gedicht von Dr. Alfred Becker. Die Auseinandersetzung mit Anglizismen gehört zur Gründungsgeschichte des VDS. Zufällig spiegelt sich in diesen Zeilen auch etwas von Kafkas Gedankengut.

Merry Weihnachten

Vor uns liegt nun der Event,
den man Merry Christmas nennt.
Unsre Youngsters, Girls und Boys,
kriegen jede Menge toys;
Pockemon und Peanut-Kern
haben alle Kids so gern!

Aber auch zu Mum und Dad
ist Old Santa pretty nett;
denn die Gifts aus Peter’s Shop
sind Prime Collection , – einfach top;
From Heaven high, da kommt er her,
und bringt der Goodies mehr und mehr.

Grandma, Grandpa, ach Ihr Alten,
Weihnachten könnt Ihr gern behalten,
X-mas providet globally
Corporate Identity;
Joy to the world, bald ist’s Zeit
again für Silent und für Holy Night.

Oder war da doch was dran,
am Christkind und am Weihnachtsmann?
An den Liedern, die wir einst gesungen:
Es ist ein Ros‘ entsprungen?
Lag still und starr nicht dort der See?
Standst du, oh Tannebaum, nicht grün im Schnee?

Ich sehe heut in meinem Traum,
Euch Eltern dort beim Lichterbaum,
An Ochs und Esel denke ich zurück,
an Kinderaugen voller Glück,
an Worte, die uns eng verbanden,
Als Alt und Jung sich noch verstanden.

Wenn wir daheim schon nicht verstehen,
wie soll’s global dann besser gehen?
Nicht, wenn Ihr fremde Wörter stammelt, –
doch wenn Ihr unterm Wort Euch sammelt,
strahlt in die Welt so weit, so breit,
der Friede dieser Weihnachtszeit.

3. Spitz-findig-keit

Aus dem „Buch der Tagebücher“: Friedrich Hebbel – 1839 in Hamburg (S. 591 und S. 631 zur Person sowie der Einschätzung von Franz Kafka zum Werk – vertiefend zu letzterem die #169).

Heute genau vor 185 Jahren: „Die Weihnachtsmusikanten, die ‚Nun danket alle Gott‘ blasen. Ein kleiner Knabe sammelt, als er eine Thür überschlägt, gibt ihm der Eine mit dem Horn einen Stoß und sagt: kannst Du nicht sehen? Dann bläst er fort. Ein Zweiter greift während des Blasens einem Mädchen an den Hintern.“

Der Dramatiker Hebbel (1813 – 1863) führte Tagebücher von 1835 bis zu seinem Tod. Die insgesamt 1800 Seiten ordnet Franz Kafka unter die raren Bücher ein, die „beißen und stechen“, einen „mit einem Faustschlag auf den Schädel“ wecken, als Axt „für das gefrorene Meer in uns“ fungieren (so schon hier in der #135 festgehalten).

#PreppoKompakt

Hört sich immer sehr dramatisch an und erinnert leicht an unsere Spitzfindigkeiten. Aber zwei Tage vor Weihnachten wollen wir uns – ohne zu stoßen und zu grapschen – so gut es geht aufs Fest einstellen. Auch in diesem Jahr steht wieder ein Besuch der Christmette im Kloster Beuron im Donautal auf dem Programm. Was den Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg vom Freitagabend anlangt, das ist beim besten Willen nicht zu verdrängen.

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Eine Antwort

  1. Noch schlimmer als „richtige“ Anglizismen sind die Übersetzten ins Deutsche wie beispielsweise:
    „Habt einen schönen Tag“ (have a nice day) anstatt „wünsche einen schönen Tag“. Oder „Habt Spaß“ (have fun) anstatt dem viel schöneren „wünsche viel Vergnügen“.
    Das Hilfsverb „haben“ wird ständig auch einfach zur Bildung des Perfekts verwendet und ist schon deshalb völlig inflationär im Gebrauch. Muss man dann unbedingt das Verb „wünschen“, das noch Bedeutung trägt, mit dem nichtssagenden „haben“ ersetzen, nur um dem modernen Sprachgebrauch zu frönen?

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