Crash aber richtig – Max Otte zum Zweiten

Mit seinem Erstling in Sachen Finanzkrise hat Max Otte in 2006 einen Volltreffer gelandet. Denn beginnend in 2007 traf ein, was er vorhergesagt hatte. Mit seiner aktuellen Veröffentlichung unter dem Titel „Weltsystem Crash – Krisen, Unruhen und die Geburt einer neuen Weltordnung“, erschienen im FinanzBuch Verlag aus München, geht er ein hohes Risko für seine berufliche und wissenschaftliche Reputation ein. Aber er bleibt sich treu, was die Gründlichkeit der Recherche, die Schlüssigkeit seiner Argumente, die Umfänglichkeit der Abhandlung sowie die Klarheit seiner Kritik an den handelnden Personen anbelangt. Und er geizt auch nicht mit Ratschlägen, wie mit der aufziehenden Krise umgegangen werden kann, indem er eine Reihe individueller Auswege aufzeigt.

Intention des Autors und Aufbau des Buches

Der Autor Max Otte, Jahrgang 1964, hat an deutschen und US-amerikanischen Universitäten Wirtschaft (zudem auch Politikwissenschaft) studiert und diese Richtung als Professor an in- und ausländischen (Fach)hochschulen und Universitäten vertreten. Er besitzt neben der deutschen auch die amerikanische Staatsbürgerschaft. Im Schutzumschlag seines Buches sind als Berufsbezeichnungen „… unabhängiger Finanz- und Wirtschaftsanalyst, Politikberater, Gründer des Instituts für Vermögensentwicklung (IFVE), Fondsmanger, Unternehmer und Philantrop“ aufgeführt. Dem Titel des Menschenfreundes wird er dabei durch wohlgemeinte Ratschläge gerecht. Natürlich ist und bleibt er vorrangig Geschäftsmann.

Das Buch* ist sauber in drei Teile gegliedert, mit Zitaten und Literaturhinweisen sowie instruktiven Anhängen und vor allem auch gut kenntlich gemachten Beiträgen anderer Autoren reichlich gesegnet. Bevor auf S. 531 die Danksagung an Gott – wörtlich zu nehmen – und die Welt losbricht, sind in klar verständlicher Sprache (so vermute ich) alle aktuellen Themen abgearbeitet. Die instruktiven, meist zweifarbigen Schaubilder spielen dabei für das Verständnis und die Nachvollziehbarkeit der Argumentation eine nicht unwichtige Rolle. Ein sehr gut lesbarer Druck und trotz der Dicke recht handlich. Nur wenige (aufgefallene) Fehler (z.B. auf S. 147 die wirtschaftspolitischen Aufgaben und auf S. 183 die Baby-Boomer-Jahrgänge) und selbstverständlich muss so ein Buch einen schwarzen Einband haben.

Eigentlich handelt es sich gleich um mehrere Bücher. Dabei verdient es das Werk Max Ottes durchaus, als Kompendium bezeichnet zu werden. Es enthält Wirtschaftstheorie, -geschichte und -gegenwart. Sowie zum Einstieg in die 16 Kapitel immer wieder Zitate „klassischer“ Autoren – wie Thukydides, Platon, Wilhelm Röpke, Oswald Spengler und selbst („Statt vieler (weiterer) Stimmen eine erlauchte!“**) Goethe – die sich verdammt aktuell anhören und nicht zuletzt deshalb gewichtig sind. Aber auch Zitate lebender Politiker, die einem aufgrund der Unverfrorenheit auch nach mehrmaligem Lesen fast den Atem nehmen. Beispielsweise des gewesenen Präsidenten der EU-Kommission Juncker (der wohl nicht deshalb auch im Stichwortverzeichnis fehlt).

Der Weg in die Krise – Teil I (S. 21-136)

Kapitel 1

Den Zustand der Weltordnung vergleicht Otte mit einem Heißluftballon, „… der zunehmend Löcher und Risse bekommt, weil das Material brüchig geworden ist. Hastig versuchen wir, die Löcher mit Klebestreifen abzudichten, während wir von unten immer schneller heiße Luft in den Ballon hineinströmen lassen. … In nicht allzu ferner Zukunft sinkt der Ballon oder stürzt rapide ab oder geht in Flammen auf. … Die heiße Luft ist in diesem Fall die Liquidität, die wir in immer größerer Menge in das Wirtschaftssystem strömen lassen.“ (S. 28f).

Die Krise werde verschleppt, in der Hoffnung sie zu besiegen. Dabei umfasse sie alle Lebensbereiche und umspanne den gesamten Globus (S. 24). Durch die Destabiliserung Nordafrikas, des Nahen und Mittleren Ostens werde Europa von Migrationsströmen überschwemmt. Dies spalte die dortigen Gesellschaften, die zudem mit wirtschaftlichen Problemen des Mittelstandes zu kämpfen hätten, noch weiter (S. 24f). Der neue Kalte Krieg im Verhältnis zu Russland und die ambitionierte Expansionsstrategie Chinas – Stichwort Neue Seidenstraße – schafften weiteren Konfliktstoff.

Kapitel 2 und 3

Ähnlich wie Friedrich & Weik beschreibt Otte in getrennten Kapiteln den sich abzeichnenden Niedergang der Vereinigten Staaten von Amerika und den Aufstieg Chinas als eine Verschiebung des Zentrums der Weltwirtschaft. Darin ist nicht nur die Gefahr von Handelskriegen angelegt – die wir gegenwärtigen -, sondern sogar von militärischen Auseinandersetzungen. Erhellend sind die Informationen zum wirtschaftlichen und technischen Aufholprozess, auch welche Rolle bei der inneren Modernisierung Chinas die konfuzianische Tradition spielt (S. 93).

Kapitel 4

Viel Raum gibt Otte dem Abschied von Bretton Woods, der Währungsordnung der Nachkriegszeit, mit dem Dollar als Leitwährung. Dabei geht es um Institutionen wie den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank, aber auch das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das 1995 in der Welthandelsorganisation (WTO) aufgegangen ist. Wie auch um Wirtschaftssanktionen (mit Handlungsanleitung in neun Punkten, S. 130) und die strukturelle Macht, die von den USA in der Diesel-Affäre und bei der Monsanto-Übernahme zu Lasten der deutschen Konzerne VW und Bayer ausgeübt wurde und wird (S. 133).

Im Crashmodus – Teil II (S. 137-421)

Kapitel 5

Hier handelt es sich um das Herzstück des Buches. Gekonnt packt der auch mit US-Geldpolitikern wie Alan Greenspan und Ben Bernanke in direkten Kontakt gekommene Autor seine Erkenntnisse in Bilder. So vergleicht er die Geldpolitik mit einem Seil, das man lockerlassen oder mit dem man ziehen, aber keinesfalls schieben könne. Die „quantitative Lockerung“ (Quantitative Easing – QE) bei der Notenbanken auf dem Markt Wertpapiere kaufen und damit den Banken zusätzliche Liquidität zur Verfügung stellen, ordnet er als gravierenden geld- und ordnungspolitschen Sündenfall ein. Auch dadurch hätten sich die Notenbankbilanzen gefährlich aufgebläht und damit die Notenbanken ihr Pulver bereits verschossen (S.144f).

Zugleich erhält der Leser eine Vorstellung von der „modernen Geldtheorie“ (Modern Monetary Theory). Wenn ein Land sich in seiner eigenen Währung verschulden kann und flexible Wechselkurse akzeptiert, kann es nicht bankrott gehen. Dies trifft auf die USA, Großbritannien, Japan und China zu, nicht aber auf die Eurozone und die meisten Schwellenländer, die sich primär in Dollar verschulden (S. 147). Otte spricht vom Kartenhaus der globalen Schulden, die sich auf einem Höchststand befänden und laut der Unternehmensberatung McKinsey vor allem auch schneller als die Wirtschaftsleistung gewachsen seien (S. 149). Er weißt auch auf die Zweischneidigkeit der Rückkäufe eigener Aktien von Unternehmen hin (S. 153).

Kapitel 6

Ein eigenes Kapitel widmet Otte dem absoluten und relativen Abstieg der Mittelschicht, den eigentlichen Leistungsträgern in den westlichen Industrienationen. Das geringer gewordene Einkommens- und Rentenniveau bei gleichzeitig gestiegenen Vermögenspreisen läßt daran keinen Zweifel. Die Mittelschicht werde kleiner und ärmer – und immer mehr Menschen das auch bewußt, im Gefolge nähme auch der Populismus zu. Dieses Systemversagen widerspreche zudem der von unserem Grundgesetz geforderten Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse (S. 199).

Kapitel 7 bis 12

In den folgenden sechs Kapiteln behandelt Otte sehr kenntnisreich die gesellschaftlichen Kosten hoher Ungleichheit, die Präsidentschaft Donald Trumps, den gegenwärtigen Zustand der Europäischen Union, den seiner Meinung nach zwangsläufigen Crasch des EURO sowie Deutschlands Abstieg und unser schlechtes Abschneiden im „Weltkrieg“ um Wohlstand.

Kapitel 13

Hier breitet Otte drei Zukunftsszenarien aus: „1. ein neuer „Kalter Krieg“ zwischen einem amerikanisch dominierten und einem chinesisch geführten Block, 2. ein heißer globaler Krieg und 3. eine halbwegs stabile Großraumordnung mit mehr als zwei Blöcken.“ (S. 393). Wenig verheißungsvoll ist, dass er die Eintrittswahrscheinlichkeit in dieser Reihenfolge von hoch, mittel auf gering einschätzt.

Folgerichtig kommentiert er das dritte Szenario für eine stabile Weltordnung folgendermaßen: „Ich darf hier kurz träumen: Deutschland vertritt seine Interessen aktiver als Führungsmacht in Europa, indem es eine solide Geldpolitik und eine grundlegende Reform des Euro-Systems durchsetzt. Frankreich bringt seinen ständigen Sitz im Sicherheitsrat und seine Atomstreitmacht zugunsten europäischer, nicht nationalstaatlicher Interessen ein. Das europäische Wahlrecht wird reformiert: ein Bürger, eine Stimme. Das Parlament wird zu einem echten Parlament, schlägt die Mitglieder der Kommission vor und wählt diese. Ein verteidigungspolitisch unabhängiges Europa betreibt eine Entspannungspolitik nach allen Seiten.“ (S. 397f). Ja, träumen darf man. Wenn wir schon dabei sind, dann klopfen auch die Britten wieder an und revidieren den Brexit.

Auswege – Teil III (S. 423-513)

Kapitel 14

Der Start in den letzten Teil erfolgt mit dem Appelativ, stets einen klaren Kopf zu bewahren. Es folgen Gedanken zur Bedeutung des Glaubens und der praktischen Vernunft, was kein Widerspruch sein muss. Und es wird auf die Bedeutung der Lektüre von Büchern – auch in Zeiten der Digitalisierung – hingewiesen, gerade auch Klassiker und Geschichtswerke. Soziales Kapital anhäufen, sprich Beziehungen in der Familie, im Bekannten- und Freundeskreis sowie positive „Traditionen pflegen und daraus Neues entwickeln“ (S. 433), gibt Otte einem mit auf den Weg. Unter Berufung auf Marc Aurel und Seneca (sowie Epiktet – JG), antiken Stoikern, bricht er eine Lanze für mehr Gelassenheit als generelle Geisteshaltung (S. 435).

Kapitel 15

Zur praktischen Vorbereitung auf die Krise stellt Otte ein 8-Punkte-Programm zur Verfügung. Es reicht von der Vorsorge für den Katastrophenfall über den Vermögensschutz bis zur finanziellen Gesundheit. „Während Vermögensschutz dem Schutz des bestehenden Vermögens dient, kann finanzielle Gesundheit helfen, Vermögen aufzubauen und zu erhalten. Finanziell gesund leben ist eine gute Angewohnheit, genauso wie körperliche und mentale Gesundheit“ (S. 440). Als Mittel hierzu dienen eine persönliche Vermögensbilanz sowie eine Einnahmen- und Ausgabenplanung (S. 472-476). Schön wäre es, wenn Herr Otte dabei auf S. 474 angeben würde, wie und wo man den Betrag von 3500 Euro aktuell zu 8 Prozent anlegen kann. Dies scheint zumindest mir (JG) viel zu hoch gegriffen.

Kapitel 16

Das letzte Kapitel bestreitet der Autor mit Empfehlungen für die richtige Kapitalanlage in der Krise. Sein normales Krisendepot besteht aus Aktien und -fonds (ein Drittel), Immobilien (ein Drittel) sowie Gold, Bargeld, Devisen und Anleihen. Wobei 10 bis 15 Prozent vom letzten Drittel dem Gold vorbehalten sind (S. 483).

Schlusspunkt

Im Anhang räsoniert Otte noch darüber, warum sich Ökonomen mit der Vorhersage von Krisen so schwer tun. Für ihn hat dies im wesentlichen drei Gründe: Erstens, habe „… die moderne Ökonomie oftmals einen nahzu religiösen Charakter …“. Zweitens kämen „… Finanzsektor und Banken als eigenständige Institutionen in der ökonomischen Theorie so gut wie gar nicht vor.“ Und drittens sei es für die meisten Wirtschaftsforscher nicht lohnenswert, Krisen vorherzusagen (S. 523f). Das Dilemma, in dem sich Ökonomen hier befinden, ähnelt damit in hohem Maße der Entscheidungssituation „normaler“ Menschen, die abwägen, ob ihnen eine öffentlich geäußerte abweichende Meinung nutzen oder schaden könnte.

Wollen Sie jetzt Max Otte einmal im Gespräch – fast aus der Nähe – erleben, dann empfehle ich Ihnen das YouTube-Video mit Roland Tichy (hier). Natürlich geht es um sein neues Buch.

P.S.: Danke an die Kinder und das Team der Kita Schalksburg aus Burgfelden, die den kleinen Weihnachtsbaum mit den vielen bunten Knöpfen gefertigt haben. Wenn man weiß, dass umgangssprachlich Knöpfe auch Geld bedeuten können, dann passt das wunderbar. Auf der Rückseite des Baumes ist neben Glück- und Segenswünschen zu den Festtagen und zum Jahr 2020 ein Zitat von Karl Jaspers vermerkt: „Der Friede der Welt beginnt in den Herzen der Menschen“.

** Ein Zitat aus der Einleitung (von Ernst Neitzke) zum Handbüchlein der Ethik von Epiktet, Reclam, Stuttgart 1977, S. 12.

#PreppoKompakt

Ein Buch, das man lesen sollte. Sicher nicht auf einen Schlag, auch nicht stur von vorne nach hinten. Es hilft auf jeden Fall, die internationale und europäische Finanzwelt besser zu verstehen und auch die deutschen Positionen realistischer einzuschätzen. Hinterher sollte man es zudem nicht einfach weglegen, sondern die Handlungsteile so gut es geht beherzigen. Dann haben Sie die Chance, nicht zu den Verlierern des Crash zu gehören, so er denn wirklich kommt.

* Alle auf unserer Seite dargestellten Produktempfehlungen sind mit einem sogenannten Affiliate-Link versehen. Beim Abschluss eines Kaufs erhalten wir, ohne dass sich der Produktpreis erhöht, vom Anbieter eine Provision.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert