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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute lecken wir dafür die Wunden vom letzten Sonntag und laden uns damit gleich doppelt neues Ungemach auf. Den versöhnlichen Abschluss bildet eine Oper von Richard Strauss, die in Baden-Baden aufgeführt wurde und die, ohne auf Anhieb ihren vollen Sinn preiszugeben, fasziniernde Bilder, Gestalten und Töne liefert.
1. Spitz-findig-keit
Das tut weh! Deutschland schaltet die letzten drei Kernkraftwerke ab. Und in Finnland wird tagsdarauf – also heute vor einer Woche – ein neuer Kernreaktor hochgefahren.
So am 17.4.2023 auf Tichys Einblick zu lesen. „Der Druckwasserreaktor der Marke EPR ist der dritte Reaktor im Kernkraftwerk Olkiluoto (kurz OL-3, JG) im Südwesten Finnlands und soll 14 Prozent der Stromproduktion des Landes abdecken.“ Die numehr fünf finnischen Kernreaktoren produzieren mehr als 40 Prozent des Strombedarfs des Landes, wobei der neueste mit 1.600 MW Leistung gleichzeitig der leistungsstärkste in ganz Europa ist. Die restlichen 60 Prozent werden vor allem aus Wind- und Wasserkraft gewonnen.
Nichts wird verschwiegen: rund 11 Milliarden Euro Kosten, Fertigstellung von OL-3 mit über 13 Jahren Verspätung, seit 2005 war das deutsch-französische Konsortium Areva-Siemens damit beschäftigt. Auf Wikipedia werden dafür Gründe genannt, zudem die Lage Olkiluotos am Bottnischen Meerbusen aufgezeigt. Aber die finnische Bevölkerung trägt das Ganze mit. Laut Süddeutscher Zeitung vom 17.4.2023 waren bei „… einer Umfrage im Herbst 2022 … 83 Prozent der Finnen der Atomkraft gegenüber positiv eingestellt; das sind noch mal 15 Prozent mehr als im Jahr zuvor. 60 Prozent befürworten sogar einen Ausbau – auch eine knappe Mehrheit unter den Anhängern der Grünen.“
Von vor Ort berichtet die NZZ am 21.4.2023, dass der Beitrag zur Versorgungssicherheit die mühevolle Vergangenheit von OL-3 – es waren immerhin 30.000 Ingenieure, Techniker und Arbeiter aus rund 80 Ländern beteiligt – bald vergessen machen dürfte. Hinzu kommt, dass es als erstes Kernkraftwerk der Welt kein Problem mit radioaktivem Abfall haben wird. Denn neben dem Kraftwerksgelände entsteht das geologische Tiefenlager/Endlager Onkalon, das in etwa zwei Jahren betriebsbereit sein soll. „An Zukunftsvertrauen fehlt es in Finnland nicht, wenn es um die Kernenergie geht.“ So Rudolf Hermann in der NZZ.
2. Spitz-findig-keit
Die NZZ (vom 16.4.2023 hinter Schranke) weiß darüber hinaus auch, wo wir Deutschen kräftig ausbauen und titelt: „Immer neue Posten: Die Ampelkoalition setzt den Rotstift nur bei anderen an. Die Zahl der Beauftragten und Parlamentarischen Staatssekretäre hat Rekordniveau erreicht. Unklar ist, was sie eigentlich machen und wer sie kontrolliert. Aber sie kosten den Steuerzahler Millionen.“ In Köpfen sind dies 45 Beauftragte für Themen wie u.a. Queere Menschen, Meere, Tierschutz und Antisemitismus, soviel wie nie zuvor, und 37 Parlamentarische Staatssekretäre (PSt), ebenfalls soviel wie nie zuvor. Allerdings gab es in den 1990ern schon mal 33, wie auch mit 23 PSts die wenigsten. Die vom Steuerzahlerbund bezifferten jährlichen Kosten je PSt liegen dabei heute deutlich über 500.000 Euro (21.000 Euro Monatseinkommen und 300.000 Euro Kosten per annum für Büro, Personal und Dienstwagen).
Deutlich schwerer wiegt die erodierende Gewaltenteilung. „Mehr als 60 Abgeordnete – Beauftragte (mehr als die Hälfte der 45 Beauftragten hat ein Bundestagsmandat – JG) und Parlamentarische Staatssekretäre – und damit etwa 10 Prozent des Bundestages sind de facto Teil der Bundesregierung, kontrollieren sie also nicht. Diesen Trend halten nicht nur Verfassungsexperten für bedenklich.“ So Susann Kreutzmann in der NZZ.
3. Spitz-findig-keit
3sat überträgt die Oper „Frau ohne Schatten“ von Richard Strauss von den Osterfestspielen in Baden-Baden (in der Mediathek nur bis zum 14.7.2023 verfügbar). Das Libretto stammt dabei von Hugo von Hofmannsthal, uraufgeführt wurde das Werk im Jahre 1919 in Wien. BR Klassik vom 2.4.2023 geizt nicht mit einer blumigen Beschreibung und punktueller Kritik: „Der Kern ist eher simpel: des Kaisers Gattin hat keinen Schatten und kann darob keine Kinder bekommen. Ein armes Färberpaar kommt ins Spiel, der Färberin soll ihr Schatten abgeluchst werden. Die Handlung springt hin und her und her und hin, ein symbolträchtiger Falke taucht immer mal wieder auf, letztendlich geht alles gut aus.“
Und zur Neuinszenierung: „Bei Lydia Steier (der Regisseurin – JG) sieht die Chose etwas anders aus. Eine offenbar junge Mutter, die ihr Kind verloren hat (steht wohl so im Programmheft – JG), lebt im Heim und durchlebt das Ganze (gleich mehrmals – JG), doch leider wird sie nicht glücklich. Während Kaiser und Kaiserin, Färber und Färberin hübsch ihren Liebesgesang über die Rampe schmettern, wühlt das Mädchen im Erdreich und man ahnt, Psychose nebst Tristesse bleiben.“
Dieses blutjunge Mädchen ist fast ständig auf der Bühne, ohne die wohlverdienten Pausen auch für die Zuschauerinnen und Zuschauer gut dreieinviertel Stunden lang. Vivien Hartert spielt diese junge Statistin, ohne ein einziges Wort zu sagen oder gar zu singen, dafür umso ein- und ausdrucksvoller in ihrer Mimik und Gestik, in ihren Bewegungsabläufen, Stürze eingeschlossen. Die anderen Protagonisten zeichnen sich durch runde, wohlgeformte Körper und volle Stimmen aus. Es tauchen riesige christliche Symbole auf und rasch wechselnde Bühnenbilder beschleunigen noch zusätzlich die rasante Handlung. Insgesamt über 170 Akteurinnen und Akteure – „… vor der Bühne, auf der Bühne, hinter der Bühne, unter der Bühne …“, so Benedikt Stampa, Intendant des Festspielhauses -, einschließlich der Berliner Philharmoniker unter Kirill Petrenko, sind dabei.
Und hier geht es weiter auf ein Märchenschloss.
#PreppoKompakt
Einen gewissen Zeitaufwand braucht es schon, wenn man der Frau ohne Schatten gerecht werden will. Aber Mann/Frau gönnt sich ja sonst nichts! Allein die Ablenkung ist Gold wert, wobei auch uns die Tristesse erhalten bleibt. „Felix Finlandia“ ist man versucht auszurufen – was sich zudem beim World Happiness Report der Vereinten Nationen gezeigt hat. In 2023 Finnland beim UN-Weltglücksreport auf dem ersten Platz – und das nicht zum ersten Mal. Deutschland, wir, abgeschlagen erst an sechzehnter Stelle.