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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute gibt es dafür ein Heimspiel auf der Alb – laut Schwarzwälder Boten (Schwabo) sogar in der obersten Klasse, der „Champions League“. Und bei all den im Kirchenraum anwesenden Paaren – auch gewesenen – bietet es sich an, zudem ein paar Gedanken an die Beziehungen – in Gedicht- und Buchform – zu ver(sch)wenden.
1. Spitz-findig-keit
Im Schwabo vom 9.5.2023 ist es detailliert ausgeführt, plus Fotostrecke. Ein bereits im März 2020 angesetztes Konzert in der Ebinger Martinskirche – durch Corona Jahr um Jahr verschoben – konnte vor einer Woche endlich nachgeholt werden. „Mit einer Improvisation an der Rensch-Orgel hat Kantor Steffen Mark Schwarz das Crossover-Konzert am Sonntagabend eröffnet – und ‚Südlich von Stuttgart‘ mit Karl Frierson am Mikrofon mit dem ‚Inner City Blues‘ nahtlos daran angeknüpft. Ernst Hutter war einer von zwei Grammy-Preisträgern, und er macht ‚Blasmusik auf Weltniveau‘, wie ‚Südlich‘-Bandchef Christian Baumgärtner nicht eigens hätte betonen müssen. Bei Antonio Vivaldis Sonate Nr. 1 und dem ‚Quiet Song‘ sowie diversen Solo-Einlagen glänzte Hutter an Tenorhorn, Trompete, Posaune und Euphonium – ein Tausendsassa.“ So Karina Eyrich, die allen Protagonisten des Abends – zu Recht – kleine Tempel errichtete.
Und weiter: „Gleichwohl waren es die Sängerinnen Annette Kienzle und Carla Frick, die dem Abend die Sahnehäubchen aufsetzten. Carla Fricks klassisch ausgebildete Ausnahmestimme scheint über die Corona-Zeit noch schöner geworden zu sein: ‚Oh God Beyond All Praising‘ und ‚No Soy Feliz‘, das sie ihrer Tochter als Schlaflied singt, waren starke Beispiele dafür. Doch wer hätte gedacht, dass Annette Kienzle – als ‚Südlich‘-Stammsängerin für ihre samtweiche und facettenreiche Stimme bekannt – auch Klassik kann? ‚Barcarolle‘ und das ‚Flower Duet‘ gerieten zu Wundertüten des Abends.“
Sehr beeindruckend für mich persönlich der Soulsong „Papa was a rollin‘ stone“ aus 1971, den Karl Frierson, auch mit dem Hinweis, dass sein Vater vor vier Jahren verstorben ist, vortrug. Hier nur ein kleiner Ausschnitt davon, 46 Sekunden lang.
Damit ist das fünfte Crossover-Konzert in der würdigen, architektonisch markanten Martinskirche Geschichte – und alle freuen sich, dass es in 2024 die sechste Auflage geben wird.
2. Spitz-findig-keit
Stichwort Beziehungen: Erich Kästner (1899-1974) hat seine Gedanken dazu in dem wunderbaren Gedicht „Sachliche Romanze“ aus dem Jahr 1928 zusammengefasst. Dazu Wikipedia: „In dem Gedicht werden ein Mann und eine Frau vorgestellt, deren Liebe zueinander nach acht Jahren ‚plötzlich abhanden‘ gekommen ist. Der einzige angedeutete Grund für die Trennung der zwei Protagonisten ist, dass sie sich mit der Zeit zu sehr aneinander gewöhnt haben … , auch sonst bleiben nähere Umstände wie die Namen der Protagonisten oder eine historische oder örtliche Einordnung des Geschehens weitgehend ungeklärt. Sie sind traurig, tun aber so, als sei nichts, sie können mit ihren Gefühlen nicht umgehen und nicht mehr aufeinander zugehen … . Auf einen Vorschlag des Mannes hin gehen die beiden ‚ins kleinste Café am Ort‘, wo sie bis zum Abend bleiben. Sie finden keine Lösung … . So endet das Gedicht und die Beziehung der beiden in Sprachlosigkeit, und obwohl die beiden noch zusammen sitzen, ist jeder bereits allein.“
Sachliche Romanze
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
(Auf YouTube: von Udo Lindenberg vertont und gekonnt vorgetragen).
3. Spitz-findig-keit
Zum Buch von Julia Schoch, „Das Liebespaar des Jahrhunderts“, haben wir in der #111 den Anfang und das Ende schon vorweggenommen. Sandra Kegel verweist in der FAZ noch darauf, dass es der zweite Band einer Trilogie zur „Biographie einer Frau“ ist – wir also mit dem dritten Teil fest rechnen können. Auch den Bezug zum obigen Gedicht hat sie hergestellt.
Richtig aus dem Vollen erzählt, weil viele Begebenheiten – beispielsweise, wie Kinder das Leben verändern (S. 87) oder andere „… Unvermeidlichkeiten des Zusammenlebens“ (S.134) -, sich wohl in jeder halbwegs dauerhaften Beziehung beobachten lassen. Nicht für jede hingegen läßt sich resümieren, dass „… in Bezug auf das Wesentliche … immer Übereinstimmung geherrscht … “ hat (S.78). Auf jeden Fall lehrreich, selbst wenn die Lektüre zu spät kommt und eine Trennung vollzogen ist. Dann weiß Mann/Frau wenigstens woran es lag und warum man einsam, aber mit diesem Schicksal doch nicht alleine ist.
Widmung
Meinen Freundinnen und Freunden Almut, Barbara, Hermann, Lidia, Reinhard und Uschi gewidmet.
Und hier geht es weiter, von südlich von Stuttgart mitten hinein.
#PreppoKompakt
Literatur und Musik, zwei Lebenselexiere, die Menschen zusammen und sich näher bringen. Erst recht, wenn Udo Lindenberg, in sanfter und einfühlsamer Tonlage, Erich Kästner zum Besten gibt. Der Panikrocker lebt schon viele Jahrzehnte – nur durch Corona unterbrochen – im Vier Sterne Hotel „Atlantic“ in Hamburg. Er soll jetzt, wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (rnd) am 6.5.2023 unter Bezug auf die Bild-Zeitung berichtet, neue Nachbarn bekommen.
2 Antworten
Guten Morgen Jürgen
Danke! – nicht nur für die Widmung, sondern vor allem für den schönen Abend in der Martinskirche,
den ich ohne Sie nicht hätte erleben dürfen.
Des Öfteren hatte ich eine Hühnerhaut und vor Rührung Tränen in den Augen.
Auf jedem Crossover-Konzert in der Martinskirche werde ich in Zukunft sein wollen.
Aber nur mit Ihnen und all den anderen!
Mit besten Grüßen
von hier oben nach da unten
Lidia
Lieber Jürgen,
auch von mir einen großen Dank – für die Widmung und die Einladung zu dem wirklich vielseitigen und hochklassigen Musikgenuss, den wir da gemeinsam erleben durften. Und gemeinsame Erlebnisse schaffen Verbindung – was in einer individualistischen Welt, in der oft das Trennende betont wird, besonders kostbar ist.
Herzliche Grüße Hermann