Spitz-findig-keit #139

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute geht es hingegen um einzelne doppeldeutige Wörter, einen jungen Buchpreisgewinner sowie die spezielle Sprachkunst eines genialen Mannes, der uns Deutschen gekonnt auf Hände, Füße und Mund, ja bis tief in die Seele hinein geschaut hat.

1. Spitz-findig-keit

Mit unserer Muttersprache und den darin enthaltenen lustigen Stolperstellen beschäftigt sich SWR3 unter dem Aufmacher „Urinstinkt ist der Klassiker – dieses Wort lesen viele erstmal falsch.“

Warum das so ist: Unser Gehirn versucht „… Bestandteile und Muster zu finden, die ihm bekannt sind – und pickt sich die sofort raus. Urin kennt das Gehirn wahrscheinlich und springt sofort darauf an, stinkt ebenfalls. Das Gehirn sagt sich „ja, kenn ich, nehm ich“ und erst im Verlauf des Lesens wird klar „hoppla, da war ich zu schnell, da stimmt etwas nicht beim Urinstinkt.“ Wenn ein Wort also mehrere Teile enthält, die es aus einem anderen Zusammenhang wiedererkennt, wirft einen das beim Lesen schnell aus der Bahn.“ (Verantworte zwei kleine Textänderungen „yes“ und „ups“ – JG). Also Ur-Instinkt.

Anschließend kann man sich mit weiteren, ähnlich verwirrenden Wörtern selbst testen. Wie Altbaucharme, Hoffensterchen, Rohrohrzucker, Baumentaster, Gehwegschäden, Staubecken, Musikerleben, Brathering, Nachtruhe, Kreischorverband, Duschlampe, Nudelauflauf, Nachteilzug und Torflaute. Auch unter den bis dato 111 Kommentaren wird man noch fündig: Blumentopferde, Ministereoanlage, Poebene, Zwergelstern, Europaletten und Spargelder beispielsweise. Und beim SWR3 am 7.11.2023 sind alle Lösungen nachvollziehbar aufgelistet.

2. Spitz-findig-keit

„Echt-Zeit-Alter“ – funktioniert bei großzügiger Auslegung so ähnlich. Dahinter steht jedoch der diesjährige Gewinner des mit 25.000 Euro dotierten Deutschen Buchpreises, Tonio Schachinger mit seinem Roman „Echtzeitalter“* (Rowohlt, Hamburg 2023).

Erfrischend, nicht abgehoben, sondern geerdet erzählt er vom Schul(internats)leben in Wien. Sicherlich nicht überall hin übertragbar, aber vielerorts nachvollziehbar. Keine überbordende Jugendsprache, sondern generationsübergreifend verständig, trotz allerlei Abkürzungen, wie AOE. Age of Empires – eine Welt, in die Till Kokorda, der Protagonist, tief eintaucht. Erzählerisch ansprechend, noch nichts Klassisches. Aber warum sollte dies der 1992 in Neu-Delhi geborene junge Mann schon vom Beginn seiner Entwicklung an – sein Erstling „Nicht wie ihr“ erschien 2019 – drauf haben.

3. Spitz-findig-keit

Loriot würde genau heute 100 Jahre alt. Wohl kaum eine Figur aus dem deutschsprachigen Fernsehprogramm ab den 1970er Jahren hat sich so tief mit Sprüchen und Szenen ins kollektive Gedächtnis unseres Landes eingegraben. In der ARD-Mediathek gibt es dazu einen überaus gelungenen Dokumentarfilm (seit dem 8.11., 90 Minuten lang, verfügbar bis 6.2.2024, 12 Uhr). Das Wiedersehen und wieder erinnern an das Werk des am 22. August 2011 Verstorbenen lockert unweigerlich die Lachmuskeln. Und löst innendrin eine freudige Stimmung aus, schon allein – aber vorallem, wenn man es sich in der Gemeinschaft antut.

Sprachliche Verrenkungen, die nicht übersetzbar sind; eine Doppeldeutigeit, immer auch mit Schattenseiten; die extrem elaborierte Sprache mit sehr starkem Sprachwitz, ja Sprachkunst, die nur in einem bestimmten Idiom, d.h. der deutschen Sprache, funktioniert. Aber es geht auch ohne viel Worte: so wenn das Bild schief hängt oder Opa Hoppenstedt Marschmusik nachempfindet. Dies alles zusammengepackt von Expertinnen und Experten des Fachs, auf engstem Raum (46:15 bis 51:25 in der ARD-Doku) – eine grundsätzliche Analyse von Loriots Schaffen mit treffenden Beispielen.

Adel verpflichtet – Loriots Herkunft

Vom Vogel Pirol im Wappen der von Bülows, der auf Französisch Loriot heißt, hatte sich Bernhard-Viktor „Vicco“ Christoph-Carl von Bülow seinen Künstlernamen ausgeliehen. Aus altem, mit berühmten Personen gepflasterten, sehr weit verzweigtem mecklenburgischen Adelsgeschlecht (siehe Wikipedia) – laut eigener Aussage einem verarmten Zweig – stammend, bestand er seine, im wahrsten Sinne des Wortes „Feuertaufe“ als Wehrmachtsoffizier im Zweiten Weltkrieg mit Auszeichnung (Eisernes Kreuz zweiter und erster Klasse). Danach rüstete er erfolgreich ab und entschied sich auf anraten seines Vaters für das Studium von Malerei und Grafik an der Kunstakademie in Hamburg. Über die Stationen Werbegrafiker, Cartoonist und Kolumnist sowie kleineren Rollen als Schauspieler – beispielsweise in Bernhard Wickis Antikriegsfilm „Die Brücke“ – ist er, beginnend Ende der 1960er Jahre, immer mehr in die Rolle des Fernsehmoderators hinein gewachsen (siehe ausführlich Wikipedia, auch zum Folgenden).

Eine besondere Liebe empfand Loriot zur klassischen Musik und zur Oper. Wohl aufgrund der Erziehung seiner Großmutter, die ihm schon als Kind Mozart, Puccini und Bach auf dem Klavier vorspielte, wie auch der umfänglichen Plattensammlung seines Vaters mit Aufnahmen von Opernarien. Ab den 1980ern dirigierte und inszenierte er Aufführungen und verfasste Texte in dieser Kunstgattung.

Und hier begegnet uns Till Eulenspiegel.

#PreppoKompakt

Humor ist, wenn man trotzdem lacht. Gerade weil wir heute relativ wenig zum Lachen haben, sind damit auch einhergehende Denkanstösse so wichtig. Dies unterscheidet reine Plattitüten von hintergründigem Humor. Während erstere rückstandslos verpuffen, löst letzterer auch ein Nachdenken und damit im Idealfall eine Verhaltensänderung aus. Wenn überhaupt vergleichbar, kommt meines Erachtens nur Dieter Nuhr mit „Nuhr im Ersten“ in dieser Hinsicht gegenwärtig an Loriot heran.

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