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Spitz-findig-keit #138

6 minutes

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute schauen wir dafür auf verschiedene, von einem „österreichischen Brüllaffen“ abgeänderte Lebensläufe.

1. Spitz-findig-keit

In der NZZ vom 31.10.2023 wird ein Interview mit Henry Kissinger wiedergegeben. Die letzte Frage beantwortet der 1923 in Fürth geborene, mit allen Wassern gewaschene Ex-US-Außenminister eindeutig sibyllinisch: „Herr Kissinger, Sie sind 100 Jahre jung. Wie bleiben Sie so scharfsinnig? Ich habe meine Eltern gut gewählt. Dadurch habe ich gute Gene geerbt.“

Das soll ihm mal einer/eine nachmachen. Auf jeden Fall taten seine Eltern gut daran, 1938 mit ihm auszuwandern.

Nachtrag: Am 30.11.2023 berichtet die Tagesschau, dass Henry Kissinger tags zuvor verstorben ist.

2. Spitz-findig-keit

Heute vor genau 56 Jahren – der gewohnte Blick (zuletzt in der #135) ins „Buch der Tagebücher“ (Zitat S. 518-519, zur Person S. 658) fördert es zutage: Die Autorin Thea Sternheim (1883-1971) macht sich in Basel 1967 Gedanken über die Studentenproteste in der noch jungen Bundesrepublik.

„Aus der Zeit schneide ich die Photographie des Studenten Rudi Dutschke aus. Was immer der junge Mann zu verkünden hat, ich denke, die Erfahrungen die die Deutschen mit dem österreichischen Brüllaffen aus Braunau gemacht haben sollten genügen ein für alle Male ähnliche Methoden der Mitteilung abzulehnen. Aus Gründen der Reinlichkeit, aus ästhetischen Gründen.“

Immerhin zeigt die zu diesem Zeitpunkt 83-jährige – „leidenschaftliche, wie hellsichtige“ – Beobachterin Interesse an der Person Dutschke. Dieser gilt als einer der führenden Ideologen der damaligen deutschen Studentenbewegung (siehe die vier eindrücklichen Beiträge der Bundeszentrale für politische Bildung – bpb – vom 20.8.2007 über „Studentenproteste und 68er-Bewegung“). Ihre Hellsichtigkeit hatte Thea Sternheim auch dadurch bewiesen, dass sie schon vor der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nach Frankreich emigriert war.

3. Spitz-findig-keit

Die Sprache und ihre Bedeutung für Jimmy Ernst (1920-1984), festgehalten im Buch „Nicht gerade ein Stilleben – Erinnerungen an meinen Vater Max Ernst“ (Kiepenheuer & Witsch, Köln 1985, S. 387). Für mich ist „… die Sprache ein Symbol meines neuen Lebens. Ich wollte sie nicht nur sprechen, sondern auch denken, sehen, träumen und sogar in ihr schweigen.“

Dazu muss man wissen, dass Jimmy in Köln geboren und aufgewachsen ist, um dann 1938 in die Vereinigten Staaten von Amerika auszuwandern. Er ist damit auch seinem Vater vorausgegangen, der mit dem Bild „Die schöne Gärtnerin“ in der auf Verlangen Adolf Hitlers auf den Weg gebrachten Wanderausstellung „Entartete Kunst“ vertreten war – wie auch u.a. Ernst Kirchner, Otto Dix, Paul Klee, Marc Chagall und Franz Marc (S. 170-171).

Seine jüdische Mutter, Lou Straus-Ernst, hingegen wurde Mitte 1944 nach Auschwitz transportiert und getötet. Von ihr hatte Jimmy Ernst noch als Kind folgendes zu hören bekommen (S. 421): „Ja, die Juden glauben nicht, daß ihr Gott sie zur grimmigen Bestrafung ausersehen hat. Im Gegenteil, sie sind überzeugt, daß er sie zu harter Prüfung auserwählt hat, damit sie ihren Glauben an seine unendliche Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe beweisen können …“. Dann schränkt sie ein, „… daß fünftausend Jahre eine schreckliche lange Zeit des Wartens auf seine Güte sind. Ich weiß nicht, wann die Prüfungen enden werden. Ich kenne die Antwort nicht.“

Gegen Ende des Buches (S. 423-431) erinnert sich Jimmy an die letzte Begegnung mit seinem Vater im Mai 1975, als er den schon 1953 aus den USA zurückgekehrten in einem Pariser Krankenhaus besuchte. Dabei kam die Sprache auch auf Jimmys 1953 geborene Tochter Amy Louise, die Max nicht nur aufgrund des Namens, sondern vom Aussehen (auf S. 428 in der Bildmitte) und Wesen her, mit seiner Frau Lou verglich. Eine Ausstellung, die in der Frankfurter „Die Galerie“ vom 25. November 2023 bis zum 7. Februar 2024 zu sehen sein wird, führt übrigens Max, Jimmy und Amy unter dem Titel „ERNSTERNSTERNST – drei Generationen einer Künstlerfamilie“ wieder zusammen. Bei der Vernissage dieser Werkschau (Samstag, 25.11., ab 11 Uhr) wird Amy Ernst anwesend sein.

Und hier geht es weiter zur nächsten, verdammt lustigen Spitzfindigkeit.

#PreppoKompakt

Wir wissen heute zumindest, dass die Prüfungen weitergegangen sind und mit unverminderter Härte und Schärfe noch andauern! Der am 7. Oktober wieder aufgeflammte israelisch-arabische Konflikt dominiert fast zwangsläufig – 19 der 48 Fälle nehmen darauf Bezug – auch die bekannte monatliche „Chronik des Irrsinns“ auf der Achse des Guten vom 1.11.2023.

Eine Antwort

  1. Freue mich sehr, dass Ihnen das Buch von J. Ernst gefallen hat, und nun sogar durch eine 3-Generationen Ausstellung in Frankfurt „ergänzt“ wird.
    Ich mache mich gleich auf, um ein zweites Mal die Chaim Soutine Ausstellung anzuschauen. Werde Ihnen per Email berichten, und wenn ich Ihre Postanschrift finde ( ja, es ist schrecklich! Ich bin unordentlich), werde ich Ihnen den Flyer zur Ausstellung zukommen lassen.
    Ganz liebe Grüße aus Düsseldorf,
    E.Schull

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