Spitz-findig-keit #146

8 minutes

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute an der Wende zum neuen Jahr horchen wir zunächst darauf, was uns drei Geistesgrößen mit auf den Weg geben – „Vermächtnisse“ für die Nachwelt in Reimen. Und schauen ernüchtert darauf, wie es sich bei uns gegenwärtig verhält. Danach stürzen wir uns mit einem bildenden Künstler in die Silvesterparty und landen am Ende rockig weich in München.

1. Spitz-findig-keit

Vernunft sei überall zugegen

„Den Sinnen hast du dann zu trauen, / Kein Falsches lassen sie dich schauen, / Wenn dein Verstand dich wach erhält. / Mit frischem Blick bemerke freudig, / Und wandle sicher wie geschmeidig / Durch Auen reichbegabter Welt.

Genieße mäßig Füll und Segen, / Vernunft sei überall zugegen, / wo Leben sich des Lebens freut. / Dann ist Vergangenheit beständig, / Das Künftige voraus lebendig, / Der Augenblick ist Ewigkeit.“

Johann Wolfgang von Goethe – Dichter und Politiker – eindeutig zuzuordnen: „Vermächtnis“, die vierte und fünfte Strophe von insgesamt sieben, aus: GOETHE Die schönsten Gedichte, ausgewählt von Hedwig Mehrmann, Herrsching 1989, S. 297-298.

Zehn Gebote des gesunden Menschenverstands

– Ihr könnt keinen Wohlstand erlangen, wenn ihr nicht zur Sparsamkeit mahnt.

– Ihr könnt die Schwachen nicht stärken, indem ihr die Starken schwächt.

– Ihr könnt dem kleinen Mann nicht helfen, indem ihr die Grossen zerstört.

– Ihr könnt denen, die einen Lohn beziehen, nicht helfen, wenn ihr die ruiniert, die ihn bezahlen.

– Ihr könnt den Armen nicht helfen, indem ihr die Reichen ausmerzt.

– Ihr könnt keine solide Sicherheit schaffen, wenn ihr euch verschuldet.

– Ihr könnt keine Brüderlichkeit schaffen, wenn ihr Klassenhass schürt.

– Ihr könnt eure Schwierigkeiten nicht dadurch lösen, dass ihr mehr ausgebt, als ihr einnehmt.

– Ihr könnt kein Engagement für die öffentlichen Angelegenheiten und keine Begeisterung wecken, wenn ihr den Einzelnen seiner Initiative und seiner Unabhängigkeit beraubt.

– Ihr könnt den Menschen nicht dauerhaft helfen, wenn ihr für sie tut, was sie selbst für sich tun könnten und tun sollten.

In der NZZ vom 27.12.2023 sind diese Gebote mit ihrer enormen lebenspraktischen Dimension modernisiert dargeboten (hinter Schranke). Der ursprüngliche Text – die „The Ten Cannots“ – aus dem Jahre 1916 stammt von William John Henry Boetcker, einem in Hamburg 1873 geborenen presbyterianischen Religionsführer in den USA. In 1942 wurde dort Abraham Lincoln fälschlicherweise als Autor gehandelt. Den bereits vorhandenen Überlieferungen und -setzungen hat nun Gerhard Schwarz, ehemals Leiter der NZZ-Wirtschaftsredaktion, seine eigene Version hinzugefügt.

Wünsche zum Jahreswechsel

„Herr, setze dem Überfluss Grenzen / und lasse die Grenzen überflüssig werden. / Lasse die Leute kein falsches Geld machen / und auch Geld keine falschen Leute. / Nimm den Ehefrauen das letzte Wort / und erinnere die Ehemänner an ihr erstes. / Schenke unseren Freunden mehr Wahrheit / und der Wahrheit mehr Freunde. / Bessere solche Beamte, Geschäfts- und Arbeitsleute, / die wohl tätig, aber nicht wohltätig sind. / Gib den Regierenden ein besseres Deutsch / und den Deutschen eine bessere Regierung. / Herr, sorge dafür, daß wir alle in den Himmel kommen. / Aber nicht sofort! / Amen.“

Angeblich von Hermann Josef Kappen, aber höchstwahrscheinlich doch nicht. Festgehalten in „Raffs Raritäten, MCDXXVII – 1427, Zum neuen Jahr“ (zu Gerhard Raff, einem echt schwäbischen Phänomen, siehe dessen aussagekräftige Seite). Auf jeden Fall sind diese Wünsche zeitlos gültig.

2. Spitz-findig-keit

In der NZZ vom 20.12.2023 ist zum bei uns vorherrschenden Meinungsklima folgendes zu lesen: „In Deutschland nimmt das Gefühl zu, man sollte in der Öffentlichkeit lieber nicht allzu deutlich seine Meinung sagen. Besonders nicht, wenn man konservative Ansichten hat.“

Gemessen wird mittels einem sogenannten „Freiheitsindex“ vom Institut für Demoskopie Allensbach und von MediaTenor aus der Schweiz. Demzufolge haben wir „… das schlechteste Meinungsklima seit Beginn der Aufzeichnungen. … Während 1990 noch 78 Prozent der Befragten der Aussage zustimmten, dass man in Deutschland frei reden könne, sind es 2023 nur noch 40 Prozent. Hingegen sind 44 Prozent überzeugt, dass es besser sei, sich in der Öffentlichkeit nur vorsichtig zu äussern.“

Bei der Ursachenforschung fällt die Mediennutzung der Bevölkerung ins Auge. Immer noch satte 72 Prozent informieren sich über politische Themen aus dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen, weit vor allen anderen Medien. Dabei sei „… der vorauseilende, ‚politisch korrekte‘ Gehorsam von Karrierejournalisten …“ bei den Öffentlich-Rechtlichen nicht zu unterschätzen. Was hinzu kommt: „Die durchaus bevormundende Politik der Ära Merkel und die auf Empfänger staatlicher Leistungen ausgerichtete Politik der Ampelregierung scheint ebenso Wirkung auf die Bürger zu haben wie ihr öffentlichrechtliches Fernsehen.“ So Susanne Gaschke, Berliner Korrespondentin der NZZ.

Der Chefredakteur der NZZ, Eric Gujer, bringt es mit „Deutschland ist ein Stillstandland“, eine „gelähmte Republik“, in seinem Kommentar tags darauf genau auf den Punkt. Traurig, aber wahr!

3. Spitz-findig-keit

Silvesterparty

Wenigstens die Silvesterparty läßt er sich nicht entgehen. 1986 rafft sich Andy Warhol auf – und hat ganz zum Schluss eine Eingebung (wie immer – zuletzt in der #144 – im Buch der Tagebücher festgehalten, auf S. 609, zugleich der allerletzte Tagebucheintrag in diesem „dicken Schinken“):

„Steven Greenberg gab seine Silvesterparty im ‚River Café‘ in Brooklyn. Smoking war verlangt, doch ich trug nur meinen lausigen Schal. Wir gingen um 11.55 aus dem Haus und fuhren über die Brooklyn Bridge. Das war der lustigste Teil des Abends. Paige stiftete unseren Fahrer Harold an, noch lauter zu hupen, und stieß schrille Pfiffe aus. Wir hatten die Brücke gerade hinter uns, da ging das Feuerwerk los … Kam gegen 4.00 nach Hause und ging mit den Hunden spazieren. Es war blöd, so lange aufzubleiben, nur weil Silvester war.“

ProjeSom

Da war er eben schlichtweg auf der falschen „Party“. Auf der hier (auf YouTube sechzehneinhalb Minuten lang zu genießen, nach ca. 12 Minuten Einstieg in eine Wiederholung der Tänze im ProjeSom-Stil, aber – aufgepasst! – unterlegt mit neuen Liedern), auch wenn meilenweit entfernt in „Munic, Bavaria“ und nicht zur Jahreswende, hätte er anders geurteilt. Seit November 2019 rund 210 Millionen Aufrufe – alle können sich nicht irren! Die siebzehnte Ausgabe dieser extrem bewegten Tanzveranstaltung „Rock that Swing“ findet übrigens vom 8. bis 12. Februar 2024 in München statt – hier das Programm.

Dinner for One

Ein kleines Jubiläum einer anderen Party ganz zum Schluss. DerStandard vom 28.12.2023 erinnert daran, dass der Fernsehklassiker „Dinner for One oder Der 90. Geburtstag“ nun bereits seit 60 Jahren über die Fernsehbildschirme in Deutschland flimmert, dabei seit 1972 mit einem festen Sendeplatz zu Silvester. Eine „… Geburtstagsparty ohne Gäste, ein mehr oder weniger trinkfester Butler und ein unglücklich platziertes Tigerfell …“ seien die Erfolgszutaten der 18-minütigen Kultsendung. Zum 90sten meines Vaters im August 2018 haben wir übrigens das Stück von einem erstklassigen Duo vorgeführt und enorm viel zum Lachen bekommen.

Und hier geht es liebevoll spitzfindig weiter.

#PreppoKompakt

Wir wünschen allen unseren Leserinnen und Lesern ein gutes neues Jahr. Ein große Portion Gesund- und Zufriedenheit sowie jede Menge Zuversicht, dem universellen Treibstoff der Zukunft.

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert