Spitz-findig-keit #18

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer neuen Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ werden wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen zitieren, dabei auch klassische Denkerinnen und Denker nicht verschonen.

Um Denkanstösse zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeit #18

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Wir beschäftigen uns heute lieber mit den fünf olympischen Ringen, denn seit Freitag laufen die 32. Olympischen Spiele in Tokio, pandemiebedingt mit einem ganzen Jahr in Verzug und vor nahezu leeren Zuschauerrängen. Auf dem südamerikanischen Kontinent hat der vorige Gastgeber die Spiele in 2016 wirtschaftlich noch nicht verdaut. Da kam es den Brasilianern wohl gelegen, dass sie sich schon vor der Eröffnungsfeier im olympischen Fußballturnier mit der deutschen Mannschaft messen konnten.

1. Spitz-findig-keit

Aufrechte Haltung und anständiges Verhalten sind charakteristisch für Japan. Dadurch wurde die Corona Pandemie in diesem Land mit einer solch hohen Bevölkerungsdichte bislang gut bewältigt (hier bei uns vor gut einem Jahr beschrieben und auch aktuell durch Zahlen der Johns Hopkins University belegt; dort sind übrigens auch die Sommerspiele mit bislang 91 Infizierten – Stand 23.7.2021 – gelistet). Auch im Sport gelten besondere Maßstäbe, wie die NZZ vom 20.7.2071 – unter dem Titel „Olympische Sommerspiele: Teilnehmen und eine aufrechte Figur abgeben, ist das, was in Japan zählt“ – beschreibt.

So beim Judo oder „… Jiu-Jitsu, eine Kampfkunst, die die Samurai nutzten, wenn sie ihre Waffen verloren hatten. Der Name übersetzt sich mit ‚weiche Technik‘. Die Grundidee, die den Idealen der Samurai entspricht: nachgeben, um zu gewinnen.“ Dabei hat dieser Sport – wie so vieles im Leben – ganz offensichtlich auch eine dunkle Seite. „Mit den harten Trainings und dem Befolgen eines strengen Protokolls wurden in den letzten Jahrzehnten immer wieder Grenzen überschritten. Wer im Training den Lehrer nicht überzeugt, wird nicht selten misshandelt oder zu Strafaufgaben verdonnert. Gemäss der japanischen Opfervereinigung für Judounfälle kam es zwischen 1983 und 2016 zu 121 Todesfällen im Judounterricht.“

Dennoch, so bringt es Felix Lill in der NZZ verallgemeinernd auf den Punkt: „Es passt zum alten olympischen Ideal, wonach teilnehmen wichtiger ist als siegen. Japan geht gar einen Schritt weiter: teilnehmen und eine aufrechte Figur abgeben, das ist das, was zählt. Ein verpasster Medaillengewinn oder ein in letzter Minute verspielter Meistertitel lassen sich so leichter verschmerzen.“

2. Spitz-findig-keit

Die NZZ vom 21.7.2021 stellt fest, dass die „… Vergabe der ersten Olympischen Spiele nach Südamerika … ein Triumph für das aufstrebende Land“ war. Rio musste sich gegen Madrid, Tokio und Chicago durchsetzen, „… die politische Heimat des damaligen amerikanischen Präsidenten Barack Obama. Es war der Ritterschlag für Brasiliens Präsidenten Lula da Silva, den ehemaligen Gewerkschaftsführer und Gründer der linken Arbeiterpartei, der Brasilien zur sechstgrössten Volkswirtschaft der Welt gemacht und Millionen Brasilianer aus der Armut geholt hatte.“

Und heute, nur fünf Jahre später, unter seinem Nach-Nachfolger, Jair Messias Bolsonaro: „Das olympische Erbe verfällt. Perspektiven für die Nutzung der meisten Arenen gibt es nicht. Im Olympiapark Barra gibt es weder öffentliche Toiletten noch Verkaufsstände. … Von rund einem Dutzend Hallen wird nur eine regelmässig für Schulprojekte genutzt. Seit Jahren streiten die Stadt und die Zentralregierung darüber, wer die Instandhaltung der Hallen und Stadien bezahlt. Auch im zweiten grossen Olympiapark im Stadtteil Deodoro verfällt die Infrastruktur.“

Mit Rio de Janeiro ging es regelrecht bergab. Brot und Spiele – Panem et circenses – kommen da für die nächsten zwei Wochen nicht nur den Brasilianern wohl ganz gelegen.

3. Spitz-findig-keit

Im FAZ-Newsletter am 22.7.2021 wird von einer offenen Rechnung gesprochen und an die deutsche Endspielniederlage – 5:6 im Elfmeterschießen – im Maracana-Stadion erinnert. Am 20. August 2016 gab es Gold für Brasilien und Silber für die deutsche Elf. Am Donnerstag kam es nun zu einer fulminanten Neuauflage dieser Begegnung.

Die ARD-Sportschau sendete „unkommentiert“, was gänzlich ungewohnt und dennoch wohltuend war. Nur das Bild und eine leichte Geräuschkulisse mit Rufen von Spielern und Trainern sowie den Pfiffen des Schiedsrichters. Statt vorgekauter Beobachtungen und Kommentaren von ein, zwei oder drei Experten, konnte/durfte man sich eigene Gedanken machen. Brasilien im gelben, wir im schwarzen Trikot, nach 45 Minuten stand es schon 3:0. Wenn man so will, alle 10 Minuten ein Tor. Wenn Florian Müller vom VfB Stuttgart nicht den Elfmeter gehalten hätte, wäre der Halbzeitstand sogar 4:0 gewesen. Seine tollen Torwartparaden über die ganze restliche Spielzeit verunsicherten und nervten die Brasilianer. Nach 56 Minuten dann das 3:1 und in der 63. Minute eine Rote Karte, die die deutsche Mannschaft in Unterzahl brachte und ihr den Kapitän nahm. Nach 83 Minuten dann trotzdem das 3:2. Nachspielzeit fünf Minuten – und nach 93 Minuten die Entscheidung durch Paulinho – er verdient sein Geld übrigens in der Profiliga in Saudi-Arabien – zum 4:2 Endstand. Unsere nächsten Gegner in der Gruppe D sind die Elfenbeinküste und besagtes Saudi-Arabien.

Unsere Rechnung mit Brasilien weiterhin offen.

Und hier geht es weiter zum Quantencomputer.

#PreppoKompakt

FAZ Liveticker zu Olympia in Tokio. Bis zum 8. August werden in 33 Sportarten mit 51 Disziplinen bei 339 Wettkämpfen Gold, Silber und Bronze vergeben. Im Liveticker wird alles genau festgehalten.