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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute beschäftigen wir uns dafür ausschließlich mit der deutschen Sprache, setzen Akzente und bedienen uns dabei zu großen Teilen aus Beiträgen der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ).
1. Spitz-findig-keit
Im Infobrief des Vereins Deutsche Sprache (VDS) vor zwei Wochen wurde auf einen Netzbeitrag der ARD vom 28.10.2024 zum Pro und Contra Gendersprache hingewiesen:
„Das Boulevardmagazin Brisant listet auf seiner Netzseite [je sieben – JG] Gründe für und [Argumente – JG] gegen das Gendern auf. Trotz der Auffassung, dass gegenderte Sprache inklusiv und geschlechtergereicht sei, wird zugegeben, dass Genderzeichen die Barrierefreiheit einschränken. Sowohl das Netzwerk Leichte Sprache als auch der Blinden- und Sehbehindertenverband e. V. raten davon ab, Gendersonderzeichen wie den Stern, Doppelpunkt oder das Binnen-I zu verwenden. Auch schreibt Brisant, dass rund zwei Drittel der wahlberechtigen Deutschen das Gendern ablehnen und eine vermeintlich gerechte Sprache nicht zu einer tatsächlichen Geschlechtergerechtigkeit führe.“
Und „sparsam“ ist die ARD zudem – satirischer Einschub -, wohl nachdem feststeht, dass der Rundfunkbeitrag weder im nächsten Jahr, noch in 2026 ansteigen wird. Denn der vom VDS herausgehobene Beitrag über das Gendern wurde so erstmals bereits am 21.02.2022 veröffentlicht.
2. Spitz-findig-keit
Eine ungewöhnliche „Todesanzeige“ findet sich in der NZZ vom 9.11.2024 (hinter Schranke), verfasst von Paul Jandl unter der Überschrift: „Der Hanser-Verlag verzichtet auf sein intellektuelles Schlachtschiff.“
„So sehen wohl moderne Begräbnisse aus. Geht man auf die Website des Münchner Hanser-Verlags und sucht die siebzig Jahre in diesem Haus erschienene Literaturzeitschrift ‚Akzente‘, kommt man zu einer digitalen Todesanzeige. Unter ‚Akzente im Überblick‘ steht: ‚0 Treffer‘. Kein einziges Heft ist hier noch angeführt. Obwohl das Periodikum das intellektuelle Schlachtschiff der Hanser-Kultur war. Die Worte des Verlegers Jo Lendle zum Abschied lassen befürchten, dass es nun auch mit dieser vorbei ist.“ Laut Verleger habe man die Zeitschrift in eine neue Obhut gegeben, dem Dittrich-Verlag aus Weilerswist-Metternich, wo sie in bewährter Weise, versehen mit neuen Impulsen, künftig erscheinen werde.
Von 1954 bis 2014 waren die Akzente eine „Zeit-Mitschrift. Die Chronik einer chronisch im Wandel befindlichen Epoche.“ Von Walter Höllerer und Hans Bender in einem Jahr gegründet, „… das Ähnlichkeiten hat mit dem, was wir heute erleben. Es tobte der Indochinakrieg, die Aufstände in Algerien waren ein weiterer Krisenherd. Auf die Pariser Verträge folgte die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik. Als düstere Gefahr drohte die technische Aufrüstung der Atombombe.“ 2015, im zweiten Jahr nach dem Abgang seines Vorgängers Michael Krüger, beauftragte Jo Lendle Autoren mit der Herausgeberschaft einzelner Themenbände. Das erste Heft hieß „Unmögliches“. Danach erschien – wie Paul Jandl es spitz-bübisch ausdrückt – „… zu allem Möglichen etwas.“ Beispielsweise also „Wunder“, „Lebensweisheiten“, „Witz“, „Schweigen“ und „Automatensprache“, dem bislang letzten Band – seiner Klassifikation nach alles sogenannte Bahnhofsbuchhandlungsthemen.
Die eigene Geschichte mit den Akzenten
Ich selbst hatte die Akzente 45 Jahre lang abonniert. In dieser ewig langen Zeitspanne sah ich mich nur einmal verlasst, an den Herausgeber zu schreiben:
Mein Schreiben vom 31.3.2021 – Betreff: Akzente Heft 1, April 2021
Sehr geehrter Herr Lendle,
seit April 1979 – das weist jedes Jahr auch die Rechnung aus – bin ich ein treuer Bezieher und, soweit es mein Zeitbudget hergegeben hat, in weiten Teilen auch Leser der Akzente. Alle in diesem Zeitraum erfolgten Herausgeberwechsel und die damit in Zusammenhang stehenden Veränderungen (oder auch nicht), sei es inhaltlicher, visueller oder sonstiger Natur, habe ich mit neugierigem Interesse verfolgt. Dabei ist das Meiste gelungen, spannend war es auf jeden Fall. Aber immer sind die Akzente sich und der Sprache treu geblieben.
Nun haben Sie im oben genannten Heft an vier Stellen genau hierzu experimentiert. Ich denke, es ist ausreichend Platz vorhanden, um geschlechtergerecht „Autorinnen, Autoren und Übersetzerinnen, Übersetzer“ zu schreiben. Interessanterweise machen diese ansonsten im gesamten Heft keinen Gebrauch von Gendersternen.
Darf ich freundlichst an Sie appelieren, unserer Muttersprache – Duden hin oder her – weiterhin treu zu bleiben.
Mit besten Grüßen
Dr. Jürgen Gneveckow
Seine Antwort vom 7.4.2021
Sehr geehrter Herr Gneveckow,
haben Sie Dank – nicht nur für Ihre äonenüberspannende Treue, die mich aufrichtig freut, sondern auch für das Äußern Ihres Unbehagens. Wir werden uns dazu hier noch einmal beraten. Ein Verlag ist natürlich ein Gebilde, das ganz unterschiedliche Strömungen ganz unterschiedlicher Gegenwarten in sich aufnimmt. Aber ihm kommt, da bin ich bei Ihnen, auch und nicht zuletzt die Aufgabe des Bewahrens zu.
Einen herzlichen Gruß,
Jo Lendle
Das Ende der Geschichte
Hoffentlich habe ich nicht mit meiner im April vollzogenen Kündigung des Abos den Ausschlag für den Verkauf gegeben. In meinem ersten Akzente Heft 1/2, Februar 1979, war noch eine zwischen sechs- und zehntausend Exemplaren schwankende Auflage angegeben. Nun endet mit meinem letzten Heft eben zufällig auch die Ära der Akzente im Carl Hanser Verlag. Mein Kündigungsgrund war übrigens nicht das „Autor:innen und Übersetzer:innen“ – wohl aus Platzgründen ein einziges Mal bei der Inhaltsangabe auf der Rückseite des Titeldeckblattes verwandt -, sondern schlichtweg eine immer größer werdende Platznot im eigenen Bücherregal.
3. Spitz-findig-keit
Der Infobrief des Vereins Deutsche Sprache (VDS) vom 9.11.2024 berichtet unter Bezug auf einen Artikel in der NZZ vom 4.11.2024 (hinter Schranke) über eine Abstimmung der Züricher Bevölkerung am 24. November – heute in einer Woche – zum Gendern.
„Ins Rollen gebracht hat die Initiative die SVP-Kantonsrätin Susanne Brunner. Sie fordert von der Stadt Zürich eine ‚klare, verständliche und lesbare Sprache‘, auf Sonderzeichen wie den Genderstern soll verzichtet werden.“
Isabel Heussers Kommentar in der NZZ: „‚Von dieser Sprache, die alle einschliessen will, fühlen sich längst nicht alle Menschen angesprochen, auch wenn die Linke das glaubt. Die grosse Mehrheit stört sich an der Kunstsprache. (…) Auch wenn es aus liberaler Sicht nicht besonders sympathisch ist, ein Gebot mit einem Verbot zu bekämpfen, wie die Initiative das macht.‘ Die Verwendung des Gendersterns sei politisch, so Heusser, Linke gendern, Rechte nicht. Wer nicht gendern wolle, gelte als ewiggestrig, reaktionär oder feindlich gesinnt gegenüber Minderheiten. Dazu tauge der Genderstern nicht als Mittel zur Inklusion: ‚Wer Mühe hat mit Lesen, wird ohnehin über Bezeichnungen wie ‚Bewohnende‘ und ‚Stadträt*innen‘ stolpern.‘ Dazu kommt die Frage der fehlenden Durchgängigkeit: Die Stadt müsse sich aus Gründen der Rechtssicherheit bei vielen Texten und Dokumenten an den Richtlinien von Bund und Kanton orientieren – und die gendern eben nicht. In Weisungen, Verfügungen und bei Eingaben an Gerichte und Rechtsmittelinstanzen verwende die Stadt deshalb auch weiterhin männliche und weibliche Formen. Man könne durchaus die Frage stellen, ob es wirklich nötig sei, eine Abstimmung zu einem Sprachreglement durchzuführen, schreibt Heusser. ‚Die emotionalen Diskussionen dazu geben aber eine klare Antwort: Ja.'“
Wir werden darüber informieren, ob es der Initiative „Tschüss Genderstern“ gelungen ist, das vom rot-grünen Stadtrat in 2022 eingeführte Sonderzeichen wieder abzuschaffen. Schon jetzt drücken wir beide Daumen.
#PreppoKompakt
Bleibt nur noch der Verweis auf den vom Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge ausgerichteten heutigen Volkstrauertag. Die zentrale Gedenkstunde aus dem Bundestag – hier das Programm – mit dem Hauptredner Klaus Werner Iohannis, Staatspräsident von Rumänien, überträgt ab 13:30 Uhr das ZDF. Gemeinsam für den Frieden!