Spitz-findig-keit #46

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstösse zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitz-findig-keit #46

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute soll uns aber das „Buch der Tagebücher„* inspirieren – das wir unter anderem schon hier, hier und hier bemüht haben. Zugleich fangen wir die Faszination ein, die von runden Daten ausgeht. Und erinnern daran, dass uns feste Rituale/Feste zur Begehung von Jubiläen eindeutig von der Tierwelt unterscheiden. In dieser Hinsicht ist der Mensch wirklich einzigartig. Auf los gehts los: 2 – 4 – 6.

1. Spitz-findig-keit

In dieser Woche am 02.02.2022 jährte sich zum 100sten Mal die Publikation des Buches „Ulysses“* von James Joyce. Es war fern der Heimat in Paris – und nicht in Dublin, wo es an einem einzigen Tag, dem 16. Juni 1904 spielt – pünktlich zum 40. Geburtstag des irischen „Nationalhelden-Literaten“ am 02.02.1922 erschienen. In einem (vergilbten) Artikel „Vierundzwanzig Stunden nichts als James Joyce“ in der ‚Welt‘ vom 12. Juni 1982 äußert sich der Komponist Anthony Burgess zu dieser eigenartigen Konstellation: „Die Einwohner Dublins sind stolz auf Joyce, und trotzdem rügen sie seine Unmoral, seine religiöse Abtrünnigkeit, seine wilde Ehe und seinen Mangel an Nationalbewußtsein.“ Und trotzdem – oder gerade deshalb? – feiern sie diesen „Bloomsday“ seit 1954 Jahr für Jahr wie wild: „James Joyce wird … Kämpfe auslösen und als Vorwand für Besäufnisse herhalten“, so Burgess im Vorfeld dieses fast schon irischen Nationalfeiertages.

Faz-net glänzt am 02.02.2022 mit dem erhellenden Artikel eines Insiders – Derek Scally, Deutschlandkorrespondent der Irish Times in Berlin (hinter Schranke). „Auch jetzt, hundert Jahre nach seinem Erscheinen, gilt ‚Ulysses‘ als eines der am meisten besprochenen und am wenigsten gelesenen Bücher. Wir Iren lieben Aufsätze und Streit darüber, wir freuen uns, wenn Joyce-Jünger Irland besuchen. Jedes Jahr am 16. Juni … feiert Dublin ‚Bloomsday‘ mit Lesungen, Gorgon­zola-Sandwiches und reichlich Burgunder. Auf ‚Ulysses‘ trinken kann jeder, sich aber dem Buch widmen? Das trauen sich bei uns immer noch nur die ganz Mutigen.“ Was wohl auch für Nicht-Iren zutrifft. Denn wenn ich mein Exemplar aus der edition suhrkamp, Neue Folge 100, Ausgabe 1981, betrachte, so wirkt auch dieses trotz dreier eingelegter Zeitungsartikel noch recht jungfräulich.

Ins Buch der Tagebücher hat es dennoch nur der jüngere der Joyce-Brüder, Stanislaus, durch eine Bemerkung über James/Jim geschafft: „Es ist über alle Maßen entsetzlich, einen genialen älteren Bruder zu haben!“ (S. 635). An vier Stellen wird dieses Empfinden mit praktischen Beispielen unterlegt (auf S. 688 im Register zu finden).

2. Spitz-findig-keit

Ludwig Erhard (1897 – 1977) wäre am 4. Februar 125 Jahre alt geworden. In der NZZ vom gleichen Tag würdigt René Höltschi, deren Berliner Wirtschaftskorrespondent, unseren ersten Wirtschaftsminister zugleich als den besten. Er zitiert dessen Nachfolger Robert Habeck, der bei der Vorstellung des aktuellen Jahreswirtschaftsberichts die Bedeutung des Kartellamts hervorgehoben und hinzugefügt hatte: „Das klingt immer so ein bisschen verstaubt: das Kartellamt. Man denkt an Ludwig Erhard und Zigarrenrauch.“ Dass er sich an den berühmten Vorgänger erinnert, verleitet Höltschi zu dem frommen Wunsch: „Er möge sich gerne weiterhin erinnern – ‚mehr Erhard‘ würde Deutschland gewiss nicht schaden.“

„Mehr Fortschritt Erhard wagen!“ Das wäre es doch gewesen.

3. Spitz-findig-keit

Und exakt heute vor 76 Jahren – am 6. Februar 1946 – schreibt Max Beckmann – prägnanter Zeichner, Porträtist, subtiler Illustrator und in den Augen der Nationalsozialisten „entarteter Künstler“ – im selbstgewählten Exil in Amsterdamm in sein Tagebuch: „War in Zandvoort und zu Fuß nach Overveen, ziemlich anstrengend, aber das Meer war wieder Meer und sagte guten Tag Herr Beckmann.“ (S. 70 im „Buch der Tagebücher“).

Das Februar-Blatt des „Goldenen Dumonts 2022“* zeigt ein Selbstbildnis des Malers und seiner frischangetrauten zweiten Frau „Quappi“ (1925). Max Beckmann liebte nicht nur das Meer, sondern offensichtlich auch den Karneval.

Widmung

Unserer Freundin Lidia gewidmet, die ihren Freundeskreis großzügigerweise mit dem „Buch der Tagebücher“ ausgestattet hat.

Und hier geht es gewohnt spitzfindig weiter!

#PreppoKompakt

Welch eine fantastische Mischung heute! Eines der am meisten besprochenen und am wenigsten gelesenen Bücher. Unser bester Wirtschaftsminister und ein Nachfolger, der beim Kartellamt nur an Staub und Zigarrenrauch denkt. Dazu ein aus der Art geschlagener Maler, der mit der Sängerin Mathilde – genannt Quappi -, der Tochter des Malers Friedrich August von Kaulbach liiert ist und auch noch das Meer versteht.

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