Spitz-findig-keit #71

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitz-findig-keit #71

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Wir gehen stattdessen zwei in den #69 und 70 aufgespürten menschlichen Schwächen etwas auf den Grund. In persona geht es um den von uns so „getauften“ Peter Feldweg und um das frisch „gebackene“ Ehepaar Christian und Franca Lindner, geborene Lehfeldt.

1. Spitz-findig-keit

In faz-net vom 19.7.2022 (hinter Schranke) kommt mit Sylvia Schenk eine erfahrene Juristin und Richterin zu Wort, die sich zudem in ihrem Vorleben in verschiedenen Sportarten – als Sportlerin, aber auch als Funktionärin – bewährt hat. Ein weiterer Vorzug ist ihre Mitgliedschaft in der örtlichen SPD, wodurch sie deren Innenleben kennt und auch kein parteipolitisches Kalkül mitschwingt. Dabei weist sie der Unschuldsvermutung als wichtigem Rechtsstaatsprinzip den gebührenden Platz zu. Diese dürfe aber keinesfalls als Totschlagargument mißbraucht werden.

Argumentationskette

Ihre Argumentation: „Der Rechtsstaat kann nicht jegliches sozial schädliche Verhalten kriminalisieren. Er ist vielmehr darauf angewiesen, dass die Menschen sich auch da korrekt verhalten, wo keine gesetzliche Strafe droht: Integrität beginnt nicht an der Strafrechtsgrenze.“ Korruption sei bei uns bis Mitte der 1990er Jahre für viele ein Kavaliersdelikt gewesen, deren zersetzende Wirkung nicht klar genug erkannt worden.

„Wenn Gefälligkeiten bis hin zu Geschenken, Einladungen oder sonstigen Zuwendungen Abhängigkeiten schaffen und so Entscheidungen unzulässig beeinflussen, erodiert das Vertrauen in das Funktionieren von Demokratie und Rechtsstaat.“ Fast automatisch wirkt zudem ein Multiplikatoreffekt, denn das Vorbild einer Führungsfigur „… verleitet andere dazu, es ebenfalls nicht so genau zu nehmen.“

Konkret fallbezogen

Zu OB Feldmann: „Wenn die Einstellung einer Angehörigen bei einem der größten Zuwendungsempfänger der Stadt Frankfurt erfolgt, muss der Oberbürgermeister sicherstellen, dass alles zu 100 Prozent korrekt abläuft – vom Auswahlprozess über das Gehalt bis zum Dienstwagen. Ganz abgesehen davon, dass er von jeglicher Beratung und Entscheidung über den Arbeitgeber seiner Frau auszuschließen ist.“

Kommentar

Ein Leserkommentar, von lediglich fünf, die mehrheitlich die klare Problembeschreibung loben: „Endlich hat es mal jemand kompetent auf den Punkt gebracht. Für einen OB braucht es also mehr als ein SPD-Parteibuch und eine AWO-Vita. ‚Das tut man nicht‘, das haben uns die Eltern noch gelehrt (bin Jahrgang 1948), auch wenn es nicht im Gesetz steht. Anstand und Moral gehen immer mehr den Bach runter!“

Nachtrag vom Wahlsonntag am 6.11.2022

Die NZZ beschreibt es brühwarm so: „Peter Feldmann abgewählt: Die Frankfurter schicken ihren umstrittenen Oberbürgermeister in die Wüste. In der fünftgrössten deutschen Stadt haben die Einwohner den SPD-Oberbürgermeister Peter Feldmann abgewählt. Der 64-Jährige steht wegen einer Korruptionsaffäre vor Gericht, weigerte sich aber, seinen Posten zu räumen. Der Fall machte bundesweit Schlagzeilen.“

Ergänzung am 10.11.2022

Wie die Frankfurter Neue Presse (FNP) berichtet, veröffentlicht Feldmann nun seine Biografie. Das Buch „Peter Feldmann. Sozi. Jude. Oberbürgermeister“ werde am 30. November im örtlichen Nomen-Verlag erscheinen. Nachdem knapp 202.000 Frankfurter Bürgerinnen und Bürger für die Abwahl gestimmt hatten, trat Feldmann am 11. November von seinem Amt zurück. Schon rund 153.000 Stimmen hätten gereicht, um das bei einem Bürgerentscheid notwendige Quorum mit 30 Prozent aller Wahlberechtigten zu erfüllen.

2. Spitz-findig-keit

Auf der Achse des Guten vom 19.7.2022 geht Georg Etscheit indirekt diesen Verfallsprozessen nach. Er klopft dabei detailliert das Selbstverständnis nicht nur der evangelischen Kirche ab, vor dem Hintergrund, dass die Brautleute, obwohl beide ausgetreten, auf Sylt kürzlich kirchlich geheiratet haben. Und fragt – eher rhetorisch: „Ist es verwunderlich, dass sich immer mehr Menschen von einer solchen formlosen Kirche abwenden?“

Im Fall Lindner/Lehfeldt nimmt er an, dass nur noch ein rudimentärer Bezug zu Kirche und Glauben vorhanden ist. Und es darum ging, „… der Eheschließung einen feierlich-formalen Rahmen zu geben.“

Kommentierungen

Genau diesen Aspekt spießen auch einige von ingesamt 35 Kommentaren auf – stellvertretend drei, auch hier ohne Namensnennung:

  1. „Ich glaube nicht, dass das Paar Lindner – Lehfeldt Wert auf einen christlichen Segen ihrer Eheschliessung gelegt haben. Frau Lehfeldt wollte natürlich den Kleinmädchentraum vom grossen Auftritt im weissen Brautkleid auch haben und bei einer ’nur‘ standesamtlichen Trauung hätte das nicht gepasst. Dazu musste die Kirche herhalten. Kleingeister! Nicht Freigeister!“
  2. „Rent e Bischof/Pfarrer/Pastor.“
  3. „Nicht von ungefähr wird das freiwerdende Feld von Glauben und Werten in Deutschland von neuen und anderen Religionen besetzt. Die evangelische Kirche wird in die Klimakirche assimiliert. Die katholische Kirche könnte das Schicksal der Auflösung ereilen. Man hat über Jahrzehnte gepennt, man hat sich keineswegs der Moderne angepasst. Und wenn doch, war es lediglich bräsiger Aktionismus, weil viel zu sehr mit selbsterschafften Problemen beschäftigt (Missbrauch). … .“

Ein auch den Finanzminister betreffendes Fass

„Da wird unverrichteter Dinge noch ein ganz anderes Fass aufgemacht und eine Frage berührt, deren Diskussion die evangelische wie katholische Kirche scheut wie der Teufel das Weihwasser: Warum soll der Staat Steuern für eine Institution einziehen, die immer mehr Menschen in den allermeisten Lebenslagen für entbehrlich halten und die sich zudem ihrer selbst immer weniger sicher ist?“ Schlußfolgert Georg Etscheit.

Im konkreten Fall könnte man augenzwinkernd hinzufügen, dann müssen doch das Personal und die Örtlichkeiten für eine angemessene Trauzeremonie des Ministers der Finanzen drin sein. Natürlich gegen angemessenes Entgelt und bei vollkommener Transparenz – um der Korruption keine Chance zu geben.

Widmung

Einem sympathischen Paar gewidmet, das sich in reifem Alter nach reiflicher Überlegung zur Jahresmitte in einem Stuttgarter Standesamt das Ja-Wort gab. Gänzlich ohne Presse und Schickimicki und über 900 Straßenkilometer von Sylt entfernt. Ihm – einem versierten Juristen und gestandenen Kommunalpolitiker im Albstädter Gemeinderat – fiel 20 Tage später das Ja zur Reaktivierung der Talgangbahn wohl ebenso leicht.

Und hier geht es zur nächsten Spitz … .

#PreppoKompakt

Wir brauchen in unserer Gesellschaft viele überzeugende Vorbilder, gerade auch in den Reihen der christlichen Kirchen. Wenn diese ihre originäre Kernaufgabe der Glaubensvermittlung weiterhin vernachlässigen, stellen sie sich selbst mehr und mehr infrage.

Eine Antwort

  1. Schon oft haben wir bei unseren Spaziergängen über die „Institution“ Kirche gesprochen.

    Alles ist im Wandel, alles in Bewegung (Spitz-findig-keit #68) – die Kirche jedoch nicht. Oder doch recht wenig. Sowohl in der evangelischen als auch der katholischen Kirche muss die Einsicht wachsen, dass auch hier so einiges “bewegt” werden sollte/muss.

    Im Falle Lindner/Lehfeldt, „Mädchentraum“, „feierlich-formaler Rahmen“ – hin oder her, ist es nicht falsch darüber zu urteilen, ohne deren Gedanken/Beweggründe zu kennen?

    Meine Geschwister und ich sind seit Geburt konfessionslos. Auch mein Bruder ließ sich frei trauen, dabei ging es nicht um diesen „feierlich-formalen Rahmen“ oder damit seine Frau ihren „Mädchentraum“ ausleben konnte (ein wenig vielleicht schon). Es ging darum, dass man glaubt und den Segen eines Menschen haben möchte, der Gott (oder wer auch immer da oben rum schwirrt) ein wenig näher steht, als man es allenfalls selbst tut.

    Grundsätzlich sollten wir uns alle Gedanken über unsere Gesamtsituation machen: haben wir nicht bei weitem größere Sorgen und Probleme als die Hochzeit eines Politikers auf Sylt? Moralisch nicht ganz korrekt, aber nur schätzungsweise, vielleicht halt. Einfach Ansichtssache.

    Die Presse sollte sich lieber viel mehr mit Themen beschäftigen, bei denen Menschen, aufgrund von extremem Fehlverhalten unserer Politiker zu Schaden kamen und ein normales Leben (ein Jahr später) noch nicht einmal in Sichtweite ist. Siehe Ahrtal!

    Gott möge ihnen beistehen! Oder, spitz gefragt: hilft die Kirche hier unseren Mitbürgern?

    Wen juckt da eine fucking Hochzeit auf Sylt … .

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