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Spitz-findig-keit #77

6 minutes

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitz-findig-keit #77

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute dominiert die brutale Tragik, die sich bei kriegerischen Auseinandersetzungen auf dem Schlacht-, zudem, viel direkter und langwieriger, im familiären Umfeld abspielt. Wer sich diese Lektüre nicht antun möchte, der komme nächsten Sonntag wieder, wenn sich die #78 unter anderem mit Königin Olga – der Sissi von Stuttgart – beschäftigt.

1. Spitz-findig-keit

Bericht in der NZZ vom 25.8.2022 über einen russischen Angriff tags zuvor. Demzufolge beschoss das russische Militär am ukrainischen Unabhängigkeitstag und ein halbes Jahr nach Kriegsbeginn den Bahnhof der ostukrainischen Kleinstadt Tschapline, die etwa 55 Kilometer von der Front entfernt zwischen Donezk und Saporischja liegt.

„Die Raketen trafen Bahnwagen, in denen sich Passagiere befanden. Einige Stunden davor war bereits ein Wohnhaus in Tschapline beschossen worden, wobei ein elfjähriger Junge ums Leben kam. … 25 Menschen sind tot, unter ihnen zwei Kinder und drei Mitarbeiter der ukrainischen Eisenbahn. Insgesamt 31 wurden verletzt.“

Russland übernahm die Verantwortung für den Angriff. Es seien über 200 ukrainische Soldaten in einen Militärzug getötet worden, keine Zivilisten. „Die Ukraine erwähnte dagegen keine getöteten Soldaten in ihren Mitteilungen.“ So Rewert Hoffer in der NZZ.

Wer hat recht, wer lügt? Die Bilder vom Vater des toten Jungen am 25. August auf Tagesschau24 (war lediglich bis Ende August abrufbar) – sofern nicht gestellt – geben Antwort.

2. Spitz-findig-keit

Hier ein Vater, dort der Brief einer Mutter, die beim Untergang des US-amerikanischen Kriegsschiffes USS Juneau während der Seeschlacht um die Salomonen-Insel Guadalcanal im November 1942 ihre fünf Söhne verloren hat. Nachzulesen in „Letters of Note – Briefe, die die Welt bedeuten„*, herausgegeben von Shaun Usher, Wilhelm Heyne Verlag, München 2014, S. 339-341.

Unvorstellbar: Alleta Sullivan aus Waterloo/Iowa schreibt im Januar 1943 an das Personalbüro der Marine, sie habe das Gerücht gehört, ihre Söhne seien gefallen. Antwort und damit Gewißheit erhält sie am 13. Januar durch ein Schreiben des Oberbefehlshabers der Armee und Marine, Präsident Franklin D. Roosevelt. Er unterstreicht darin, dass es der ausdrückliche Wunsch von George, Francis, Joseph, Madison und Albert Sullivan war, auf demselben Schiff zu dienen. Durch zwei japanische Torpedos starben so 687 Männer, darunter die fünf Sullivan-Brüder.

Der Brief endet mit:

„In der Stunde Ihrer schwersten Prüfung sende ich Ihnen mein tiefstes Mitgefühl, und ich bete dafür, dass Sie in Gott, dem Allmächtigen, den Trost und Beistand finden, den nur er geben kann.

Mit aufrichtiger Hochachtung

Franklin D. Roosevelt“

3. Spitz-findig-keit

Aktuellen Meldungen – so die Tagesschau vom 25.8.2022 um 16:05 – zufolge rüstet Putin weiter auf. Per Dekret will er 137.000 neue Soldaten ausheben, und die Armeestärke damit auf mehr als zwei Millionen Menschen bringen. Laut NZZ vom 26.8.2022 hängt die Unterstützung für den Krieg/die Strafexpetition, „… nicht nur von der medialen Propagandamaschine des Regimes ab, sondern auch davon, dass es vor allem ethnische Minderheiten und periphere Gebiete sind, die ihre Söhne dem Krieg opfern. … Es sind Regionen wie Dagestan, Burjatien und Krasnodar, aus denen proportional viel mehr Getötete stammen als aus der Grossregion Moskau, wo fast ein Zehntel der Bevölkerung lebt.“

Putin sei auf einer Gratwanderung. „Mit den vorhandenen Kräften ist ein Sieg über die Ukraine nicht zu haben, aber eine Generalmobilisierung könnte ihn die Heimatfront kosten.“ So Andreas Ernst in der NZZ. Und da sind ja auch noch die russischen Erfahrungen mit den „Zinksärgen“ aus ihrem Afghanistankrieg .

Swetlana Alexijewitsch

Die am 31. Mai 1948 geborene Schriftstellerin, die in 2015 den Nobelpreis für Literatur erhielt, hat dies in ihrem Buch „Zinkjungen – Afghanistan und die Folgen„*, Hanser, München 2014 (auf russisch 2007 erschienen), wenn man so will, vorweggenommen.

Es fasst (S. 9-232) – unterteilt in drei Tage/Kapitel – geschätzte über hundert anonymisierte Aussagen/Erzählungen von russischen Soldaten, die den Krieg in Afghanistan überlebt haben, medizinischem Personal und Zivilbediensteten beiderlei Geschlechts, Müttern und Vätern der Gefallenen sowie, jeweils als Einstieg ganz knapp, der Autorin (S.A.) zusammen. Im Vorspann werden zwar auf eineinhalb Seiten alle Namen genannt, aber nicht zugeordnet; am Ende der Berichte sind zudem sieben Nachrufe mit vollem Namen der Gefallenen festgehalten.

Dadurch ergibt sich als stimmiges Bild ein Psychogramm dieses von 1979 bis 1989 dauernden Krieges: es wurden vorrangig junge, gutgläubige und im Prinzip auch gutmütige Menschen/Soldaten (um die 20 Jahre jung) geopfert/verheizt. Er wurde auf beiden Seiten mit brachialen militärischen Mitteln geführt und artete in einem regelrechten Schlachten mit schlimmsten Verstümmelungen aus. Deshalb durften auch Mütter ihre toten Söhne nicht mehr anschauen, die Särge aus Zink in denen die Überführung in die Heimat stattfand – deshalb auch „Zinkjungen“ – ließen sich nicht öffnen.

Zu diesen Traumata hinzu kam eine weitgehende Unkenntnis der Menschen in der Sowjetunion über diesen Krieg und – wenn dann doch – eine Geringschätzung, wenn nicht gar Verachtung für die Kämpfer, die das überlebt und oft den Verlust von Gliedmaßen und psychische Deformation zu beklagen hatten. Besonders krass im Vergleich zu der hohen Wertschätzung des „Großen Vaterländischen Kriegs“ gegen Hitler.

Und hier geht es weiter – wie schon vor drei Jahren mit der Genom-Editierung.

#PreppoKompakt

Krieg kommt regelmäßig bei den „normalen“ Menschen an, sie zahlen seit Urzeiten dafür den höchsten Preis.

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