Spitz-findig-keit #95

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitz-findig-keit #95

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Unser „Wort zum Sonntag“ – dem wir heute den Vorzug geben – stammt nicht wie gewohnt von einem Pfarrer, sondern dem Philosophen Pfaller. Der österreichische Professor – dem 2020 der Paul-Watzlawick-Ehrenring verliehen wurde – gab der schweizerischen NZZ am 3.1.2023 ein Interview, dessen Inhalt in der Lage ist, auch beim deutschen Nachbarn Denkanstösse zu generieren. Es geht dabei um die gegenwärtig weitverbreitete Angst und Furcht im Vergleich zu früher – der Moderne, sprich dem 20. Jahrhundert – und eben heute – der Postmoderne.

1. Spitz-findig-keit

Unter Bezugnahme auf (unter anderem) Sigmund Freud, erläutert Robert Pfaller zunächst, wodurch sich Furcht und Angst fundamental unterscheiden. „Die kalte Wohnung ist Objekt einer Furcht. Das drohende Versagen hingegen löst Angst aus.“

Furcht – konkretes Objekt

Furcht aufgrund einer realen Bedrohung entstünde beispielsweise durch eine Überzahl einem begegnender bewaffneter, übelgesinnter Gestalten. Dies ist ein konkretes Objekt, dem man etwa ebenfalls durch Bewaffnung oder Beiziehung von Verbündeten begegnet.

Angst – ohne Objekt

Angst ist hingegen ohne Objekt. Hierzu die Pfallersche Umschreibung: „Ich will eine Tür öffnen, zu der ich den Schlüssel zu haben glaube. Dann passt der aber nicht. Zunächst ärgere ich mich, dass ich nicht den richtigen Schlüssel besitze. Dann aber erfasst mich ein unheimliches Gefühl: Denn ich habe einen Schlüssel, von dem ich nicht weiss, wo er passt. Das ist das Wesen der Angst: Es ist etwas zu viel da, nicht zu wenig wie bei der Furcht. Und dieses Zuviel, dieser Überschuss, bin möglicherweise ich selbst – zum Beispiel im Arbeitsprozess, wo ich versage oder keinen Platz mehr für mich finde.“

2. Spitz-findig-keit

Angst und Scham – etwas muss weg

„Bei Angst und Scham muss immer etwas weg. Man will fliehen oder völlig von der Bildfläche verschwinden, im Boden versinken oder tot sein.“

Mit letzterer hat sich übrigens Robert Pfaller in seinem im Mai 2022 bei S. Fischer in Frankfurt am Main erschienenen Buch „Zwei Enthüllungen über die Scham„* (208 Seiten, davon fast 50 Seiten Anmerkungen, für 22 €) ausgiebig beschäftigt. Im Klappentext steht zu lesen: „In unserer Kultur der sozialen Medien finden viele, dass andere sich schämen sollten: Großkonzerne, Steuerhinterzieher, Männer, Dicke, Gegner. Früher wollte man mit Andersdenkenden diskutieren. Heute versucht man, sie nicht zu Wort kommen zu lassen. Das ist wie bei der Scham: immer muss etwas weg.“

Furcht und Schuld – etwas muss her

„Bei Furcht und Schuld hingegen muss immer etwas her: Schutzmassnahmen, Bewaffnung; Bussgeldzahlungen oder Kompensationsleistungen.“

3. Spitz-findig-keit

In der Moderne tickten die Menschen anders als in der Postmoderne

„Man hatte sicherlich sehr viele gute Gründe, sich zu fürchten: vor Arbeitslosigkeit und Verarmung durch eine Weltwirtschaftskrise, vor Faschismus, vor einem Atomkrieg. Der Unterschied zu heute aber war der: Selbst in den schlimmsten Zeiten des 20. Jahrhunderts haben die Menschen geglaubt, dass es ihnen morgen besser gehen würde. Die Moderne vertraute auf den Fortschritt. Wir Postmodernen dagegen haben diese Hoffnung verloren. Gerade in den reichsten Ländern glauben die wenigsten Menschen, dass es ihnen oder ihren Kindern morgen besser gehen wird.“

Die Hoffnung auf Fortschritt ging verloren

„Wenn man die ganze Zeit nur damit beschäftigt ist, sich vor dem Tod zu schützen, hat man bald kein Leben mehr“ – überschreibt Birgit Schmid ihr schriftlich geführtes Interview. Die – auch durch Erhebungen klar nachgewiesene – Zunahme der Angst in der Gesellschaft, habe zudem Auswirkungen auf die Sexualität.

Widmung

Zwei besonderen Menschen aus jeweils besonderem Anlass gewidmet – der traurige zunächst:

Mariechen Stange – in #82 in der Novelle „erahnt“ – ist in dieser Woche im Alter von 74 Jahren verstorben. Mit ihrem Beruf sorgte sie im Rathaus für Ordnung und Sauberkeit, war rechtschaffen und fleißig. Aber auch mutig und offen, wenn es darum ging, Positionen vernünftig zu vertreten. Und vor allem war sie kinderlieb. Wie ihr Mann, der ihr wenige Monate vorausging, hat sie die Seebestattung in der Ostsee verfügt.

Der freudige Anlass: Margot Eppinger – Schulkameradin aus „grauer Vorzeit“, feiert heute auf den Fildern – Region Stuttgart – einen unrunden Geburtstag. Sie war eine ausgezeichnete Leichtathletin, gewann in ihrer Sport-Laufbahn zwei Deutsche Meisterschaften im Fünfkampf und bestritt zwei Sommer-Olympiaden – 1972 in München und vier Jahre später in Montreal. In unserer mit Mädchen/Frauen unterbesetzten Klasse, hat sie, wenn auch nur für begrenzte Zeit, Adelheid und Gabi den Rücken gestärkt. Von allen gemocht ihre gute Laune, von etlichen genutzt ihr fahrbarer Untersatz. Alles Gute, liebe Margot!

Und hier geht es ganz spitz weiter.

#PreppoKompakt

Einfache, saubere Überlegungen von Professor Pfaller. Schafft man es, sie sich zu Eigen zu machen, löst das nicht alle Probleme, aber es verbessert das persönliche Wohlbefinden. Allein schon der Gedanke, damit nicht allein zu stehen, hilft. Also Ihr „Postmodernen“, einfach gründlich nachdenken und miteinander vorurteilsfrei reden. Gebt Eurem gesunden Menschenverstand eine Chance und holt Euch die Hoffnung zurück!

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