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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute greifen wir dafür mal wieder zum Buch der Tagebücher – wie zuletzt hier in der #100. Und hangeln uns, ausgehend von einem Eintrag vor genau 82 Jahren, in die ähnlich verheißungsvolle gendergeprägte Gegenwart.
1. Spitz-findig-keit
„Wie man in Notzeiten sparsam werden lernt! Wenn mir früher beim Kaffeemahlen eine Bohne heruntergefallen und aus meinem Blickfeld geraten war, kümmerte ich mich darum nicht. Heute liege ich auf allen vieren auf dem Fußboden, um sie zu suchen. Meine Zigarettenstummel lasse ich trocknen, schneide mit der Schere den verbrannten Teil ab und klaube den restlichen Tabak heraus; mit den Stummeln von vier oder fünf Zigaretten bekomme ich die Menge für eine neue Zigarette zusammen.“
So Paul Léautaud (1872-1956), ein französischer Schriftsteller, bissiger Chronist und großer Misanthrop, der mit zahlreichen Hunden und Katzen in selbstgewählter Isolation in einem Vorort von Paris lebte (Buch der Tagebücher, S. 267 mit dem Eintrag vom 4. Juni 1941 und S. 640 zur Personenbeschreibung). Das Ganze ereignete sich während der Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs im Zweiten Weltkrieg.
Wikipedia zur damaligen Nahrungsmittelknappheit: „Versorgungsprobleme beeinflussten schnell das tägliche Leben, und in französischen Geschäften waren bald keine Waren mehr verfügbar. Mit diesen Problemen konfrontiert, reagierte die Regierung mit Einführung von Lebensmittel- und Essensmarken, mit welchen man zumindest die notwendigsten Lebensmittel oder Produkte wie Brot, Fleisch, Fisch, Zucker, Fett und Kleidung bekam. Auch Tabakwaren und Wein mussten rationiert werden. … Lange Warteschlangen gehörten vor allem im Stadtbereich zum täglichen Bild.“
2. Spitz-findig-keit
Am 31. Mai 2023 wurde – wir bleiben beim „Laster“ – nicht nur zum 36. Mal der „Weltnichtrauchertag“ begangen. In meinem Freundeskreis und meiner Verwandtschaft wurden an diesem Tag, wie letztes und jedes Jahr, auch drei Wiegenfeste gefeiert. Auf einer der Feiern unter freiem Himmel mit hohem Frauenanteil, zu der ich dankeswerterweise Zutritt hatte, gab es auch einen hohen Anteil an Raucherinnen. Die Zigarettenstummel fanden dabei feinsäuberlich in leeren Getränkedosen den richtigen Platz. Ob und von wem sie wieder-, beziehungsweise weiterverwertet wurden, blieb mir verborgen.
Auf jeden Fall wirbt die Bundesregierung anlaßbezogen vehement dafür, das Rauchen dranzugeben – und bietet über die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) mit Sitz in Köln dazu Hilfestellung an.
3. Spitz-findig-keit
Zur Schweiz
Die NZZ vom 24.5.2023 berichtet über die Initiative „Tschüss Genderstern“ wie folgt: „Seit Wochen gibt es in der Schweiz … kaum ein dringlicheres Problem als die Frage, wie viele Geschlechter es gibt und wie diese adäquat adressiert werden sollen. … Gestritten wird gehässig, vornehmlich virtuell, in den sozialen Netzwerken und Kommentarspalten der Online-Medien. … Eine Meinung zum Thema der Stunde hat jeder. Doch was man bis jetzt vermisst, und zwar schmerzlich, ist ein demokratisch legitimierter Entscheid. So wie es in der Schweiz von EU-Beitritt bis Hornkühen bei allen strittigen Themen üblich ist und in der Regel zur Versachlichung der Debatte beiträgt.“
Nun ist ein solcher Entscheid – damit der schweizweit erste Volksentscheid zur hoch umstrittenen Gendersprache – in Reichweite gerückt, „… zumindest in der Stadt Zürich.“ Heute würden Gendersterne, -doppelpunkte und -Gaps – in Umfragen mehrheitlich so zum Ausdruck gebracht – „… als elitäre, künstliche Eingriffe in die Sprache wahrgenommen. Manche fühlen sich machtlos, ohne Mitsprache, von einer Zeitgeistwelle überrollt. … Es könnte in Zürich ein Ausrufe- oder noch besser ein Schlusszeichen in dieser überdrehten Debatte sein.“
Nach Großbritannien
In faz-net vom 30.5.2023 wird über die Philosophin Kathleen Stock berichtet, die von radikalen Gender-Ideologen/Aktivisten diffamiert und aus ihrem Amt als Professorin der Universität Sussex gedrängt wurde. Und nun bei öffentlichen Auftritten auch mundtot gemacht werden soll. Was zumindest bei ihrem Vortrag in dieser Woche am historischen Debattierverein an der Universität Oxford, laut ehemaligem Premierminister Harold Macmillan der „letzten Bastion der Redefreiheit“, mißlang. „Stock wird von der Trans-Lobby wie eine Aussätzige behandelt, weil sie darauf beharrt, dass das Geschlecht biologisch bestimmt sei.“
Sie, so in der NZZ vom Mittwoch (hinter Schranke) zu lesen, „… argumentiert, dass das biologische Geschlecht unabänderlich sei und als einziges Kriterium für die Zuteilung vieler geschlechtsspezifischer Privilegien und Rechte herangezogen werden solle.“ Für Kathleen Stock ist es verrückt, wenn „… als biologische Männer geborene Transpersonen aufgrund eines ‚internen Gefühls‘ in Umkleidekabinen, Toiletten oder Gefängnisse für Frauen …“ zugelassen werden.
Eine gewisse Ähnlichkeit besteht zum Geschehen beim Auftritt Boris Palmers vor der Universität Frankfurt, wie in der #112 beschrieben. Nur dass sich dort niemand vor dem Rednerpult festgeklebt hatte und erst, wie in Oxford, mit Zeitverzug „losgeeist“ werden musste. Ganz ohne Zeitverzug hat sich übrigens OB Palmer am letzten Donnerstag in seine einmonatige Auszeit begeben.
Zurück auf dem Kontinent
Destogleichen eine gewohnt klare Kante/Worte von NZZ-Chefredakteur/or Eric Gujer im „Der andere Blick“ vom 2.6.2023 zum Thema. In drei kurzen Sätzen bringt er es auf den Punkt. „Ein verpflichtender Gendertag an Schulen, Lesungen für Kinder mit Dragqueens oder der drohende Verlust von sicheren Räumen für Frauen erregen die Gemüter. Der Liberalismus hat sich zu Tode gesiegt, und jede Minderheit fordert ein Maximum an Rechten. Doch auch die Mehrheit verdient Respekt.“
Und hier geht es weiter zur #117.
#PreppoKompakt
Bevor wir endgültig misanthropisch, das heißt zum Menschenfeind werden! DerStandard vom 27.5.2023 hält, Gott sei Dank, 32 Tipps für gute Laune in schlechten Zeiten parat. Wie Kajak fahren auf der alten Donau (1), die Sorgen mit Seifenblasen wegpusten (8). Kochbuch durchschmökern (14), Katzenvideos schauen (30) oder sich von der Mama bekochen lassen (31). Dazu vor allem auch spassige Kommentare/Postings. Von den 122 nur zwei Beispiele: „In die Berg bin i gern – Jo da gfreit si mei Gmiat, Wo die Almröslan wochs’n, Und da Enzian ist… Nichts heitert mich so auf, wie Bergsport 🙂 Entweder gemeinsam mit lieben Menschen oder ab und an auch ganz alleine für mich…“. Der zweite „gute Laune-Trick“ aus Österreich mit kleinem Seitenhieb: „Tiktok Videos über die Grünen in Deutschland anschauen, dann kommen einem die eigenen Grünen nicht mehr ganz so schlimm vor…“. Uns hilft der allerdings nicht.