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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute lesen wir dafür Tipps fürs Berufsleben – wer es noch braucht -, lernen etwas über Oscar-Träume und wundern uns, was eine selten gespielte italienische Oper für Diskussionen loszutreten imstande ist.
1. Spitz-findig-keit
Durchs Berufsleben bluffen – mit sechs Tipps der NZZ vom 30.3.2024 (hinter Schranke, wörtlich zitiert, stark verkürzt), die keinesfalls todernst zu nehmen sind. Die insgesamt 100 Geschichten der NZZ am Sonntag sollen helfen, „… durch nicht ganz einfache Zeiten zu navigieren.“
- Gewöhnen Sie sich Ironie ab, jedenfalls die Art von Ironie, die Menschen an der Macht als solche erkennen. Humor macht Sie verdächtig.
- Stellen Sie sich konsequent an die Spitze des herrschenden Zeitgeist-Gedöns. Stehen die Zeichen im Büro auf Diversity, könnten Sie zum Beispiel anregen, dass für die ausgeschriebene Stelle einem schwarzen Transgender-Mensch im Rollstuhl der Vorzug gegeben wird.
- Ein kleiner Trick, für den wahrscheinlichen Fall, dass Ihr Vorgesetzter dauernd leere Phrasen drescht und dabei Zeichen der Zustimmung von Ihnen erwartet. Sagt er: ‚Für diesen Task brauchen wir ein agiles Mindset‘, wiederholen Sie einfach die letzten beiden Wörter, also ‚agiles Mindset‘.
- Hören Sie auf, sich zu hinterfragen. … Selbstzweifel sind der grössere Stolperstein als mangelndes Talent, ein geringer IQ oder fehlender Arbeitseinsatz. Besonders mühelos kommen Sie durchs Berufsleben, wenn Sie laut reden, eine naive Begeisterung für die wirren Ideen aus der Chefetage an den Tag legen und natürlich zu 120 Prozent von sich selbst überzeugt sind.
- Reden Sie den Leuten konsequent nach dem Mund. Ist Ihr Chef ein Militärkopf, dann sollten Sie sich jenen Kasernenton und Jargon angewöhnen, den einfach gestrickte Menschen mit Armeehintergrund halt so verwenden. Sprechen Sie zum Beispiel konsequent … davon, wie Sie die Konkurrenz ‚unschädlich machen‘ werden.
- Betreiben Sie penetrantes, schamloses Selfbranding. Der tägliche Post auf Linkedin ist ein Must. Dort danken Sie Ihrer Chefin überschwänglich für die gelungene Betriebsfeier – wo Sie sich trotz reichlich Alkohol tödlich langweilten. Sie gratulieren dem besonders talentlosen Mitarbeiter herzlich zur Beförderung, die Sie hinter den Kulissen erfolglos zu hintertreiben versucht haben.
2. Spitz-findig-keit
Im schon mehrfach konsultierten „Buch der Tagebücher“ – zuletzt hier – findet sich ein von Richard Burton (1925 – 1984) in Los Angeles verfasster Eintrag vom 7. April 1970 (S. 173-174; S. 620 zur Person). Der in Wales geborene Richard hatte zwölf Geschwister und von seinem Vater, außer dem Alkoholismus, nichts geerbt. Er war gleich zweimal mit Elizabeth Taylor verheiratet, brachte es auf insgesamt fünf Ehen und hat in fast 70 Spielfilmen mitgewirkt. Vor genau 54 Jahren trieb den Schauspieler folgendes um:
„Heute ist Hollywoods großer Tag – der Tag der Oscarverleihung. Es ist merkwürdig, daß die ganze Welt sich darüber lustig macht, daß aber trotzdem alle Schauspieler einen bekommen wollen und daß ein Oscar im Nachruf auf Schauspieler unweigerlich als Gipfel des Erfolgs erwähnt wird. Sogar in der Times und im Guardian. Falls zum Beispiel heute abend John Wayne den Oscar als bester Hauptdarsteller bekommt, dann aus reiner Sentimentalität, denn ich habe seine Darstellung zwar nicht gesehen, aber gehört, es sei nicht viel mehr als sein übliches Durchmarschieren … Meine einzige Chance besteht darin, daß ich ein Anhänger von Kennedy-Adlai Stevenson bin, eine ‚Taube‘, während Wayne ein Republikaner ist, ‚Mein Vaterland, right or wrong‘, ein ausgewachsener Falke, und im allgemeinen ist die ‚künstlerische‘ Gemeinde von Hollywood ausgesprochen liberal. Außerdem, sagt John Springer, glaubten viele, ich sei bestohlen worden, weil ich für Wer hat Angst den Oscar nicht bekommen hätte. Abwarten. Ich werde jedenfalls eine Scheißwut bekommen, wenn ich keine Gelegenheit habe, meinen neuen Abendanzug vorzuführen, zu dem eine Brokatweste gehört, vor allem deshalb, weil ich heute morgen 76 Kilo wog und noch bei 84-85 war, als mir für den Anzug Maß genommen wurde.“
Das Ende vom Lied
Wiedereinmal ging er leer aus, wie schon fünf Mal zuvor und später noch einmal. Insgesamt sieben Nominierungen, aber kein Oscar (siehe Wikipedia, auch zu seinen Lebensumständen). Bei all dem ein wenig Trost durch den in Deutschland verliehenen Medienpreis „Bambi“, den er 1968 als bester ausländischer Darsteller für „Wer hat Angst vor Virginia Woolf?“ erhalten hatte. Gewichtiger war da schon, dass er am 13. Juni 1970 von Königin Elizabeth II. zum Commander of the Order of the British Empire ernannt wurde und damit auch Gelegenheit bekam, die Brokatweste zu tragen. Den Oscar in 1970 als bester Hauptdarsteller erhielt übrigens der aus- und mit 1,93 Metern großgewachsene „Falke“ John Wayne für seine Rolle in „Der Marshal“ (siehe Wikipedia).
3. Spitz-findig-keit
DerStandard vom 24.3.2024 berichtet über die diesjährigen Salzburger Osterfestspiele, die mit La Gioconda von Amilcare Ponchielli, 1876 in der Mailänder Scala uraufgeführt, eine starbesetzte Rarität im Programm hatten.
„Natürlich: Anna Netrebko. Als La Gioconda hat sie in den Höhen und den Tiefen markant zu wirken. Und nach wie vor – bis auf kleine Ausrutscher – ist sie konkurrenzlos, wenn es darum geht, in der Höhe Lyrik mit delikater Pianissimokultur zu erwecken. In den Tiefen gewinnt ihre Stimme immer dann an Charakter, wenn sie mehr Mut zu Wut und Wahrheit zeigt und nicht primär auf Schönklang aus ist. Zum Schluss hin schafft es Netrebko, all ihre vokalen Qualitäten mit den szenischen Anforderungen zu einem packenden Porträt einer verletzten Frau zu formen, die mehr mordet, als diese Oper vorsieht.“
Nachgefecht
Im Artikel kein einziges Wort zum Ukrainekrieg oder zum Verhältnis Netrebko – Putin. Dafür umso mehr in 70 knackigen Kommentaren und Antworten. Hier nur eine kleine Auswahl.
– Typisch österreichisches Verhalten: unreflektiert Falschbehauptungen wiedergeben. Netrebko hat – unter anderem – bereits am 1. März 2022 zur Beendigung eines „sinnlosen Aggressionskriegs“ gegen die Ukraine aufgerufen…
– „Hat sie endlich Deutsch gelernt?“
„Die Dame ist seit 18 Jahren österreichische Staatsbürgerin. Zeit, etwas Deutsch zu lernen, hätte sie also gehabt.“
„Mich dünkt, die Oper ist italienisch… “ (zur Klarstellung – JG).
– „Dass sie jede der letzten Scalaeröffnungen bestritten hat und auch 2024 bestreiten wird, ist Ihnen wohl entgangen! (Und die „Gioconda“ kommt mit ihr im April in Neapel).“
– Zu den Fakten:
Sie hat an das Opernhaus in Donezk gespendet, nicht an die Separatisten.
Ihr Ausspruch, es gäbe keine Alternative zu Putin, war im Wahlkampf 2012. Da ist ihm Ö. auch noch in den A. gekrochen!
Sie hat sich mit den Worten: „Ich verurteile diesen Krieg gegen die Ukraine ausdrücklich“ distanziert.
Und hier geht es in berauschendem Tempo weiter.
#PreppoKompakt
Wird schon viel verlangt von einzelnen Künstlerinnen und Künstlern. Apropos typisch österreichisches Verhalten: unsere Bundeskanzlerin a.D. ist – wie in der #65 dokumentiert – schon zuvor durch die Ablehnung eines (fiktiven) gemeinsamen Essens mit Frau Netrebko, harmlos umschrieben, kräftig in den Fettnapf getreten. Schon in den #55 und #50 haben wir übrigens die sich aus dem russischen Überfall auf die Ukraine entstandene Problematik behandelt.