Spitz-findig-keit #189

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute schauen wir dafür kurz auf interessante Lebensläufe, die von den USA nach Polen, von Russland nach Deutschland und von Österreich nach Brasilien geführt haben. Allen drei gemeinsam sind übrigens jüdische Wurzeln. Darin eingeschlossen eine nüchterne Bewertung der gegenwärtigen Situation in Deutschland aus dem Munde eines klar denkenden Eidgenossen. Und schließlich Bilder vom vergangenen Donnerstag – unterlegt mit wenigen Worten – von einer sehr eindruckvollen, in jeder Hinsicht gelungenen Wanderung mit Freunden/Kollegen im faszinierenden Donautal (wie auch schon in der #135).

1. Spitz-findig-keit

Der diesjährige Friedenspreis des Deutschen Buchhandels wurde an Anne Applebaum verliehen. Die US-amerikanische Historikerin und Russlandexpertin, die seit 2006 in Polen lebt, nahm ihn heute vor einer Woche in der Frankfurter Paulskirche entgegen. Sie nutzte die Gelegenheit und rief zu anhaltendem Widerstand gegen Russlands Aggression auf, wie faz-net am 20.10.2024 (hinter Schranke) berichtete. Putins Gleichschaltung müsse gestoppt werden.

Irina Scherbakowa, die Mitbegründerin der in Russland verbotenen Menschenrechtsorganisation Memorial, die dafür in 2022 den Friedensnobelpreis erhalten hatte, lobte in ihrer Laudatio Applebaums „nüchterne, unsentimentale und illusionsfreie Sicht auf die russische Geschichte und auf das Putin-Regime“, die ohne romantische Klischees, wie der „geheimnisvollen russischen Seele“, auskomme. Seit dem Nobelpreis lebt sie im Exil in Deutschland. Die beiden Frauen kennen sich seit den frühen 2000er-Jahren.

Übrigens: Der 1933 in Britisch Indien geborene und in Cambridge/Massachusetts/USA sowie Cambridge/England lebende Amartya Sen hat sowohl den Nobelpreis – allerdings für Wirtschaft – in 1998, als auch in 2020 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhalten. Wir haben hier darüber berichtet und konnten ihm zudem sechs Fragen stellen und darauf Antworten erhalten – siehe Preppo fragt nach!

2. Spitz-findig-keit

Die NZZ vom 18.10.2024 mit einem beißenden Kommentar ihres Chefredakteurs Eric Gujer: „Deutschland verlottert. Wer sich einen Eindruck davon verschaffen will, kann ein Bahnticket kaufen oder durch die Innenstadt von Köln spazieren. Sie ist in den letzten dreissig Jahren heruntergekommen. Wenige Gehminuten von der himmelstrebenden Gotik des Domes und dem schicken Trendquartier des alten Rheinhafens entfernt verschlucken ungepflegte, schmuddelige Gassen den Besucher. Es ist die Tristesse einer Stadt, die inmitten des Überflusses verarmt. Und Berlin ist stolz darauf, die Favela der Republik zu sein.“

Und weiter: „Die ungeheuren Summen, die in Sozialausgaben und Industriepolitik fliessen, fehlen angesichts der Zwänge der Schuldenbremse an anderer Stelle. Die Mittel eines 500-Milliarden-Haushalts werden in einer Weise ineffizient eingesetzt, die an Verschwendung grenzt. Nach mir die Sintflut, denkt die ‚Ampel‘ wie vor ihr Merkel.“ Mit dem Hinweis, dass Deutschlands Schuldenquote mit rund 64 Prozent des Bruttoinlandprodukts weit niedriger ist als die von Großbritannien (97), Frankreich (110), den USA (125) oder Italien (141 Prozent des BIP), plädiert er dafür, die Schuldenbremse zu modifizieren.

Allerdings nicht ohne Leitplanken: „Die Mittel dürfen nur in produktive Bereiche fliessen: etwa in die Infrastruktur oder in Forschung und Bildung. Auch in die Sicherheit muss investiert werden angesichts einer radikal veränderten äusseren Bedrohungslage und einer Migrationspolitik, die zusätzliche Risiken im Innern geschaffen hat.“

Seine Prognose: „Den nötigen Paradigmenwechsel bringen die Bruchpiloten der ‚Ampel‘ nicht mehr zustande. An ihre Stelle wird in gut einem Jahr voraussichtlich eine Regierung aus CDU/CSU und SPD treten, allenfalls erweitert um einen dritten Partner. Im besten Fall findet sie die Kraft für die überfälligen Veränderungen. Noch sind der Mangel an Kompromissfähigkeit und der Hang zum Dogmatismus die Hauptübel. Aber nur mit der Bereitschaft, Denkschablonen infrage zu stellen, bekommt Deutschland wieder Auftrieb. Das Vorbild ist Schröders Agenda 2010.“ Soweit Eric Gujer.

3. Spitz-findig-keit

Heute vor 93 Jahren – am 27. Oktober 1931 – schreibt der 1881 in einem reichen jüdischen Wiener Bürgerhaus geborene Stefan Zweig (wir haben ihn schon in der #177 zitiert) in Salzburg einen lapidaren Satz in sein Tagebuch („Buch der Tagebücher“, S. 500 zum Text, zur Person S. 664; mehr zu Leben und Werk leicht zugänglich im Projekt Gutenberg-DE):

„Turnen wieder eingeführt: man muß den Cadaver sich halbwegs erhalten.“

Das mit dem Turnen funktionierte bei Zweig wohl gut 10 Jahre lang – plus drei Monate und 26 Tage genau. Über London und New York gelangte er, der uns die „Sternstunden der Menschheit“, viele leidenschaftliche Novellen und Erzählungen, auch Gedichte, beschert hat, zusammen mit seiner (zweiten) Frau Lotte nach Petrópolis bei Rio de Janeiro ins Exil. Um dort gemeinsam mit ihr „aus freiem Willen und mit klaren Sinnen“ am 22. Februar 1942 aus dem Leben zu scheiden.

4. Spitz-findig-keit

Vom Nebel in die Sonne. Über 8 km und 365 Höhenmeter beim Knopfmacherfelsen runter, durchs Tal, am Jägerhof die Donau trockenen Fußes überquert – einer nassgewordenen Wanderin Ratschläge erteilt -, rauf zum Schloss Bronnen und das Ganze wieder zurück. Vorbei an drei Höhlen – ohne die Fledermäuse in ihrer Ruhe zu stören -, bei milden Temperaturen im Sonnenschein über satte Wiesen, samt innerer Einkehr, mit viel Weitblick und interessanten Gesprächsthemen. Beim Vesper mit dabei „unser“ Lothar, berühmt, berüchtigt – von einigen auch gefürchtet – für seine spitz-findigen Bemerkungen.

Und hier geht es spitzfindig weiter.

#PreppoKompakt

Aufgepasst: Heute Nacht wird/wurde die (äußere) Uhr wieder einmal/immer noch um eine Stunde zurückgestellt. Auf faz-net am 23.10.2024 (hinter Schranke) erklärt nun selbst der Neurowissenschaftler Prof. Dr. Manuel Spitschan, Technische Universität München, die Zeitumstellung aus Sicht der Chronobiologie, die die Wirkung von Licht auf die innere Uhr und den Schlaf untersucht, für bedenklich. Die zweimalige Zeitumstellung im Jahr löse eine Art Mini-Jetlag aus, es gebe keinen sachlichen Grund dafür.

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