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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute, den Nikolaustag und die aufziehende Weihnachtszeit erahnend, geht es verdammt süß bei uns zu. Etwas sauer stößt dann aber doch noch ein neu vorgestelltes Buch auf.
1. Spitz-findig-keit
Hatte 2009 bei den – in unserer #159 beschriebenen – „Goldhasen“ für die Schweizer Traditionsmarke Lindt & Sprüngli noch der Tennisprofi Roger Federer als Markenbotschafter die Vermarktung zur „Goldgrube“ übernommen, so reichen dieses Mal ein paar Influenzer auf sozialen Medien, wie Tiktok, aus.
In der NZZ vom 16.11.2024 ist über die Dubai-Schokolade zu lesen. „Dabei stammt die Tafel gar nicht aus Dubai, sondern aus Aachen. Am dortigen Standort von Lindt wurden die begehrten Stücke handgefertigt. Der Premium-Anbieter hat diese Schokolade nicht erfunden. Er hat lediglich auf einen Trend reagiert, der 2021 in Dubai begann und Schokoladenliebhaber auf der ganzen Welt begeisterte: Damals experimentierte die britisch-ägyptische Unternehmerin Sarah Hamouda mit einem neuen Rezept: Schokolade, Pistazienmark, feingemahlene Sesamkörner und knuspriges Kadayif oder Engelshaar: süsse Teigfäden, die auch für türkische Baklava verwendet werden. Hamoudas Kreation schlug ein wie eine Bombe. Auf Tiktok verbreitete sich der Trend im Nu.“
Der Name „Do buy“ – unterschwellig fast schon ein Muss, ja ein Befehl!
2. Spitz-findig-keit
Auch die deutschen Printmedien sind früh auf diesen „Hype“ eingestiegen. So die FAZ/faz-net am 2.11.2024 mit der Beschreibung, am 13.11.2024 mit einem Kommentar und schließlich am 26.11.2024 mit einem Rezept zum Selbermachen der Dubai-Schokolade. Vermeidet Schlangestehen, erfreut Gaumen und Geldbeutel gleichermaßen, sofern es gelingt. „Alles hart werden lassen. Am Abend schmeckt die hausgemachte Dubai-Schokolade herrlich, am zweiten Tag noch besser.“ So Florentine Fritzen.
Und am dritten Tag ist nichts mehr da.
3. Spitz-findig-keit
Jetzt noch zur „Freiheit: Erinnerungen 1954 – 2021„*. Den in dieser Woche bei Kiepenheuer&Witsch erschienenen Memoiren von Bundeskanzlerin a.D. Angela Merkel, die, zusammen mit ihrer langjährigen Mitarbeiterin und Gefährtin Beate Baumann, 736 Seiten zum Preis von 42 Euro zu Papier gebracht hat. Faz-net vom 26.11.2024 schildert die Eindrücke von der zweistündigen Vorstellung des Buches im Deutschen Theater Berlin vor total/restlos ausverkauftem Hause: „Sie bereut nichts. … Der Abend gerät deutlich unterhaltsamer als das Buch. Und die Moderatorin Anne Will wird gelegentlich auch mal streng.“
Auch die NZZ war durch Susanne Gaschke im Theater vertreten: Nach einem „… netten Einstieg und vergleichsweise harmlosem Geplauder über Merkels DDR-Vergangenheit, über ihr Verhältnis zur Macht und über die Männer in der CDU ging Will ihre Interviewpartnerin plötzlich frontal an. … Will fragte, ob es nicht so sei, dass Merkel in ihrem Buch zwar kleine, belanglose Fehler zugebe, zu den grossen Fehlern ihrer Amtszeit aber schweige. Merkel fand das nicht. Sprach dann aber weder über ihre in Deutschland umstrittene Flüchtlingspolitik noch über ihren möglichen Beitrag zum Erstarken der Rechtspartei Alternative für Deutschland noch über ihr – im Rückblick betrachtet – problematisches Corona-Regime. Die Ex-Bundeskanzlerin versuchte … sich ausgerechnet mit einem Verweis auf die Klimapolitik aus der Affäre zu ziehen: Da habe sie mit demokratischen Mitteln nicht genug durchsetzen können.“
Auf faz-net vom 28.11.2024 legt Herausgeber Gerald Braunberger mit dem Hinweis auf den Kernkraftausstieg – als „… ein wichtiger Bestandteil einer weitgehend fehlgeleiteten Energiepolitik“ -, toleriert durch eine allgegenwärtige „German Angst“, den Finger in eine weitere offene Wunde.
Mechanikerin der Macht sowie Meisterin im Verdrängen
Soll Mann/Frau es vergessen oder verdrängen nennen? Bei ihrem Amtsnachfolger wohl ersteres, während sie, wie unhinterfragt ständig kolportiert, ja alles vom Ende her dachte.
In der NZZ von gestern findet sich der Spruch des SPD-Politikers Peter Struck, Verteidigungsminister im Kabinett von Gerhard Schröder, „Merkel sei eine gute Pilotin, der man sich bedenkenlos anvertrauen könne, wenn einem egal sei, wo man lande.“ Andreas Rödder beschreibt Angela Merkel treffend als „… eine virtuose Mechanikerin der Macht, die sich an Machbarkeit und Mehrheit orientierte.“ Und als Moderatorin „… des Bestehenden unter Verzicht auf Strategie und Führung …“, was sich mit den in 2008 einsetzenden „disruptiven Zeiten“ als gravierender Mangel herauskristallisiert hat.
Nach ihrer eigenen Einschätzung (siehe Bildergeschichte unten) hat sie „… ein sehr gutes Kurzzeitgedächtnis und ein etwas schlechteres Langzeitgedächtnis.“ Diese Konstellation hilft ganz offensichtlich beim Verdrängen.
Nachtrag von Vera Lengsfeld
Auf der Achse des Guten vom 1.12.2024 stellt Vera Lengsfeld ihr am 11. Dezember in den Handel kommendes Buch mit dem Titel „Ist mir egal: Wie Angela Merkel die CDU und Deutschland ruiniert hat„* vor (Achgut Edition, 200 Seiten, 25 Euro). Für Lengsfeld, alters-, herkunftsmäßig und politisch Zeitgenossin und damit eine ausgesprochene Merkel-Kennerin, ist jene „… eine der ersten Politikerinnen neuen Typus, denen es nicht um Land, Partei oder Sachthemen geht, sondern um die Karriere.“ Sie habe es sich „… zur Aufgabe gemacht, dem Merkel-Mythos die Realität entgegenzustellen.“ Früher oder später würden sich die Fakten als stärker erweisen „… als die Erzählungen, die man wie Girlanden um sie herumranken lässt, um die Wirklichkeit den Blicken der Öffentlichkeit zu entziehen.“
#PreppoKompakt
Meine persönlichen Bezüge zur Ministerin für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit Merkel sind in der #175 festgehalten. Die kritische Einstellung gegenüber der Politik von Frau Bundeskanzlerin habe ich hier im Blog u.a. im Zusammenhang mit der Pandemie am 11. Juni 2020 zum Ausdruck gebracht. Vor nunmehr gut drei Jahren haben uns zudem in der #36 die Kosten ihres a.D.-Büros regelrecht aufgewühlt. Wobei in der #38 fairerweise die Einschätzung der 16 Merkel-Jahre im Kanzleramt aus der Feder Eric Gujers, dem Chefredakteur der NZZ, goutiert wurde: „Sie gab dem Volk, was es wollte – Wer die Bilanz dieser Ära zieht, darf Ursache und Wirkung nicht verwechseln. Das Volk wählt Kanzler oder Kanzlerin, nicht umgekehrt. Wer so lange unangefochten regierte, hat dies in Übereinstimmung mit der Mehrheit getan.“ In der NZZ vom 26.11.2024 wird übrigens die Bildergeschichte zu Angela Merkel aus „Der andere Blick“ Eric Gujers – NZZ vom 8.12.2021 – leicht verändert neu aufgelegt.
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