Die Geld-Un-Ordnung

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Teil III: Dabei geht es um Geld und Energie. Der Bonner Finanzökonom Prof. Martin Hellwig stellte 2021 lapidar fest „Der Zinssatz ist kein Preis“.1) Seine Erläuterung dazu: „Die Interpretation des Zinssatzes als Preis ist problematisch. Im Gegensatz zum Preis ist der Zinssatz kein Austauschverhältnis. Die dogmengeschichtliche Entwicklung hinter dieser Diskussion deutet auf eine apologetische Funktion der Interpretation des Zinssatzes als Mietpreis für Kapital. Im Hintergrund steht die Frage, in welchen Einheiten Zinssatz und ‚Kapital‘ gemessen werden.“ Dieser Einstieg in eine ziemlich verzwickte Thematik der ökonomischen Theorie ist durchaus wagemutig. Hält denn der Beitrag was sein Titel verspricht und kann man damit womöglich sogar Ordnung in unsere Geld-Un-Ordnung bringen?

Die Geld-Un-Ordnung Teil III

Wirtschaftswissenschaftliche Fallstricke – Geld-Un-Ordnung ungelöst

Hellwig nutzt seine Ausführungen, u.a. um der Frage nach der Möglichkeit eines negativen Zinssatzes nachzugehen. Außerdem unternimmt er einem Ausflug in die historische Entwicklung der ökonomischen Theorien. Um den Entstehungsgeschichten zu einigen fehlerhaften Auffassungen über den Zins auf die Spur zu kommen. Er bleibt dabei jedoch allzu eng den Lehrmeinungen der neoklassischen Gleichgewichtsökonomik verbunden. Zwar interessant nachzulesen, aber leider wenig erhellend. Das konnte schon bei Paul Davidson im Beitrag „Why Money Matters: Lessons from a Half-Century of Monetary Theory“2), theoriegeschichtlich wesentlich detaillierter und schlüssiger dargestellt, nachgelesen werden.

Aus beiden Beiträgen gewinnt man allerdings dieselbe betrübliche Erkenntnis. Dass es der ökonomischen Wissenschaft bisher immer noch nicht gelungen ist, das „Transmissionsproblem“ zwischen der Realwirtschaft und der Geld-/Finanzwirtschaft zutreffend zu analysieren. Damit mangelt es auch weiterhin an Erfolg versprechenden Rezepten, die immer wieder auftretenden Disruptionen im gesamten wirtschaftlichen System zu mildern und eventuell zu verhindern. Schon J.M. Keynes hielt fest: „Häufig wird davor gewarnt, dass eine wissenschaftliche Betrachtung von Währungsfragen unmöglich ist, weil die Bankenwelt intellektuell nicht in der Lage ist, ihre eigenen Probleme zu verstehen.“3)

Die Soddy-Geldtheorie

Frederick Soddy versuchte nicht – wie es J.M. Keynes und die gesamte übrige Gesellschaft der professoralen Ökonomik weitgehend taten – festgestellte Marktungleichgewichte mithilfe der hergebrachten ökonomischen Theorie und mit der Suche nach Marktgleichgewichten zu beheben. Für Soddy galt es, das von ihm festgestellte „economic paradox of the age“ zu beseitigen! In seinem eigenen geldtheoretischen Ansatz4) sah er deshalb letztlich auch die Lösung des von ihm erkannten eigentlichen Übels der „Dismal Science“ (erbärmliche Ökonomische Wissenschaft).

Im Vorwort zur ersten Auflage seines Werks „Wealth, Virtual Wealth and Debt“5) schreibt Soddy. „Diese Arbeiten begannen in dem Bestreben, eine physikalisch begründete Konzeption für Wohlstand zu finden. Sie sollte mit den Gesetzmäßigkeiten der Thermodynamik vereinbar sein und nicht der Gefahr ausgesetzt werden, der Wechselhaftigkeit psychologischer Forschung zu verfallen.6) Im Laufe des Fortgangs der Arbeiten schälte sich allmählich eine neue Geldtheorie heraus und bildete mit der Zeit den Eckpfeiler des gesamten Überbaus. Da diese Theorie, entgegen anderen nicht den Preis mit dem Handelsvolumen oder den Produktionsmengen in Beziehung setzte, wurde erkennbar, dass die Problematiken der Anreize zu Produktionssteigerungen und der Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit zu unterscheiden sind von den monetären Problemen.“

Die Soddy-Gelddefinition

Seine Formulierung „Geld ist heutzutage das NICHTS, das man für ETWAS erhält, bevor man IRGENDETWAS dafür bekommen kann“7) klingt verwirrend. Dies erklärt Geld zwar sehr wortspielerisch, jedoch wenig einleuchtend. Die Befassung mit Geld fällt in unserer cartesianisch geprägten Wissenschaftswelt auch üblicherweise in die Domäne der ökonomischen Wissenschaften. Äußerst gewöhnungsbedürftig zudem, dass bei der Geld-Thematik ein, mit den Würden eines Nobelpreises ausgezeichneter Naturwissenschaftler eine durchaus ernst zu nehmende Rolle zu spielen vermag.

In diesem Zusammenhang ist noch die einführende Feststellung in einer Studie zur ökonomischen Netto-Energieanalyse bemerkenswert. „Die Anregung zu Netto-Energieanalysen geht auf die Idee des Nobelpreisträgers Sir Frederick Soddy zurück, mit der er vorschlägt, dass ‚Energie‘ eine bessere und zuverlässigere Einheit zur Bewertung wirtschaftlicher Vorgänge darstellt als Geld. Diesem Vorschlag wurde lange nicht nachgegangen. Die Idee, die Wirtschaft mithilfe energetischer Größen zu analysieren fand jedoch in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts wieder Beachtung. In Verbindung zu Studien zum Energie-Input zur Produktion von Kupfer und Aluminium, zum Recycling und vorwiegend zur Atom-Energie finden sich verschiedene Quellen für die Darstellung, dass Geld und Energie zwar auf denselben Wegen fließen, jedoch in entgegengesetzten Richtungen.“8)

Soddys Suche nach den Ursachen der Geld-Un-Ordnung und nach Lösungen

Die Suche nach den Ursachen und nach Lösungen der Instabilitäten und des Versagens der Finanz- und Geldsysteme hatte in den 1920/30er Jahren Hochkonjunktur. In Teil I ist schon kurz der „Chicago-Plan“ aus dem Jahr 1934 erwähnt worden. Als einer der geistigen Mit-Urheber dieses Vorhabens wird Frederick Soddy betrachtet.9) Sein vorrangiges Anliegen bestand darin, die Voraussetzungen und die Bedingungen für die Werthaltigkeit und Wertbeständigkeit von Geld zu (er)klären. Im Geld- und Finanzwesen sah er das maßgebliche Instrumentarium für die Herstellung sozialer Ausgewogenheit in der Gesellschaft.

In nahezu prophetischer Weise schrieb Soddy 1934 in seinem Buch „The Role of Money“. „Der Autor unternahm eine eigenständige Untersuchung der realen physischen Grundlagen jener Konventionen und Halbwahrheiten, die sich als Ökonomik ausgeben, Er tat, dies zu einem Zeitpunkt, da der Krieg die Aufmerksamkeit aller auf die gravierenden Gefahren lenkte, die einer wissenschaftlichen Zivilisation durch die Unermesslichkeit der zerstörerischen Kräfte drohen, welche die Wissenschaft in die Hände der Nationen gelegt hat, welche noch immer nur in Bezug auf die rohe Gewalt denkend agieren. … Vor allem blickte er auf diejenigen Grundlagen, die dem Verteilungsmechanismus zugrunde liegen – in einer monetären Zivilisation namentlich dem Geldsystem. Seine wichtigste Schlussfolgerung, von der die nachfolgenden Ereignisse ihm keinen Grund zum Abrücken gaben – und dies ist nun eine Binsenweisheit – war, dass nichts Dienliches getan werden kann, solange kein wissenschaftliches Geldsystem an die Stelle desjenigen tritt, das heute immer wieder zusammenbricht.“10)

Soddys Verbindung von Geld und Entropie

Für Geld besteht insoweit eine Notwendigkeit, um die durch die zunehmende Arbeitsteilung und den wachsenden Handel entstehenden Tauschvorgänge effizienter abwickeln zu können. Geld und seine Bedeutung beruhen auf menschlichen Konventionen. Es begleitet die durch Produktion und Konsum verursachten physikalischen Vorgänge, indem es Wert-Äquivalenzen schafft.

Soddys Überlegungen stützen sich auf die Gültigkeit des ersten Hauptsatzes der Thermodynamik (Energieerhaltungssatz) sowie auf das Entropiegesetz, den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik. Er betrachtete Geld im Unterschied zu den üblichen ökonomischen, soziologischen oder juristischen Ansichten, in einer gänzlich anderen Weise. Sein Ansatz entspringt den, damals noch neuen Erkenntnissen der chemischen Wärmelehre, heute Thermodynamik genannt. Im Beitrag hier bereits behandelt.

Er berücksichtigt die ehernen naturwissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten, die für das wirtschaftliche Handeln essentielle Grundlagen bilden. Denn Produktion und Konsum, die beiden Kernbereiche der Wirtschaft, stellen in ihren physikalischen Eigenschaften Umwandlungsprozesse von Material und Energie mit metabolischem Charakter dar. Der amerikanische Wirtschaftsphilosoph N. Georgescu-Roegen hat dafür den Ausdruck „Entropischer Transformationsprozess“ geprägt.11) Soddy wendet diese Erkenntnisse folgerichtig auf das menschliche Geldsystem an.

Kapital – bereits verbrauchtes Vermögen

Den Ausgangspunkt seines analytischen Vorgehens bildet der Begriff „Vermögen“ (Wealth). Er formuliert eine „Energie-Theorie des Vermögens“12) und definiert den in der Ökonomie höchst umstrittenen, chamäleonartigen Begriff Kapital, als „bereits verbrauchtes Vermögen“.13)

Wie kommt er dazu? Das zu erkennen, bedarf es einer weiteren Bedingung, nämlich die uneingeschränkte Akzeptanz seiner Aussage: „Die physikalischen Erhaltungssätze können auf den Vermögensbegriff angewendet werden“. Vermögen muss in erster Linie als physikalische Kategorie verstanden werden und erst danach ergibt es einen Sinn, sich den ökonomischen Aspekten zuzuwenden. Soddy bezeichnet Vermögen als „eine Form verkörperter brauchbarer Energie“.14) Es muss sich also um brauchbare oder verfügbare Energie handeln.

Die Möglichkeiten, materiellen Wohlstand zu generieren, führt Soddy auf eine einzige Quelle zurück: Auf den täglichen Strom an Sonnenenergie! Die weit überwiegende Zeit ihres irdischen Daseins verfügte die Menschheit ausschließlich über diese Energiequelle, wenn man von Windnutzung und Wassereinsatz zur Energiegewinnung einmal absieht. Seit gut 150 Jahren entnimmt sie aus einem, in Jahrmillionen durch natürliche Vorgänge aufgebauten Bestand fossile Rohstoffe, also Kohle, Erdöl, Erdgas oder Uran, und wandelt sie mithilfe von Energieeinsatz, in brauchbare Energie um. Auch diese, für unsere heutigen hochtechnisierten Zivilisationen höchst wertvollen Zutaten sind einstmals durch Sonnenergie entstanden. Außerdem fügt sie menschliche Arbeit hinzu, die ebenfalls in der Sonnenenergie ihren Ursprung hat. „Konsumierbare Vermögenswerte, die das Ende aller produktiven Tätigkeit darstellen, entsprechen Energie in konsumierbarer Form, während Investitionsgüter aus der Nutzung von Energie in einem früheren Stadium resultieren und unsere gegenwärtige Produktionskapazität erhöhen.“

Der entropische Faktor in der Wirtschaftsrechnung

Im Unterschied zu nahezu allen anderen Überlegungen, Vorschlägen und Theorien zu Geldordnungen hielt Soddy den Zins nicht für würdig, ihn eingehender als wissenschaftliches Thema zu diskutieren. Dazu äußerte er sich folgendermaßen: „Ich verurteile nicht den Aufbau neuer Industrien auf Kredit, nur in dieser einzigen Hinsicht – dass der Schuldner, der den Kredit erhält, … ein echtes Darlehen vom investierenden Publikum erhält, dafür, dass er Zins für die Nutzung des Geldes bezahlt.“15)

Entropischer Faktor

Ihn bewegte in diesem Zusammenhang ein gänzlich anderer „böser Bube“ – der „entropische Faktor“! Gemäß dem zweiten Hauptsatz der Thermodynamik, dem Entropiegesetz, muss „… bei jeder Umwandlung von Energie in einen anderen Zustand ‚ein bestimmter Preis‘ bezahlt werden. Dieser Preis besteht in einem Verlust an verfügbarer Energie, die in Zukunft für keine Art von Arbeit mehr genutzt werden kann. Diesen Vorgang bezeichnet man als Entropie, und zwar im Sinne einer Maßeinheit.“ D.h. „Entropie ist jene Energiemenge, die nicht mehr in Arbeit umgewandelt werden kann.“16)

Stromgröße

Dieser Preis, der „entropische Faktor“ muss in jeder, sich als vollständig bezeichnenden Wirtschaftsrechnung als erste Position berücksichtigt werden! Buchhalterisch gesehen mit einem, jährlich immer stärker werdenden Minuszeichen versehen. Übersetzt in die Sprache der heutigen Ökonomik bedeutet dies: Anders als es die gängige Auffassung ausdrückt, handelt es sich bei Kapital nicht um Bestandsgrößen, sondern um „Stromgrößen“ – mit negativen Vorzeichen. Eine solche Auffassung allerdings ist, für die Denk-, Sicht- und Sehweisen der Ökonomik bis auf den heutigen Tag, „systemsprengend“!


Fußnoten

1. Der Zinssatz ist kein Preis, Wirtschaftsdienst 2021, Heft 11, S. 862–869

2. Davidson, P., Why Money Matters: Lessons from a Half-Century of Monetary Theory, Journal of Post Keynesian Economics, Vol. 1, No. 1, Autumn, 1978, S. 46-70

3. Vgl. Keynes, J. M., A tract on monetary reform. The Collected Writings of John Maynard Keynes, Volume IV, Cambridge University Press for the Royal Economic Society, 1971, 2013. Preface, S. xiv: „One is often warned that a scientific treatment of currency questions is impossible, because the banking world is intellectually incapable of understanding its own problems.“

4. Vgl. Federmann, H. & Kapp, Ph., Frederick Soddy – Wegbereiter einer naturwissenschaftlichen Ökonomie. Roßdorf: Isotope Media, 2021, sowie den Beitrag „Es geht um Energie“ vom 24.6.2022 hier im Preppo-Blog.

5. Soddy, F., Wealth, Virtual Wealth and Debt, 1933, 2. Aufl.

6. Übrigens ein nicht ganz unberechtigter Seitenhieb auf J.M. Keynes und sein finanzökonomisches Werk „Treatise on Money“.

7. Im Originaltext „Money now is the NOTHING you get for SOMETHING before you can get ANYTHING.“ Soddy, F., The Role of Money“, London 1934, Kapitel 2 „The Theory of Money virtual Wealth“, What is Money? S. 24

8. Net energy analysis of different electricity generation systems, IAEA, Vienna, 1994, IAEA-TECDOC-753 ISSN 1011-4289 July 1994

9. The Chicago Plan Revisited, IMF Working Paper, by Jaromir Benes and Michael Kumhof, Authorized for distribution by Douglas Laxton, August 2012 (hier als pdf abzurufen).

10. Vom Sinn des Geldes, Deutsche Fassung aus dem englischen Original von The Role of Money, bei George Routledge and Sons, London 1934. ISBN Paperback 978-3-9822735-8-7, © 2022 Isotope Media

11. Heutzutage wird dafür immer noch fälschlicherweise das Bild vom „Wirtschaftskreislauf“ verwendet. Siehe dazu nur Federmann, H., Die Wirtschaft ein Entropischer Transformationsprozess, academia.edu (hier als pdf abzurufen).

12. Vgl. dazu: Vom Sinn des Geldes. a.a.O., S. 19

13. Soddy, F., Wealth, Virtual Wealth and Debt, a. a. O. Addition to the second edition, Capital „already consumed wealth“.

14. Der Ausdruck findet sich in der Übersetzung S. 26. Inhaltlich vgl. Wealth, Virtual Wealth and Debt, Chapter Five, insb. Abschnitt „The Physical Laws of Conservation can be applied to the Conception of Wealth.“

15. Zit. nach Million, C., Frederick Soddy und die Physik des Schuldenmachens, in: Zeitschrift für Sozialökonomie, 151/2006, S. 31-36, hier S. 33

16. Ebda. S. 34f.

Und hier geht es weiter zur #109.

#PreppoKompakt

„Entropie“ wird häufig – wie hier auf Wikipedia – auch in den Zusammenhang mit „Unordnung“ gebracht. Man ist geneigt anzunehmen, dass es infolge der ungeheuer gigantischen Zunahme der wirtschaftlichen Vorgänge und der damit verbundenen, entropisch bedingten Veränderungen um die Aussicht, eine „Geldordnung“ herstellen zu können, schlecht bestellt ist. Auf jeden Fall, solange der entropische Charakter der Geldvermehrung nicht in Betracht gezogen wird, bleibt es bei der Geld-Un-Ordnung!

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