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Spitz-findig-keit #163

11 minutes

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute geht es dafür um seinen Geburtstag, der sich letzten Montag zum dreihundertsten Mal gejährt hat. Und wir geben hier natürlich der echten Spitzfindigkeit samt gesundem Menschenverstand den Vorzug. Kant, Kernspaltung und Kernfusion sind die Stichworte.

1. Spitz-findig-keit

Immanuel Kant wurde am 22. April 1724 im ostpreußischen Königsberg, seit 1946 das russische Kaliningrad, geboren. Mit den gegen Ende seines Jahrhunderts herausgebrachten drei Büchern „Kritik der reinen Vernunft“, „Kritik der praktischen Vernunft“ und „Kritik der Urteilskraft“ wurde er zu einem der bedeutendsten Philosophen der Aufklärung.

Wozu Kant lesen

Die Feuilleton-Redaktion der F.A.Z. hat auf die Frage „Wozu noch Kant lesen?“ folgende Antworten formuliert (Der Unendliche I, hier, und II, hier – sehr lesenswert, bei uns nur drei stark verkürzte Appetithappen).

Kants Freude am Wortgefecht mit Florett und Säbel

Kant nahm es mit einem 1793 publizierten Aufsatz „… gleich mit drei damals hochberühmten Denkern auf: Thomas Hobbes, Moses Mendelssohn und Christian Garve. Letzterer … hatte gerade erst dessen ‚Kritik der Urteilskraft‘ als praxis­untauglich abgetan. Das ließ Kant nicht auf sich sitzen.“ Nachdem „… er Garve lächerlich gemacht, Hobbes’ Staatsdenken für potentiell despotisch und Mendelssohns Überzeugung von der Unverbesserlichkeit des Menschengeschlechts für defaitistisch erklärt hat, (nahm er – J.G.) … seine früheren französischen Anreger Rousseau und den Abbé von St. Pierre aufs Korn … mit der Bemerkung, deren Theorie eines all­gemeinen Völkerstaats ‚gilt doch nicht für die Praxis‘. … Ich glaube nur an Theorien, die ich selbst aufgestellt habe – das ist Kants Maxime. Denn nur diese Theorien … ruhten auf Vernunftgründen.“

Russlands Kant-Kritik

Der 37 Jahre alte Gouverneur von Kaliningrad, Anton Alichanow, erklärte im Februar bei einem Politologenkongress „… das Denken Kants, das im Westen als Quelle von Rechtsstaat, Freiheit, ja der EU und der UNO gelte, sei für das ‚derzeitige globale Chaos‘ und speziell für den militärischen Konflikt in der Ukraine direkt mitverantwortlich.“ Er beruft sich dabei auch auf den georgischen Denker Wladimir Ern (1882 – 1917), der in einer Rede im Oktober 1914 mit dem Titel „Von Kant zu Krupp“ ersteren zum Wegbereiter des deutschen Militarismus abgestempelt hat, „… weil seine ‚Kritik der reinen Vernunft‘ den menschlichen Willen von Gott abgeschnitten habe.

Heute sei es vor allem Kants kategorischer Imperativ, der nobel klinge …, der aber vom aggressiven Westen aus seiner Position der Stärke missbraucht worden sei, so Alichanow. Denn der Westen expandiere, betrüge, erfinde 666 Geschlechter, hetze Brüder gegeneinander auf, fühle sich dabei aber im Recht, weil er anderen das Gleiche zugestehe – auch wenn die das weder könnten noch wollten.“

Kritik der reinen Vernunft

Vorwort und Haupttext in der „Kritik der reinen Vernunft“ klaffen gewolltermaßen stilistisch weit aus­einander. In der ersten Auflage 1781 schrieb Kant, „… er sei lange unschlüssig gewesen, ob er neben der ‚diskursiven Deutlichkeit‘ auch eine ‚intuitive (ästhetische)‘ habe anstreben sollen. Der Übersichtlichkeit halber habe er sich jedoch dafür entschieden, ‚Beispiele und Erläuterungen‘ fast vollständig zu tilgen, da diese ’nur in populärer Absicht notwendig‘ seien.“ Heinrich Heine kritisierte, Kant habe durch diesen schwerfälligen, steifleinenen Stil des Hauptwerks sehr vielen Schaden gestiftet. Auch weil seither jeder Philosoph meine, er müsse unlesbar sein.

Kants Vorrede zur ersten und auch noch zur zweiten Auf­lage von 1787 „… ist gespickt mit Zitaten, Bonmots und geistreichen Personifikationen der Vernunft. Kant war in Königsberg berühmt für seine unterhaltsamen Tischgesellschaften, in denen von Philosophie möglichst wenig die Rede sein durfte. Und an solch einer Tischrede kann der Leser sich einbilden in der Vorrede teilzunehmen. Mit treffsicherer Anschaulichkeit, viel Lebensnähe und einem Gespür für Dramaturgie zieht Kant allmählich den Vorhang zur ‚Kritik der reinen Vernunft‘ empor, die er mit einem ‚Gerichtshof‘ vergleicht – wie wird die Verhandlung wohl ausgehen?“

Also merken wir uns: „Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen“!

Wege zu Kant

Und DerStandard vom 21.4.2024 gibt Hilfestellung dabei, wie Kant am besten zu lesen ist. „Wie nähert man sich einem Denker an, der zwar immer das große Publikum im Auge hatte, dabei aber doch eine enorme Anstrengung des Begriffs erfordert? An den Primärtexten führt kein Weg vorbei. Aber es unbegleitet mit der Kritik der reinen Vernunft aufzunehmen kann schnell zu Frustrationen führen.“

Als gangbarer Weg zu Kant wird eine umfassende Studie von Lea Ypi eingeschätzt, die sich in „Die Architektonik der Vernunft. Zweckmäßigkeit und systematische Einheit in Kants ‚Kritik der reinen Vernunft‚“* (Suhrkamp, Berlin 2024, 245 Seiten, 22,70 €) mit einem Kapitel aus der Kritik der reinen Vernunft beschäftigt. Einem „… der dichtesten, rätselhaftesten, ja zuweilen geradezu undurchdringlichen Texte in Kants gesamtem veröffentlichten Werk. … Ypi rekonstruiert dann geduldig, warum Kant für seinen Anspruch, dass die Vernunft in ihrer theoretischen wie praktischen Ausprägung einheitlich sein muss, eine Architekturmetapher gebraucht.“

Der beste Weg zu Kant wird im DerStandard vom 11.4.2024 im Buch „Der bestirnte Himmel über mir. Ein Gespräch über Kant„* (Propyläen, Berlin 2024, 352 Seiten, 27,50 €) zwischen Daniel Kehlmann und Omri Boehm gesehen. „Das Ergebnis ist gut lesbar und lohnende Lektüre. Denn Boehm und Kehlmann schaffen es, das Denken von Kant im Detail so zu diskutieren, dass man die historischen Konstellationen verstehen lernt, aus denen Kant kam – im Wesentlichen waren das die frühneuzeitlichen Fragen bei Spinoza und Leibniz, die das Verhältnis von Gott und Welt zu klären versuchten. Im Hintergrund steht dabei immer das, was als abendländische Metaphysik geläufig ist: ein scheinbar rationales System, das nach den Logiken des Gott-Welt-Verhältnisses suchte und dafür viele Voraussetzungen einführte, die den Vernunftansprüchen von Kant nicht genügten.“

2. Spitz-findig-keit

Über der Grenze

Gleich in zwei Artikeln berichtet die NZZ am 20.4.2024 (hier und hier) über längere Laufzeiten und mögliche Risiken in den Kernkraftwerken der Schweiz. „Als das AKW Leibstadt am 15. Dezember 1984 den Betrieb aufnahm, ging man davon aus, dass nach 40 Jahren Schluss ist. Das wäre in fast genau acht Monaten. Doch inzwischen sieht das ganz anders aus. Die zwischen 1974 und 1984 gebaute Anlage wird deutlich länger laufen. … Und nicht nur sie. Auch für die anderen Schweizer Kernkraftwerke gilt: 60 ist das neue 40 – mindestens. Selbst die Anlage in Beznau, eines der ältesten AKW der Welt, prüft seit kurzem eine Betriebszeit von über 60 Jahren. Hört man sich in der Branche um, heisst es, für die Anlagen in Leibstadt und Gösgen – die beiden grössten Schweizer Kernkraftwerke – seien gar Laufzeiten von 80 Jahren machbar.“

Im zweiten NZZ-Artikel wird berichtet, dass derzeit weltweit kein Kernkraftwerk mehr als 55 Betriebsjahre hinter sich habe. „Laut Andreas Pautz, Leiter des Forschungsbereichs Nukleare Energie und Sicherheit des Paul-Scherrer-Instituts, versteht die Wissenschaft inzwischen aber sehr gut, wie die Materialien in Kernkraftwerken genau altern und welche Rolle zum Beispiel Phänomene wie Korrosion und Materialermüdung spielen. Laut Pautz besteht darum ein Konsens darüber, ‚dass im Langzeitbetrieb keine neuen Phänomene auftreten, die dem Betrieb von sechzig und mehr Jahren grundsätzlich im Weg stehen würden‘. Die amerikanische Nuklearaufsichtsbehörde hat daher bereits sechs Kernkraftwerken eine Laufzeitverlängerung bis achtzig Jahre gewährt, bei weiteren elf Anlagen wird dies derzeit geprüft.“ So Jürg Meier in der NZZ.

Nur zur besseren Orientierung. Die Kernkraftwerke Leibstadt, Beznau und Gösgen sind von Waldshut/Tiengen und der Grenze zu Deutschland auf der Straße ganze 10, 15 bzw. 52 km weit entfernt.

Hinter der Grenze

Am 25.4.2024 war im NZZ Newsletter unter Bezugnahme auf einen Bericht des Magazins Cicero im Zusammenhang mit der Abschaltung der letzten drei deutschen Kernkraftwerke am 15. April letzten Jahres von Manipulation im Ministerium für Wirtschaft und Energie zu lesen. Gemäß Auswertung des per Gericht eingeklagten internen Schriftverkehrs aller Beteiligten hätten ranghohe Ministerialbeamte der Grünen die eigenen Fachleute ignoriert. „In einigen Fällen verdrehten sie ihre Argumente ins genaue Gegenteil. Plötzlich war es aus Sicherheitsgründen nicht mehr vertretbar, die Meiler weiterzubetreiben. Dabei hatten die Fachleute vorher das genaue Gegenteil gesagt. Sie hatten keine Bedenken, Atomkraftwerke noch für Jahre länger am Netz zu lassen. Und in einem Fall sollen die Informationen Bundesminister Habeck nicht einmal erreicht haben. Wenn das stimmt, dann wurden ihm also Fakten vorenthalten.“

Den Minister abzuschirmen und von Schuld freizusprechen dürfte nicht helfen, auch nicht nachträglich den bereits im Mai 2023 aus anderen Gründen erfolgten Abgang seines Staatssekretärs Patrick Graichen als ausreichend zu erachten. Hätte Habeck echtes Format, dann wäre jetzt der Zeitpunkt gekommen, die Verantwortung für den ganzen Schlamassel zu übernehmen und „abzudanken“. Dann könnte er wieder zusammen mit seiner Frau wie in 2001 ein Katastrophen-Buch herausbringen. Das dann verfilmt ins öffentlich-rechtliche Programm käme – so wie gestern Abend zur besten Sendezeit in der ARD (hier drei Monate lang anzuschauen). Vermutlich wird aber erst die Bundestagswahl im Herbst 2025 ihm und uns diese Chance eröffnen. Übrigens haben die Ampel-Frauen und -Männer im Bundestag, wie hier festgehalten, mit Pingpongspielen, Spiegelfechtereien und Proformaveranstaltungen – unseriös durch tricksen und täuschen – uns den Verbleib auf diesem „deutschen Sonderweg“ des Atomausstiegs eingebrockt.

3. Spitz-findig-keit

Laut faz-net vom 22.4.2024 will Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) die Energiegewinnung aus Kernfusion in einem eigenen Gesetz regeln. „Kraftwerke auf der Basis von Kernfusion gelten als Zukunftstechnologie, die die Energieprobleme der Menschheit lösen könnte – allerdings besteht diese Hoffnung schon seit Jahrzehnten. Als erstes Land weltweit soll Deutschland nun nach dem Willen der Ministerin die Rahmenbedingungen dafür gesetzlich regeln“, um Rechts- und Planungssicherheit für mögliche Investoren und Unternehmen zu schaffen. „Die Ministerin zeigte sich optimistisch, dass ’noch vor Mitte des Jahrhunderts‘ ein wirtschaftlich arbeitendes Fusionskraftwerk in Deutschland ans Netz gehen könne.“

Eine Aussage zur Kernspaltung als Brückentechnologie bleibt auch die FDP-Dame dabei schuldig.

Und hier geht es gleich schicksalhaft weiter.

#PreppoKompakt

Eine ernüchternde Bilanz zum runden Wiegenfest. Der von Immanuel Kant propagierte gesunde Menschenverstand hat es heutzutage schwer, zu viele unserer Entscheider sind frei davon. Sie lassen sich lieber von ideologischen Überzeugungen leiten und scheuen die argumentative Auseinandersetzung mit Andersdenkenden. Dabei ist gerade dies eine Grundvoraussetzung der gelebten Demokratie. Ausgrenzung spaltet die Gesellschaft. In Bezug auf die sichere und nachhaltige Energieversorgung allerdings könnten wir die Spaltung der Kerne gut brauchen. Zumindest bis die Kernfusion einmal richtig funktioniert. Aber die grünen Ideologen und Strippenzieher im Bundeswirtschaftsministerium haben das mit Ignoranz und Verdrehungen zu verhindern gewusst.

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