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Spitz-findig-keit #180

9 minutes

Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute geben wir uns dafür mit Sprachpanschern ab, lernen, dass es auf jeden Buchstaben ankommt, und versuchen in einer Art kurzem Nachruf mit einer sehr traurigen Angelegenheit fertigzuwerden.

1. Spitz-findig-keit

Die neueste Ausgabe der Sprachnachrichten des Vereins Deutsche Sprache (VDS), Nr. 103 (III/2024), läßt auf S. 25 die Katze aus dem Sack: Prof. Dr. Ursula M. Staudinger gewinnt den – seit 1997 verliehenen, nicht so sehr begehrten – Titel des Sprachpanschers des Jahres 2024. Mit 33 % der Stimmen der VDS-Mitglieder lag sie knapp vor der Leipziger Buchmesse mit 29 %, der Hamburger Kunsthalle mit 17 % sowie der staatlich geförderten „HateAid“ und der Tierrechtsorganisation PETA, beide abgeschlagen.

„Denglisch steht Uni nicht gut zu Gesicht“ – lautet der an die Adresse von Professorin Staudinger gerichtete Titel. Unter der Rektorin der Technischen Universität Dresden wurde im April zu einem „E-Teaching-Day“ mit anschließender „Fuck-Up-Night“ eingeladen. „Sprache muss verständlich bleiben, vor allem an Universiäten, wo Menschen mit verschiedenen gesellschaftlichen Hintergründen zusammenkommen,“ so der VDS-Vorsitzende Prof. Walter Krämer. Die Außendarstellung der Universität sollte zudem professionell sein.

In den #115 und 129 hatten wir schon über den Sprachpanscher des Jahres 2023 berichtet. Auffällig ist, wie die Frauen aufholen, denn Ursula Staudinger voraus gingen unmittelbar Bettina Stark-Watzinger, Ulrike Lembke und Ursula von der Leyen. Letztere hat übrigens als einzige den Titel zweimal eingeheimst – 2014 und 2021 – und war, wäre man päpstlicher als der Papst, auch die erste Titelträgerin. Denn als Jil Sander in 1997 die Negativ-Auszeichnung erhielt, hieß sie noch „Sprachschuster“ und wurde erst im Jahr darauf abgeändert (Liste der Preisträger).

2. Spitz-findig-keit

Auf der gleichen Seite der Sprachnachrichten findet sich eine putzige Erzählung über die Tücken der englischen Sprache. Rüdiger Baumgärtner berichtet über ein Gespräch, auf das er sich mit vier jüngeren Mitarbeitern eines medialen Marktes eingelassen hat, während diese dabei waren, ein riesiges Banner an der Außenseite des Firmengebäudes anzubringen.

Nach Wikipedia bezeichnet „Meet and greet … arrangierte Treffen mit einer berühmten Person, welche dabei Gelegenheit für ein kurzes persönliches Gespräch bietet.“ Es „… steht oft auch zu Beginn eines Treffens oder einer Tagung, um die Teilnehmer ungezwungen kennenzulernen.“ Stünde hier nun auch noch Meat – ein echter Doppelfehler, wie beim Tennis -, dann hätte man mit gutem Willen das Ganze auch als Einladung zum Grillen mit tollem Fleisch interpretieren können. Einziger Einwand, noch viel zu früh im Jahr.

3. Spitz-findig-keit

Es geht um Dietrich Hahn, den einzigen Enkel des Nobelpreisträgers Otto Hahn, wir hatten ihn in der #57 schon einmal vorgestellt. Seinem vorangestellten Namen Johannes gab er – wohl aufgrund des Wohlklangs – in der ihm seit seiner Jugendzeit in Rom vertrauten italienischen Sprache den Vorzug.

In einer umfänglichen E-Mail, die er am 9. April 2022 an Freunde verschickt hat, ist – hier auszugsweise wiedergegeben – zu lesen, „heute vor 100 Jahren … wurde mein Vater Hanno Hahn in einer Klinik in Berlin-Charlottenburg geboren. Die Freude seiner Eltern Otto und Edith Hahn war riesengross, denn sie hatten eigentlich die Hoffnung auf ein gemeinsames Kind bereits aufgegeben – ihre Hochzeit lag schon neun Jahre zurück. … Anfang der 1940er Jahre wurde Hanno zum Militär eingezogen, erhielt eine Offiziersausbildung und wurde danach gleich an die Ostfront geschickt und als Panzerkommandant eingesetzt … .

Verwundung

1944 wurde er in der Ukraine schwer verwundet und überlebte nur durch eine sofortige Amputation seines linken Armes, die von einer im Lazarett stationierten erfahrenen Operationsschwester durchgesetzt wurde … . Als Hanno aus seiner Narkose erwachte stand just in diesem Moment die Schwester an seinem Bett und sah in seine Augen. Er hat später oft erzählt, dass er damals zuerst dachte tot zu sein und jetzt im Himmel wieder aufzuwachen als er in das Gesicht von ‚Schwester Ilse‘ schaute, er hielt sie für einen ‚lebenden Engel‘. …

Heirat

Hanno und ‚Schwester Ilse‘, seine Lebensretterin, heirateten nach dem Krieg 1945 in Tailfingen, Württemberg, und es begann eine glückliche Zeit für beide – die sie nach Frankfurt am Main führte und im April 1946 mit der Geburt ihres Söhnchens [eben Dietrich Hahn] gekrönt wurde. … Aber das Schicksal bereitete der Familie … im Sommer 1960 einen bitteren Schlag: ein Autounfall in Südfrankreich setzte dem Leben von Hanno und Ilse Hahn ein vorzeitiges Ende – Hanno starb mit 38 auf der Stelle, seine geliebte Ilse mit 40 nur wenige Tage später.“

Dietrich Hahn

Der eben am 14. April 1946 in Frankfurt geborene Dietrich, hat bei seinen Besuchen in Albstadt immer augenzwinkernd darauf verwiesen, er sei in Tailfingen gezeugt worden. Nachdem das Kaiser-Wilhelm-Institut für Chemie – dem Arbeitsplatz Otto Hahns – in Berlin im Februar 1944 ausgebombt wurde, war es in drei leerstehende Textilfabriken auf die Alb ausgelagert worden. Otto und Edith Hahn bezogen zwei Zimmer in der Villa eines Textil-Fabrikanten in der Panoramastraße 20, wo sie bis zum Kriegsende wohnten und auch von Hanno und Ilse Besuch erhielten.

Die ersten beiden Bilder sind im August 2013 bei meinem Besuch in Thailand aufgenommen, wo Dietrich zusammen mit seiner Frau Niu lebte. Die nächsten im Juni 2014 am Rande des Richtfestes der Albstädter Technologiewerkstatt, beim Auftakt zum gewohnt lebhaften Vortrag über Otto Hahn im Maschenmuseum und bei der innigen Verabschiedung nach einer gemeinsamen Feier. Das letzte Bild ist zugleich das vorletzte, das Dietrich im Februar 2023 zum Valentinstag – in Erinnerung an die guten Zeiten mit Niu – an seinen Freundeskreis verschickt hat.

Zuvor hielt er diesen regelmäßig auf dem Laufenden, insbesondere auch mit drolligen Karten zum Weihnachtsfest. Und im Zusammenhang mit der von ihm in 1988 gestifteten Otto-Hahn-Friedensmedaille. Zu seinen späten Schicksalsschlägen zählen ein Hirntumor, der in 2018 operativ entfernt werden konnte, und das bis zur Scheidung reichende Zerwürfnis mit Niu. Und wohl auch eine schleichende Vereinsamung, bevor er im Juli vor wenigen Wochen 78-jährig verstorben ist. Der letzte persönliche Kontakt kam im April diesen Jahres zustande, wo ihn eine alte Freundin aus Offenbach vor Ort besucht hat. So weit man weiß, ist die Deutsche Botschaft in Bangkok informiert und in alles weitere involviert.

Und hier geht es gewohnt spitzfindig weiter.

#PreppoKompakt

Ein Mensch, großzügig gegenüber allen. Der seinen Großeltern und Eltern ein Denkmal gesetzt hat. Indem er auf vielfältige Art und Weise die Erinnerung an sie wachhielt. Weltoffen, kommunikativ und risikobereit, auch große Sprünge nicht scheuend. Seinem Freundeskreis wird Dietrich Hahn – auch Giovanni Gallo gerufen – so im Gedächtnis bleiben.

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