Spitz-findig-keit #188

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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.

Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!

Spitzfindigkeiten zuhauf!

Vorbemerkung

Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.

Heute geht es dafür um Bücher, schwarze und solche mit Auszeichnung, sowie um die neuere deutsche Geschichte, an der gerade auch die Schwarzen, sprich Politiker aus der CDU/CSU, kräftig mitgeschrieben haben. Und es gilt – ungewohnterweise in einem vierten Punkt – die außergewöhnliche Begegnung mit einem Streichinstrument von Stradivari festzuhalten.

1. Spitz-findig-keit

Schwarzbuch zum schwarzärgern, weil in 100 Fällen Steuergelder sinnlos verschwendet werden? Der Bund der Steuerzahler (BdSt) hat am 9.10.2024 die 52. Ausgabe seines Klassikers für 2024/2025 herausgegeben. Es ist kostenlos beim BdSt entweder gedruckt/print oder papierlos/pdf zu bestellen.

Die Fälle reichen von teurer Bürokratie, Brücken, Straßen, teuren Dienern, Annehmlichkeiten und Fehlern, Wirtschaftsflops, bis hin zu drohender Verschwendung. Sie sind in den Bundesländern, als auch auf Bundesebene, wie auf der kommunalen Ebene angesiedelt, sorgfältig recherchiert und auf 190 Seiten festgehalten.

Ärgern und aufregen nein, sich informieren und regen ja.

2. Spitz-findig-keit

Der Bundesminister a. D. Theo Waigel war heute vor einer Woche in Albstadt, um mit zehntägigem Abstand den Tag der Deutschen Einheit im gut besuchten Foyer der Zollern-Alb-Halle zu begehen. Thomas Bareiß, unser MdB, erwähnte in der Begrüßung den stets vollen Terminplan seines 85-jährigen Wunschredners aus der CSU-Schwesterpartei. Über die Traditionsveranstaltung der Albstädter CDU – hier im Blog die Jahre 2021, 2022 und 2023 – hat Carmen Soudani in die „Schwäbische“ vom 14.10.2024 wie folgt berichtet.

Der Weg zur Wiedervereinigung

„Waigel habe zusammen mit Helmut Kohl und Wolfgang Schäuble den Weg zur Wiedervereinigung maßgeblich möglich gemacht, so Bareiß. Mehr als 30 Jahre war Waigel Mitglied des Deutschen Bundestages und von 1989 bis 1998 Bundesfinanzminister, ‚Architekt‘ der deutschen und europäischen Einheit und Namensgeber des Euro. … Was sich 1989/1990 mit der Wiedervereinigung Deutschlands, der Vereinigung Europas, der Auflösung des Warschauer Pakts, der Auflösung der Sowjetunion, der Rückführung all der Waffen …“ vollzogen habe, „… sei wie ein Wunder der Geschichte, so Waigel.“

Die Kosten der Wiedervereinigung

„Unsere Zeit sei herausfordernd … . Sie sei schwierig und der ewige Friede sei nicht eingetreten. Aber wir in Deutschland, sagte er, sollten dem Herrgott und Schicksal danken, was sich seit 1989 in der Bundesrepublik Deutschland und in Europa ereignet hat.“ Die Kosten der Wiedervereinigung Deutschlands in den letzten 30 Jahren bezifferte Waigel mit 2,5 Billionen Euro, gleich 5000 Milliarden DM, was jedes Jahr 4 bis 5 Prozent des Bruttoinlandproduktes ausgemacht habe. „So eine Leistung habe kein anderer demokratischer Staat in den letzten Jahrzehnten erbracht. Deshalb habe man allen Grund … in Zuversicht anstatt in Furcht zu leben.“ Soweit Carmen Soudani.

Die Mauer in den Köpfen

Von Reiner Kunze, der in der Nähe von Passau lebt und mit dem Theo Waigel eine lange Freundschaft verbindet, (re)zitierte er die ersten Worte des Gedichts „die mauer (zum 3. oktober 1990) Als wir sie schleiften, ahnten wir nicht, wie hoch sie ist in uns“. Und das, kurz wie es ist, wie folgt endet: „Wir hatten uns gewöhnt an ihren horizont Und an die windstille In ihrem schatten warfen alle keinen schatten Nun stehen wir entblößt jeder entschuldigung 1990.“

Dies spielt auch auf die Gefühlswelt vieler an, ein zu kurz gekommen sein, das heute noch in den Köpfen herumgeistert. Ebenso in Bezug auf die Verfassungsfrage. Waigel legte überzeugend dar, dass man in den rund zwei zur Verfügung stehenden Jahren keine neue Verfassung – besser als das Grundgesetz der Bundesrepublik – hätte schaffen und beschließen können. Der Zeitdruck, vorgegeben durch den absehbaren Machtverlust/Niedergang von Michail Gorbatschow – von März 1985 bis August 1991 Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und von März 1990 bis Dezember 1991 deren letzter Staatspräsident -, habe schnelles, konsequentes Handeln erforderlich gemacht. Nur der unbeirrbare Wille von Bundeskanzler Helmut Kohl mit seinem 10-Punkte-Programm habe dies ermöglicht.

Die Nachbildung einer historischen Waage aus der Onstmettinger Manufaktur, mit kräftigem Applaus für Dr. Theo Waigels eindrückliche Botschaft zum Tag der Deutschen Einheit 2024, überreicht von Thomas Bareiß.

Zu den realen Ausmaßen der Mauer in den Köpfen

Die NZZ vom 10.10.2024 vermittelt dazu ein Stimmungsbild. „34 Jahre sind seit der Wiedervereinigung vergangen. Aber die DDR, der ehemals sozialistische Osten Deutschlands, ist in den Köpfen vieler Leute immer noch allgegenwärtig. Wer durch Brandenburg, Sachsen, Thüringen fährt, um zu verstehen, warum hier die in Teilen rechtsextreme AfD so erfolgreich ist, hört überall Anekdoten von früher. Nicht von den Foltergefängnissen, dem Schiessbefehl an der Grenze oder der Bespitzelung durch die Stasi. Sondern davon, dass das Leben berechenbarer war. Ehrlicher. Man hört von scheinbar Banalem, von Küchengeräten und Mopeds, die so gebaut wurden, dass sie möglichst lange funktionierten. Keine Wegwerfprodukte mit eingebauten Sollbruchstellen. Viele fühlen sich betrogen.“

Und in der NZZ vom 15.10.2024 spricht im Interview der in der DDR aufgewachsene Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk von einer Sehnsucht nach Vater Staat: „Ein Teil der ostdeutschen Bevölkerung wünscht sich eine DDR zurück, die es nie gab“. Er bezeichnet sich als „Neunundachtziger“, einen Teilnehmer der Freiheitsrevolution, die das System zum Einsturz gebracht hat. Auch er hebt hervor, dass Gorbatschow die blutige Niederschlagung der Revolution nicht wollte. „Dass sie in der DDR 1989 glückte, ist aber ohne den Willen und den Mut einer kleinen Minderheit nicht denkbar. Diese Minderheit rebellierte gegen die Minderheit des Regimes. Dazwischen stand die Mehrheit hinter den Gardinen und wartete ab, bis der Sieger feststand. Dann stellte sie sich auf die Siegerseite.“

In diesem Zusammenhang ist nochmal ein Blick in unsere #171 erhellend. Dort haben wir uns mit dem Wählerverhalten in den ostdeutschen Bundesländern und dem Buch von drei Frauen zur dortigen Vergangenheitsbewältigung auseinandergesetzt.

3. Spitz-findig-keit

Deutscher Buchpreis 2024 – von diversen Vorschlägen zur langen und über die kurze Liste zur Gewinnerin, das heißt von 197 auf 20 Bücher, und über sechs zur Nummer 1. Am 14. Oktober, einen Tag vor Beginn der Frankfurter Buchmesse, gab der Börsenverein des Deutschen Buchhandels bekannt: Der mit 25.000 € dotierte Deutsche Buchpreis geht an die Autorin Martina Hefter für ihren Roman „Hey guten Morgen, wie geht es dir?„*.

„Tagsüber hilft Juno ihrem schwerkranken Mann Jupiter dabei, seinen Alltag zu meistern. Sie ist Künstlerin, tanzt und spielt Theater. Und nachts, wenn sie wieder einmal nicht schlafen kann, chattet sie mit Love-Scammern im Internet. Martina Hefter hat einen Roman über Bedürfnisse und Sehnsüchte geschrieben. Und darüber, wie weit man bereit ist, für die Liebe zu gehen.“ So der auf perlentaucher (neben fünf Rezensionen) wiedergegebene Klappentext des im Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2024, erschienenen autofiktionalen Romans (224 Seiten für 22 €).

4. Spitz-findig-keit

Hey guten Morgen, wie geht es dir? So könnte gestern früh auch Christian Poltéra von Mara, seinem von Antonio Stradivari im Jahr 1711 gefertigten sprechenden Violoncello, gefragt worden sein. Denn die zwei Stunden am Freitagabend beim Sinfoniekonzert des Ebinger Kammerorchesters in der ausverkauften Albstädter Festhalle hatten es in sich. Nicht nur die Werke von Johann Sebastian Bach, Antonín Dvořák, Joseph Haydn und – nach der Pause – von Robert Schumann waren im Zusammenspiel des Schweizer Virtuosen mit dem gut aufgelegten, durch Bläser der Württembergischen Philharmonie verstärkten Orchester ein echter Ohrenschmauß. Auch, dass Christian Berkel, auf der Grundlage des Romans „Mara„* von Wolf Wondratschek, erschienen 2003 im Carl Hanser Verlag, dem hochwertigen Violoncello seine Stimme lieh.

Christian Berkel, Christian Poltéra mit Mara und Dirigent Martin Künstner
Die Stimme Christian Berkel, der Tonkünstler Christian Poltéra mit Mara und der Dirigent Martin Künstner. Links applaudiert Helga Oberer, die zusammen mit ihrem Mann Dietmar 1962 das Ebinger Kammerorchester gegründet hat.

Ein begnadeter Cellist, der mit allen Dirigenten, Orchestern und Solisten von internationalem Rang und Namen zusammen musiziert – heute in Den Haag, kommenden Mittwoch in Hamburg in der Elbphilharmonie, am Donnerstag in Wien und am Samstag in Cambridge. Ein unheimlich kreativer Berliner Schauspieler, seit Mitte der 1970er Jahre beteiligt an nationalen und internationalen Produktionen, der zudem ab den 1990er Jahren unzählige Hörspiele aufgenommen sowie in 2018 und 2020 zwei autofiktionale Romane publiziert hat. Für uns Albstädter besonders werthaltig: aus 2008 die Kinoproduktion „Operation Walküre“ über das Hitler-Attentat, wo er die Rolle des Mitverschwörers Albrecht Mertz von Quirnheim, neben Tom Cruise als Claus Schenk Graf von Stauffenberg, gespielt hat. Und ein 313 Jahre altes Violoncello, dessen Wert auf mehrere Millionen Euro taxiert wird. Mir persönlich, ich durfte in Reihe 3 auf Platz 13 das Ganze mitverfolgen, wird dieses Konzert in sehr guter Erinnerung bleiben.

#PreppoKompakt

Ernsthaft. Vielleicht sollten wir Deutschen uns jetzt auf den Weg zu einer neuen Verfassung begeben. Ohne Zeitdruck, ohne Gefahr des Scheiterns, mit der Chance auf einen starken Rück- und Zusammenhalt im vereinten Vaterland. Gemäß unserer Nationalhymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“, die traditionell vor einer Woche in der Zollern-Alb-Halle vielstimmig und kraftvoll gesungen wurde.

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