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Spitz oder Spitze sind in aller Regel pointierte Aussagen zum Zeitgeschehen. Dies kann, muss aber nicht die Politik betreffen. Es kann auf die Gegenwart oder auch auf die Vergangenheit gemünzt sein. Spitz ist eine Aussage dann, wenn sie sticht, der betreffenden Person oder Personengruppe wehtut, spitze, wenn sie ausgezeichnet formuliert ist und im Idealfall zudem die Wahrheit abbildet. Fi/ündig, wenn der beschriebene Umstand nicht ganz offensichtlich, also erst zu ergründen ist. Und -keit lässt auf unterschiedliche menschliche Eigenheiten/-schaften schließen, wie beispielsweise Eitelkeit, Heiterkeit, Überheblichkeit oder, oder. Alles zusammengenommen eine echte Spitzfindigkeit. In unserer Kolumne ‚Spitz-findig-keit‘ zitieren wir in lockerer Folge jeweils zwei oder drei Aussagen und verschonen dabei auch nicht klassische Denkerinnen und Denker.
Um Denkanstöße zu geben, die Freude am Formulieren zu wecken – nichtzuletzt auch um dem Humor in unserer doch etwas trostloseren Zeit wieder mehr Geltung zu verschaffen. Erhöht das Wohlbefinden. Packen wir es an! Ich sage nicht, wir schaffen das. Aber wir probieren es auf jeden Fall!
Vorbemerkung
Es gibt nach Immanuel Kant auch eine falsche Spitzfindigkeit, die wir uns hier allerdings nicht zu eigen machen wollen. Wer dem dennoch nachgehen möchte – Die falsche Spitzfindigkeit der vier syllogistischen Figuren – kann dies hier gerne tun.
Heute kommen dafür drei Persönlichkeiten zu Wort, die sich intensiv mit dem gegenwärtigen Zustand unseres Gemeinwesens beschäftigt und sich dazu dezidiert geäußert haben. Sie halten uns sozusagen den Spiegel vor. Angesichts dessen müssen wir mental stark sein!
1. Spitz-findig-keit
Persönlichkeit Nr. 1: Harald Martenstein, langjähriger Kolumnist für das Zeit-Magazin und die Welt am Sonntag, lebt in Berlin und in Gerswalde (Uckermark). Interview abgedruckt in der NZZ vom 23.10.2023.
Wann seine Politisierung eingesetzt hat: „2015 … als wir in Deutschland diese grosse Migration hatten und die sogenannten offenen Grenzen. … Die Öffentlichkeit war wie in Trance. Fast niemand hat in den Medien Probleme gesehen, alles war einfach nur grossartig. Ich aber hatte das starke Bauchgefühl, dass unkontrollierte Einwanderung à la longue keine gute Idee sei. Tja, da habe ich Lust bekommen, dagegen Position zu beziehen.“
Seine Selbstsicht heute – als Mann, 70 Jahre alt, weiß: „Die meisten alten weissen Männer wären übrigens lieber jung. Mit ihrer Hautfarbe wurden sie nun einmal geboren, und das Geschlecht kann man zwar bei uns in Zukunft einmal im Jahr ändern, aber das will ja nun auch nicht jeder. Da zeigt sich einer der Widersprüche der woken Ideologie. Eine Tabuzone, Kritik und Spott betreffend, gilt für bestimmte Personengruppen. Andere werden fast schon für vogelfrei erklärt.“
Die Gretchenfrage
Wer die Deutschen sind: Das ist „… eine Frage, die man einem Deutschen schlecht stellen kann. Die Deutschen haben alles in ihrer Kraft Stehende getan, um zu einer postnationalen, also komplett undeutschen Gesellschaft zu werden. Nun befinden sie sich in einer Welt, die sich nicht in diese Richtung verändert hat: Die Nationalstaaten sind immer noch da. Die Deutschen sind so ziemlich die einzige Nation, die sich abschaffen möchte.“
Seine gegenwärtige Stimmungslage: Ich „… bin zurzeit eher pessimistisch, und mit der Klage über die deutsche Dysfunktionalität stehe ich nicht allein. Fahren Sie einmal Bahn, versuchen Sie einmal, ein Unternehmen zu gründen. Ein rosiges Zukunftsbild könnte ich für Deutschland im Moment nicht malen.“
Zur CDU, die im Thüringer Landtag gemeinsam mit der AfD kürzlich eine Steuersenkung beschlossen hat: „Ich glaube, eine niedrigere Grunderwerbssteuer ist kein Ausdruck rechtsextremen Denkens. Gleichwohl wurde die Union dafür angeprangert. Es ist absurd. Falls sich die CDU dauerhaft darauf einlässt, kann sie überhaupt nichts mehr durchsetzen, es sei denn, Grüne und SPD stimmen zu. Man verlangt allen Ernstes, dass die Union sich selbst abschafft.“
2. Spitz-findig-keit
Nr. 2: Andreas Rödder, Jahrgang 1967, Professor für neueste Geschichte an der Universität Mainz, Gründungsmitglied der Denkfabrik R21, CDU-Mitglied, ja bis vor kurzem – siehe die Meldung in der Tagesschau vom 27.9.2023 – sogar Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission. Sein Gastkommentar ist in der NZZ vom 24.10.2023 (hinter Schranke) abgedruckt.
„Die Diskussion zur Lage der Nation nimmt in Deutschland gegenwärtig schrille Züge an. Dabei gälte es, nüchtern die Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre zu korrigieren: nach der Aussen- und Verteidigungspolitik nun auch bei der Energie-, der Migrations- und der Bildungspolitik.“ Schrille Züge, weil selbst die CDU-Führungsriege das „Martenstein’sche Menetekel“ nicht begriffen hat, nicht begreifen will, es nicht ernst nimmt oder ganz einfach nicht den notwendigen Mut und die Standfestigkeit hat, diese drohende „Kastration“ abzuwenden. Schon im März hat Prof. Werner J. Patzelt hier im Blog auf das Elend der CDU, gerade als stärkste Partei hingewiesen und eine langfristige Strategie angemahnt.
Was zu tun ist
Es gäbe viel zu tun, aber einzelne Maßnahmen reichten nicht aus. Nach Prof. Rödder habe man im letzten, krisenanfälligen Jahrzehnt die Grundlagen des Erfolgsmodells Deutschland aus den Augen verloren. „Der Staat dringt immer tiefer in die Gesellschaft vor, reguliert Bürger und Wirtschaft immer stärker und stellt Probleme mit immer mehr (schuldenfinanziertem) Geld still. Das Bürgergeld brachte diese Entwicklung auf die vorläufige sprachliche Spitze: Der Bürger wird zum Transferempfänger.“ Mit der Folge: „Bürokratie hemmt Innovationen, und die Infrastruktur funktioniert allzu oft nicht. Ungesteuerte Migration gefährdet den inneren Frieden und belastet einen Sozialstaat, der absehbar unfinanzierbar ist und trotzdem weiter ausgebaut wird. Und die wirtschaftliche Abschwächung wirft die bange Frage auf, ob es sich hierbei um den Einstieg in eine Abwärtsspirale handelt.“
Notwendig sei ein „… Kulturwandel, der die grüne Deutungshegemonie überwindet: von Gleichstellung zu Gleichberechtigung und von einer Diversität nach gruppenbezogenen Herkunftsmerkmalen zu einem liberalen Pluralismus der unterschiedlichen Individuen.“ Und eine Leitkultur, die sich durch Offenheit und Verbindlichkeit auszeichne. „Sprachliche Verständigungsfähigkeit, Verpflichtung auf Faktentreue in der Kommunikation, höfliche Umgangsformen und zivile Konfliktlösung, Verzicht auf absolute Wahrheitsansprüche und Verschwörungstheorien, Gleichwertigkeit aller Menschen, Verpflichtung auf Selbstbestimmung und Individualität, Leistungsbereitschaft und Selbstverantwortung.“ So Andreas Rödders Therapie für die deutsche Nation.
3. Spitz-findig-keit
Persönlichkeit Nr. 3: Manfred Haferburg, Jahrgang 1948, mit DDR-Hintergrund/Biographie, (Fach)Mann (für Kernreaktoren), weiß, in Paris lebend. Auf der Achse des Guten vom 24.10.2023 erklärt und begründet er mit spitzer Feder/Zunge 13 Mal das Handeln der Ampelkoaliton mit „Weil sie die Macht haben“! „Die Scholzens, Kühnerts, Eskens, Habecks, Baerbocks und der Rest der Berliner Gespensterbahn fahren das Land an die Wand, solange sie die Wähler nicht daran hindern. Es geht um Macht, um nichts anderes als absolute Macht.“
Hier nur vier Politikfelder herausgegriffen – der gesamte Beitrag aber wärmstens zur Lektüre empfohlen:
„Weil sie die Macht haben,
– zerstören sie mit der Energiewende mutwillig das energetische Rückgrat des Landes, indem sie inmitten einer Energiekrise sicher funktionierende Kernkraftwerke und funkelnagelneue Kohlekraftwerke stilllegen. Diese sollen durch die Technologien des Mittelalters Wind und Sonne ersetzt werden, was aber nicht funktionieren kann. Es stört sie nicht, dass die Bürger die höchsten Strompreise der Welt bezahlen müssen und dass eine sichere und zuverlässige Stromversorgung gefährdet wird.
– regieren sie mit der Ernährungswende bis auf den Teller in der Kantine oder Küche, wo sie Fleisch verbieten und schon die Kinder zum Veganismus nötigen. Oft sichtlich übergewichtige Politiker maßen sich an, den Bürgern unerbetene Ratschläge in gesunder Ernährung zu geben.
– verhunzen sie die deutsche Sprache mit Strichen, Sternchen und gekünstelten Sprechpausen und wollen mit Verboten und Repressalien die Deutschen zum „Gendern“ zwingen. Dabei geht es ihnen um die Zerstörung der traditionellen Familie. Sie legen ihre Hände an die Wiegen der Kinder und betreiben Frühsexualisierung. Per Gesetz darf sich zwar jeder Deutsche einmal im Jahr ein anderes Geschlecht auswählen, darf sich aber nicht aussuchen, wie er seine Wohnung heizt, was auf seinen Teller kommt und welches Antriebssystem sein Auto nutzt.“
„Weil sie die Macht haben,
– gönnen sie sich absolute Spitzengehälter, die sie sich regelmäßig selbst still und leise üppig erhöhen und die sie mit diversen Nebentätigkeiten aufbessern. Sie erwerben innerhalb kürzester Zeit Pensionsansprüche, für die ein Normalbürger hunderte Jahre arbeiten müsste. Für alle Eventualitäten des Politikerlebens gibt es Ausgleichs- und Übergangszahlungen. Selbst für Corona schämten sie sich nicht, sich eine Sonderzahlung von 3.000 Euro zu gönnen, während flaschensammelnde Rentner leer ausgingen. Sie halten sich für hunderttausende Euro Steuergeld Leibfotografen und persönliche Visagisten, die ihrer Eitelkeit schmeicheln. Selbst den Friseur lassen sie sich vom Steuerzahler bezahlen, sogar wenn sie kahlköpfig daherkommen. Und wenn sie im Ruhestand sind, reichen ihnen ihre üppigen Pensionen nicht aus, sondern sie beschäftigen weiter ihre Chauffeure, Bürokräfte, Visagisten und Friseure – natürlich auf Steuerzahlerkosten. Sie fahren mit dicken Staatskarossen umher, fliegen mit Regierungsfliegern um die Welt – falls diese abheben können – und erlauben sich selbst all das, was sie den Bürgern nur zu gerne untersagen.“
Anmerkung zu einer kleinen/großen Unbekannten: Wie ändert sich die Lage durch die beabsichtigte Parteigründung durch Sarah Wagenknecht. Spaltet sich die Linke auf und verschwindet? Saugt Wagenknecht auch Stimmen von AfD und Ampel auf? Keine/keiner kann es wissen. Die Europawahl und die Landtagswahlen im Herbst nächsten Jahres in Sachsen, Brandenburg und Thüringen werden es zeigen.
Und hier geht es zügig weiter.
#PreppoKompakt
Nicht vergessen die Zeitumstellung – mit dem Ende der Sommer- und dem Beginn der Winterzeit. Denn heute Nacht wurden in den meisten europäischen Ländern die Uhren von drei auf zwei Uhr zurückgestellt. Wie oft noch – wir hatten es in der #85 thematisiert -, keine/keiner in der Europäischen Union weiß es genau. SWR3 ging letzten Freitag den Gründen dafür nach und präsentierte zudem (auf Dänisch, Niederländisch/Flämisch, Wallonisch und Rumänisch) entsprechende „Eselsbrücken“. Die deutsche Version: „Im Sommer stellt man die Gartenmöbel vor die Tür, im Winter zurück in den Schuppen.“ Kann ja noch länger dauern bis die 1996 europaweit eingeführte Sommerzeit endlich wieder abgeschafft ist.